Angela Ittel: „Ich will eine TU der Vielfalt und der Exzellenz“
Seit dem 1. Juli ist sie im Amt: Jetzt spricht Braunschweigs neue TU-Präsidentin über ihren Start und ihre Pläne.
Die Psychologie-Professorin Angela Ittel ist seit dem 1. Juli Präsidentin der Technischen Universität (TU) Braunschweig. Wir haben jetzt mit ihr gesprochen.
Dieser Artikel ist zuerst erschienen am 6.12.2021 (Bezahl-Artikel)
Was sind Ihre wichtigsten Eindrücke nach dem Start?
Ich bin in Braunschweig „angekommen“ und habe meine TU kennengelernt, einen Super-Eindruck bekommen. Mir ist etwas aufgefallen, das mir viel bedeutet: Das ist die Begeisterung, die mir hier begegnet. Den Satz „Das gibt es nur in Braunschweig“ habe ich ziemlich oft gehört. Und dann kam sehr oft der Zusatz: „Und wir sind stolz darauf.“
Und: Stimmt es?
Tatsächlich – und es ist viel dabei, von dem viele außerhalb Braunschweigs, auch ich, noch nichts wussten. Natürlich spornt mich das an, es noch sichtbarer zu machen. Das ist ein Ziel, das ich beim Amtsantritt noch gar nicht so hatte. Aber jetzt umso mehr.
Nennen Sie Beispiele?
Unfair, etwas herauszugreifen. Aber als ein unterschätztes herausragendes Beispiel möchte ich einmal die Asphaltforschung im Institut für Straßenwesen herausgreifen. Lärmminderung, Effizienz, Nachhaltigkeit, da ist alles drin, das hat mich ehrlich überrascht. Und als Psychologin freue ich mich enorm über die Qualität der Ausbildung in der Psychotherapie. Sie ist gerade aktuell ein wichtiges und gesellschaftlich relevantes Thema in Pandemiezeiten. Es freut mich, dass hier so eine sichtbare und phantastische Arbeit geleistet wird.
Auch die Geisteswissenschaften sind in die Technische Universität gut integriert.
Stimmt. Alle sprechen von der Interdisziplinarität, hier wird sie durch die Forschungsschwerpunkte wirklich gelebt. Hier wollen sich nicht nur die Fakultäten präsentieren, sondern auch die fächerübergreifenden Forschungsschwerpunkte. Das zeigt schon die enorme Bereitschaft, wirklich zusammenzuarbeiten und das auch zu vermitteln. Auch in unseren Exzellenz-Clustern wollen wir hart daran arbeiten, die Geistes- und Sozialwissenschaften noch mehr zu integrieren. Das ist nicht selbstverständlich für eine Technische Universität! Und daher umso wichtiger.
Der Zauber des Anfangs – das ist völlig normal. Aber was ist Ihnen jetzt besonders wichtig?
Das sind besonders die Themenfelder Digitalisierung, Internationalisierung, Gleichstellung und Diversität und die Erweiterung des Transferbegriffs. Wichtig ist mir die regionale Verankerung. Der auf Augenhöhe stattfindende Dialog mit der Gesellschaft, von der Fragestellung bis hin zu Forschungsergebnis und Transfer. Der verläuft nicht nur in eine Richtung, von der Universität in die Gesellschaft, sondern es geht mir auch um den wechselseitigen Austausch von Wissen. Hier können wir Alleinstellung erreichen.
Reicht Ihnen das Haus der Wissenschaft dazu bereits als Schaufenster – oder ist es das überhaupt?
Ja, es ist in der Tat ein Schaufenster, eine Plattform. Ich würde gerne noch aktiver mit dem Haus der Wissenschaft zusammenarbeiten. Wir sind Nachbarn, sind in gutem Kontakt, hier sehe ich wunderbare Anknüpfungspunkte.
Gehen wir Ihre Themenfelder mal durch. Internationalisierung …
Wir müssen unsere Internationalität mehr betonen, mehr darüber sprechen. Wie international wir in unserer Region tatsächlich sind, das sagen wir zu selten. Denn es ist klar: Wenn wir unsere Region vielfältiger, internationaler darstellen, hilft das auch, Menschen anzuziehen und zu gewinnen. Ich möchte die TU Braunschweig gern in Richtung einer global denkenden Universität entwickeln. Alles, was wir tun und planen, muss global gedacht werden. Das ist mir sehr wichtig.
Stichwort Digitalisierung …
Die Begleitung der Studierenden von der Einschreibung bis zu den Alumni – das sollte in einem einheitlichen System erfolgen. Digitalisierung der Verwaltung, digitale Prozesse, da müssen wir noch viel tun. So verheerend die Corona-Pandemie auch ist, zumindest in dieser Hinsicht haben wir in den vergangenen eineinhalb Jahren viel gelernt. Ich sage Ihnen ehrlich: Den Druck, jetzt zur „alten Normalität“ zurückzukehren, sehe ich kritisch. Wir haben viele Prozesse durch den notgedrungenen Digitalisierungsschub auch zum Besseren verändert, bitte nicht wieder zurückfallen!
Studierende und Lehrende hocken isoliert in ihrer Kammer, das ist doch kein Uni-Leben.
Natürlich wollen wir nicht Fernuniversität werden. Keinesfalls! Es geht doch um die digital ermöglichte Option, flexible Angebote anzubieten und wahrzunehmen. Das ist die Stärke! Dann kann sich auch jemand aus dem Ausland zuschalten, und ich muss auch nicht für ein zweistündiges Meeting ins Ausland fliegen. Nicht zu vergessen: Wenn ich zuhause jemanden pflegen muss, mich um ein Kind kümmern will, bin ich flexibel, Angebote der Uni zu nutzen.
Einspruch: Mit zunehmender Digitalisierung verlieren wir auch Menschen. Wir müssen uns sehen, uns gegenübersitzen.
Natürlich können wir es nicht hinnehmen, Leute zu verlieren und natürlich brauchen wir Kontakte. Wir spürten gerade, wie gut es tut, Menschen wieder zu sehen. Es geht darum, neue Möglichkeiten zu nutzen. Deshalb ist es ja gerade so wichtig, hier keine Dimension auszuschließen – und in der konsequenten Digitalisierung hatten und haben wir Nachholbedarf.
Stichwort Gleichstellung. Da ist doch schon alles erreicht, für Sie bleibt nichts mehr zu tun …
Sehr lustig. Schön wär’s, wenn Sie Recht hätten. Da ist in allen Bereichen noch sehr viel zu tun. Immerhin beträgt mit meinem Antritt als Präsidentin der weibliche Anteil in der Hochschulleitung in Deutschland wieder 24 Prozent. Das ist nicht Gleichstellung. Aber ich rede nicht nur von der Hochschulleitung. Der Professorinnen-Anteil in den Spitzenpositionen beträgt weniger als ein Drittel. Wir haben auf fast allen Feldern Gleichstellung noch lange nicht erreicht. Ich kenne das Augenrollen, die Widerstände. Aber da bin ich gewappnet und freue mich auf die motivierte Arbeit.
Bei den Studierenden sieht es besser aus.
Ja, darum geht es ja. Die Lücke, der Gender-Gap, tritt später auf, wenn es um die Übernahme von Verantwortung und Führungspositionen geht. Und hören wir auf, davon zu reden, dass es nur für Frauen wichtig sei, Familie und Beruf miteinander zu vereinen. Bei diesem Thema bin ich – auch und gerade als zweifache Mutter – sehr sensibel. Das Thema Gleichstellung und Chancengerechtigkeit ist nicht nur aufs Geschlecht zu reduzieren. Es ist für eine offene und tolerante Bildungsorganisation ein zentrales Thema. Das ist für mich ein Grundsatz. Ich zweifele nicht, dass wir uns darüber an meiner Universität einig sind. Aber wir können es noch sichtbarer machen und dürfen nicht aufhören daran zu arbeiten. Jeden Tag.
Wie konkret?
Ein kleines Beispiel: Jetzt veranstalten wir das erste digitale Frauennetzwerk hier an der TU. Ich habe alle Professorinnen und Postdoktorandinnen eingeladen, darunter etliche wichtige Akteurinnen, zum Beispiel bei Acatech, der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften. So etwas hatten wir hier noch nicht. Es ist auch ein Symbol dafür, dass Netzwerke für die Sichtbarkeit von Frauen wichtig sind.
Und: Auch die Berufungsprozesse werden wir uns genauer anschauen. Ja, vieles wurde auch schon gemacht. Doch es gibt noch Stellschrauben, an denen man drehen kann. Wir wollen es verbindlicher machen. Und werden ein Diversity Impact Assessment durchführen. Hier können wir methodisch von der Wirtschaft lernen, um auch schon subtile Diskriminierung verhindern zu können. Da geht es bereits um die Formulierungen in Stellenangeboten, die Themen, ja, auch die direkte Ansprache von Bewerberinnen für alle Positionen.
Wird man damit auch besser?
Das ist das Ziel der Methode. Wir beginnen jetzt damit. Wir sind die erste Uni in Deutschland, die das durchführt. Lassen Sie uns in einem Jahr nochmal darüber reden. Die Erhöhung und Stärkung der Diversität ist Teil einer ganzheitlichen Exzellenz, die wir gemeinsam entwickeln.
Abgemacht. Wo liegen international Ihre Vorbilder?
Man kann in die Niederlande blicken. Manche Unis haben da beschlossen, so lange nur noch Frauen zu berufen, bis eine Gleichstellung erreicht ist. Zum Beispiel die Technische Universität Eindhoven. Das geht schon rechtlich in Deutschland nicht, weil es nur um die Bestenauswahl geht.
Würden Sie persönlich denn so weit gehen?
Natürlich glaube ich auch an die Stärke der Bestenauswahl. Doch ich denke, dass wir auch noch sehr viele Möglichkeiten haben, an den Stellschrauben der Auswahlprozesse anzusetzen. An denen, die uns dazu bringen, zu glauben, dass diese oder eine andere Person die oder der Beste ist.
Das war jetzt eine ausweichende Antwort.
Nein, überhaupt nicht. Es ist klar, dass ich eine solche Ansage, nur Frauen zu berufen, nicht machen würde. Damit verändern wir die Haltungen der Menschen nicht, die solche Auswahlprozesse gestalten. Ich will ganz einfach und konkret mehr Auswahlgerechtigkeit, als das bislang der Fall ist.
Irgendwann berufen Sie dann nur noch Männer.
Das will ich auch nicht. Ich will ja nur die Besten berufen.
Schon klar. Was ist Ihnen in einer ersten Bilanz im Präsidentinnenamt noch besonders wichtig?
Ich bin eine Präsidentin für alle! Da breche ich dann gern auch einmal vertraute, „handverlesene“ Strukturen auf. Das hat bislang wunderbar funktioniert: Eben meine Art, meine Wertschätzung für alle Mitarbeitenden auszudrücken. Besonders wichtig ist mir auch, die Rückkehr der Studierenden auf den Campus zu unterstützen. Ich weiß, wie schwierig das gerade ist. Für alle. Außerdem ist mir die nationale und internationale Sichtbarkeit und Vernetzung unserer TU wichtig! Da haben wir noch Potential.
Sie haben es noch nicht bereut?
Ich bin der Aufgabe gegenüber nicht weniger demütig geworden, als ich es bei meinem Amtsantritt war. Ja, manches ist komplexer als gedacht, aber bereuen tue ich nichts. Ganz im Gegenteil. Die Demut möchte ich mir beibehalten.
Ihre erste Amtszeit währt sechs Jahre. Eine mögliche zweite weitere acht Jahre. Gehen wir von 14 Jahren aus, nur mal so. Was ist dann erreicht?
Eine offene, chancengerechte Universität, die ihre Werte auch tatsächlich lebt. Auch global weiß man, wo die TU Braunschweig liegt und was wir hier für tolle, auch einzigartige Sachen machen. Ganzheitlich exzellent! Das sollten wir auch schon etwas früher geschafft haben.
Was heißt das für Sie?
Eine ganzheitlich exzellente Universität poliert nicht nur an ihren Leuchttürmen, sondern hebt die gesamte Uni auf ein global kompatibles Niveau in den Themen, die wir hier besprochen haben.
Global kompatibel, wer versteht das?
Ja, es hebt die gesamte Universität auf ein exzellentes Niveau, nicht nur einzelne Forschungsprojekte. Darum geht es jetzt: Die TU kann als Ganzes nur so exzellent sein wie ihre schwächeren Glieder.
Das hat noch keiner geschafft.
Deshalb arbeiten wir alle daran. Wir sind sehr stolz auf unsere Leuchttürme. Doch wir müssen auch täglich an exzellenten Standards arbeiten. Auch die Leuchttürme brauchen eine Uni, die nachwächst, die sie unterstützen kann. Dann klappt’s auch mit der ganzheitlichen Exzellenz – unabhängig von formalen Wettbewerben. Das ist wichtig! Und klar ist: Auch die Leuchttürme müssen für die gesamte Universität denken. Die Menschen, die ich bislang getroffen habe, arbeiten begeistert mit und sprühen vor Ideen. Ich freue mich auf die nächsten Jahre der gemeinsamen Arbeit.
Angela Ittel ist Professorin für Pädagogische Psychologie, war von 2014 bis 2021 hauptberufliche Vizepräsidentin der TU Berlin. Ihr Weg führte sie nach Psychologie-Studium an der Florida International University und Promotion an der University of California Santa Cruz über das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin, zu den weiteren Stationen Uni Jena, TU Chemnitz und die FU Berlin. Angela Ittel gilt als erfolgreiche Wissenschaftsmanagerin in Sachen strategische Hochschulentwicklung, Exzellenzstrategie, Gleichstellung und Diversität.
Dieser Artikel ist zuerst erschienen am 6.12.2021 und erreichbar unter: https://www.braunschweiger-zeitung.de/braunschweig/article234021921/Angela-Ittel-Ich-will-eine-TU-der-Vielfalt-und-der-Exzellenz.html (Bezahl-Artikel)