Achte auf das, was du sagst!
Together Apart – Soundcollage von Tim Etchells im Kunstverein Braunschweig.
„Shout your head off!“ Schreit mich der Lautsprecher an. Das heißt so viel wie: Schreie dir die Seele aus dem Leib. Oder: Schreie, bis dein Kopf abfällt.
Das hättest du wohl gerne, lauter Lautsprecher! Reicht doch aber, wenn du schon schreist. Ich verweigere mich! Ich bin doch kein Befehlsempfänger. Sowieso nicht. Und von einem seelenlosen Lautsprecher lasse ich mich schon gar nicht rumkommandieren. Von deinem Gebrüll bekomme ich allenfalls Geheimratsecken auf der Seele. Aber Seele aus dem Leib? Nö. Ich bleibe lieber am Fenster stehen, gucke raus auf die Wiese vom städtischen Freibad, das an das Haus Salve Hospes grenzt. Das Volleyballnetz weht sachte im Frühlingswind. Bald weht wieder das Gekreische von aufgekratzten Arschbombern vom Drei-Meter-Brett herüber. Sommer, schön wär`s. Noch ruht das Badebecken in jungfräulicher Stille. Bis zum 14. Mai schallt es noch aus dem Kunstverein heraus. Also: Pull yourself together: Reiße dich zusammen!
Der britische Künstler Tim Etchells (*1962) hat für den Kunstverein Braunschweig die Soundinstallation „Together Apart“ entwickelt. In den 15 Räumen auf zwei Etagen der Villa steht jeweils ein Lautsprecher. Während der Laufzeit von 43 Minuten wird der Besucher mit diversen Handlungsanweisungen konfrontiert. Es sind englische Redewendungen, die allesamt zum Spektrum menschlichen Miteinanders, zum Gefühls- und Seelenhaushalt, zum Verhaltensinstrumentarium gehören. „Folge deinem Herzen“, „Zügele deine Zunge“, „Stecke deine Nase da nicht rein“. Die Stimmen überlappen sich zu einer Soundcollage, manche sind lauter als andere, manche schnarren mehr, andere sind (be-)drängender und so verwebt sich dieser Klangteppich zu einem vielstimmigen Wechselspiel. Das ist schon zwingend. Dem bist du unweigerlich ausgeliefert, das umfängt dich als einen Mit- oder Gegenspieler. Wenn du an einem Freitag um 11 Uhr ganz allein durch die leeren Räume streifst, hast du nach spätestens 10 Minuten das Gefühl, dass hier viele unterwegs sind, die über dich hinweg reden, dich anreden, dass du gar nicht allein und unbeobachtet bist. Im Gegenteil: „Keep your eyes peeled“. „Halte deine Augen offen!“ Denn wer weiß, was im nächsten Raum, hinter der nächsten Ecke lauert. Vielleicht wird es dort richtig eng.
Und so fühlt man sich natürlich angesprochen, kann sich bei allen abschweifenden Ausblicken auf die Freibadwiese diesem Soundsog natürlich nicht entziehen, wird bei aller akustischen Gegenwehr im eigenen Gehörgang doch zum Teil der Installation. Das ist schon faszinierend, wie man sich dem eigenen Sinn nicht entziehen kann. Wie man anfängt, zu übersetzen, zu entschlüsseln, zu enträtseln. Und natürlich in einen Dialog schlittert: Was will man mir sagen? Was soll das? „Take your fingers out: Kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten!“ Ich mach doch gar nichts. Ha! Und schon hat man reagiert, weil man sich angesprochen, gefordert, bedrängt fühlt. Zudem ist es auch ein bis dato womöglich unerhörtes Erlebnis, dass Sprache durchaus raumfüllend sein kann. Man geht durch leere Räume, die trotz Abwesenheit der Sprecher körperlich angefüllt zu sein scheinen: durch Betonung, Rhythmus, Lautstärke, Modulation.
Die Dauerschleife der Wiederholung der Redensarten nagt nach einem halben Stündchen natürlich an den Nerven. Aber das ist wohl auch gewollt. Ähnlich nervennagend ist das Leben mit all seinen Befehlsstrukturen und leerdrehenden Dialogen ja mitunter auch. Also: Watch your tongue: Achte auf das, was du sagst!
Die Ausstellung wird ermöglicht durch das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur und die Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz.
Haus Salve Hospes, Lessingplatz 12, Di.-So. 11 bis 17 Uhr, Do.: 11 bis 20 Uhr, Führungen So.: 15 Uhr, Do.: 18 Uhr. Ostermontag: 11 bis 17 Uhr geöffnet, Karfreitag geschlossen.
Mehr über den Künstler und den Kunstverein unter:
Foto