Nur blau-gelbe Blumen auf`s Grab
Zum Tod von Prof. Dr. Werner Knopp: Gedanken aus seinen beeindruckenden Vorträgen 1976 und 1983 zur Braunschweigischen Identität, Teil 1.
Es ist ganz unverkennbar, dass es ein gewisses Eigen- ja Selbstbewusstsein der Braunschweiger bis heute gibt. Das sagte der am 4. Januar diesen Jahres verstorbene Prof. Dr. Werner Knopp bereits im Juni 1976 bei der Vorstellung eines neuen „Braunschweig Atlas“ in den Räumen der Norddeutschen Landesbank. Recht hatte er. Die Feststellung gilt natürlich weiter. Und genau darum soll es in einer heute beginnenden kleinen Reihe in der „Der Löwe – das Portal der Braunschweigischen Stiftungen“ gehen, um das Skurrile, aber auch um das Historische, um das Besondere am Braunschweigischen.
Als kleines Büchlein mit dem Titel „Gedanken über das Braunschweigische“ wurde seinerzeit die bemerkenswerte Rede über Braunschweigische Identität herausgegeben und 1999 in 2. unveränderter Auflage noch einmal gedruckt. Der Untertitel lautet: Zeitgemäße Betrachtungen zur Eigenart von Land und Leuten zwischen Harz und Heide. Auch ein zweiter Vortrag ist 1983 als ein solches Büchlein erschienen. Werner Knopp hielt ihn anlässlich der Verabschiedung von Günter Nerlich, Vorstandsmitglied der Nord/LB. Die „Anmerkungen über das Braunschweigische und Hannöversche“ sind ebenfalls 1999 in 2. unveränderter Auflage erschienen.
Anlässlich des Todes von Prof. Knopp werden wir in einigen Beiträgen und in loser Folge Gedanken des „überzeugten sowie leidenschaftlichen Braunschweigers“, wie ihn Gerd Biegel, Gründungsdirektor des Instituts für Braunschweigische Regionalgeschichte (IBR) an der Technischen Universität, in seinem Nachruf für „Der Löwe“ nannte, wiedergeben.
Das Selbstbewusstsein, so Knopp damals, sei zu Zeiten des eigenen Staates sicherlich noch stärker gewesen und habe mit dazu beigetragen, dieses merkwürdige, durch Erbteilungen entstandene Sammelsurium heutiger niedersächsischer Gebietsteile über Jahrhunderte hinweg als selbständiges Gemeinwesen zu erhalten. Gelegentlich habe der Braunschweigische Patriotismus sogar skurrile Blüten getrieben, wie etwa in der testamentarischen Bestimmung eines Verstorbenen, sein Grab an der Helmstedter Straße solle nur mit blau-gelben Stiefmütterchen bepflanzt werden – den alten Landesfarben Braunschweigs.
Knopp sagte 1976 erklärende Worte, die heute im Zeitalter der Globalisierung und der Digitalisierung eher noch an Gewicht gewonnen haben. Seine Argumentation stützt das Bestreben der den „Löwen“ stützenden Stiftungen, die Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz, die Braunschweigische Stiftung und die Richard Borek Stiftung, die Braunschweigische Identität zu pflegen. Hier die ersten Auszüge aus der Rede Prof. Knopps:
„Die Veröffentlichung eines neuen Braunschweig-Atlas ist ein willkommener Anlass, sich einige Gedanken über das Braunschweigische, über die Eigenart von Land und Leuten zwischen Harz und Heide zu machen. Der Versuch, die Heimat, die Region, mit den Mitteln der Kartographie stärker in das Bewusstsein zu rücken, entspricht ganz offensichtlich einer kräftigen Strömung des Zeitgeistes. Sowohl in Deutschland als auch im weiteren Europa erleben wir eine deutliche Wiederbelebung des Regionalbewusstseins und des Regionalstolzes…
Galt früher für einen Braunschweiger Abiturienten schon die Besichtigung des Rammelsbergs als größeres, von langer Hand geplantes Unternehmen, so fahren heute schon Sekundaner, ohne mit der Wimper zu zucken, zu Unterrichtszwecken nach Südfrankreich oder Griechenland, und statt nach Braunlage oder Altenau führt die klassische Urlaubsreise heute schon eher nach Mallorca, auf die Kanarischen Inseln oder gar in die Sündentempel von Bangkok. Kein Wunder, dass eine Zeitlang sogar schon Nationalgefühl als etwas Rückständiges galt – man dachte europäisch oder gar als Weltbürger.
Nicht, dass das Denken in diesen Dimensionen heute seine Berechtigung verloren hätte. Aber in uns ist, wie in vielen anderen, mit dem wiedererwachten Gefühl besonderer Verbundenheit mit Heimat und Region gleichsam ein natürliches Gegengewicht gegen jenes großräumige Denken und Fühlen lebendig geworden. Der Mensch bedarf offenbar dieses Gegengewichtes. Es zeigt unser instinktives Streben nach Individualität, nach Zügen also, die uns sowohl als einzelne wie als Angehörige von Gruppen von der Masse der anderen abheben, mögen diese Züge nun Sprache, Bräuche, Traditionen, Symbole oder so etwas Banales wie Essensgewohnheiten sein. Sich auf diese Weise von anderen zu unterscheiden und sich – mit oder ohne Überhebung – als etwas Besonderes zu fühlen, ist zu allen Zeiten Teil der menschlichen Persönlichkeitsentfaltung gewesen, wird in der Gegenwart aber gegenüber der rationalisierenden Einschmelzung in immer größere Einheiten wohl wieder stärker als notwendig empfunden und bejaht. Dies auch dann, wenn es – wie im Falle Braunschweig – gewiss nicht um eine Frage der Existenzbehauptung für eine in ihrer Eigenart bedrohte Volksgruppe geht, sondern schlicht und einfach um das ganz unpolitische, unbestimmte und unverbindliche, aber doch deutliche und liebenswerte Bewusstsein, irgendetwas Besonderem anzugehören, eben der Stadt und dem Land Braunschweig. Nennen wir es ruhig einmal „Heimatgefühl“.
Ein prominentes Mitglied der Braunschweiger Heldengalerie, nämlich kein Geringerer als der Schwarze Herzog. Als er auf dem berühmten Zuge von Böhmen bis an die Nordsee im Sommer 1809 bei dem Dorfe Hessen die braunschweigische Landesgrenze erreichte, fasste er seine Empfindungen in die Worte: „Nirgendwo ist der Himmel so blau, als dort, wo Du ihn zuerst erblickt hast!“…
Was eigentlich haben wir im Auge, wenn wir Verbundenheit zu Braunschweig und zum Braunschweigischen bekunden? Die Stadt, das alte Land, oder ein wie auch immer umgrenztes Umland der Stadt? Sicher die Stadt, den Mittelpunkt des Ganzen, von dem es auch den Namen hat. Wegen der bei uns traditionell engen Verbundenheit der Stadt und des Städters mit dem Lande spielt jedoch auch das Umland eine Rolle. Früher war es ein Staat, mit allen Zeichen und Symbolen eines solchen. Das ist heute versunken, aber wir sprechen immer noch vom Braunschweiger Land, das zwar keine selbständige politische Einheit mehr bildet, aber doch eine Einheit der wirtschaftlichen Verbindungen und des Lebensgefühls, auch der Geschichte und des kulturellen Erbes.“
Wird fortgesetzt.
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