August Vasels Vermächtnis
Wie vor mehr als 100 Jahren: Die Villa des wohlhabenden Landwirts, Weltreisenden und Sammlers August Vasel in Beierstedt befindet sich nahezu im Originalzustand.
Es ist, als wäre die Zeit stehen geblieben. „Jordan-Wasser. Gefüllt am 25. II.1893. A. Vasel“. So lautet der Banderolentext auf einem kleinen, mit Siegellack abgedichteten Glasgefäß, das auf dem Schreibtisch in der Bibliothek des vermögenden Beierstedter Zuckerrübenlandwirt, Völkerkundler und Kunstsammler August Vasel (1848 bis 1910) steht. Beim Schütteln der Apothekenflasche wirbeln im leicht trüben, aber verbrieft originalen Flusswasser Sandkörner und Steinpartikel auf. Daneben liegt eine filigrane Lesebrille mit ledernem Etui und Originalrezept des Braunschweiger Hofoptikers F. Niemeyer, ein Skarabäus mit ägyptischen Hieroglyphen und drei mit blauer Tinte beschriebene Kassenbücher, die die Geschichte des großen Hofes und Vasels über 40 Reisen rekonstruieren lassen. Auf einer Zeichenmappe steht „Rembrandt“, doch sie ist leer. Wer heute das erste Obergeschoss der eindrucksvollen Vasel‘schen Villa betritt, fühlt sich in das späte 19. Jahrhundert zurückversetzt.
Ein frei zugängliches Museum ist der Hof in Beierstedt nicht. Und das soll auch zukünftig so bleiben. Schließlich ist die Geschichte von August Vasel nicht nur eine sehr außergewöhnliche, sondern auch sehr persönliche Familiengeschichte.
Zusammen mit dem Historiker Oliver Matuschek arbeitete die Familie Müller ab 1998 ausführlich die Biografie ihres prominenten Vorfahren auf. Mittlerweile sind durch Archivarbeit, Inventarisierungen und der Forschung vor Ort mehrere sehr gute wissenschaftlich Publikationen zu Beierstedts berühmtestem Einwohner erschienen. Sogar die Zug-Fahrkarten „Söllingen-Jerxheim“ beziehungsweise „Magdeburg-Berlin, Potsd. Bhf“, mit der sich August Vasel erstmalig auf den Weg machte, wurden wiedergefunden. „Der randvolle Papierkorb August Vasels stand noch original in der Bibliothek. Beim Durchsuchen des Inhalts entdeckte Oliver Matuschek die Tickets ganz unten am Boden“, so Müller.
Auch Festsaal und Herrenzimmer wurden nach dem Tod August Vasels selten aufgeschlossen. So erhielten sich die originalen kostbaren Räume, wie Vasel sie verließ: Innenausstattung mit reich geschnitztem Mobiliar des Historismus, große Kachelöfen, Kronleuchter, Standuhren, farbige Decken- und Wandmalereien, kostbaren Wandbespannungen und Vorhangstoffen. Doch viel Pflege und professionelle Konservierungsarbeiten sind nötig, um den Schatz zu erhalten: Mit Unterstützung der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz und der Braunschweigischen Stiftung aber auch der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, der Sparkassenstiftung, Landesmitteln und EU-Mitteln wurden jüngst drei rote Fenstervorhänge, zwei Samtvorhänge und ein schwerer Vorhang bei den Durchgängen („Portieren“) originalgetreu wiederhergestellt. Rekonstruiert wurden sie nach historischem Vorbild in der Paramentenwerkstatt der von Veltheim-Stiftung beim Kloster Sankt Marienberg.
August Vasels Vorfahren waren in der Blütezeit der Zuckerrübe, nachdem es gelungen war, auf allerbestem Bördeboden rund um Braunschweig durch Züchtungen den Zuckergehalt der Rüben zu erhöhen, zu großem Reichtum gekommen. „Rübenschlösser“ heißen im Volksmund die palastähnlichen und den großen Wohlstand widerspiegelnden Villen, die sich die reichen Rübenbauern nicht selten mitten im alten Dorfkern bauen ließen. Ab 1880 ließ August Vasel den 20 Jahre zuvor im Stil der italienischen Frührenaissance errichteten Bau im Westen und Osten durch einen Museumsanbau und eine Bibliothek erweitern.
Die Lebensgeschichte August Vasels, der sich mit Wilhelm Raabe Briefe schrieb, ist wohl einmalig: Bereits früh übergab der Zeit seines Lebens unverheiratete und kinderlos gebliebene Vasel die Geschäfte des Hofbetriebes einem Verwalter, um sich voll und ganz seiner großen Leidenschaft, das Reisen, zu widmen. Anfangs bereiste Vasel Deutschland, Frankreich und die Niederlande, ab 1874 begab er sich viele Male nach Italien. Er besuchte Florenz, Rom, die Regionen in Oberitalien und die Insel Sizilien. 1891 setzte er nach Ägypten über und machte darüber hinaus Halt in Griechenland und ein Jahr später in „Constantinopel“ und „Smyrna“, das heutige Izmir (Türkei). Die weitesten Reisen führten den Ethnologen nach Palästina und Syrien.
Vasel war ein Sammler, wie es im Buche steht. Über Jahrzehnte trug er auf seinen Reisen eine bedeutende kunst- und kulturgeschichtliche Sammlung zusammen. Schon damals gab es Speditionen, die den Transport der Kunstgüter aus den letzten Winkeln Europas und des Vorderen Orients nach Beierstedt (Landkreis Helmstedt) übernahmen. Nachweislich mehr als 10.000 Objekte – zum Beispiel wertvolle Kupferstiche, exotische Kunstgegenstände, archäologische Fundstücke, darunter bronzezeitliche Grabungsstücke aus dem Landkreis Helmstedt, und Braunschweiger Trachten – umfasste Vasels Sammlung. Darunter befinden sich Teile einer persischen Rüstung, ein Teetisch aus Kairo, eine Meißner Deckeldose mitgebracht aus dem Orient, das Taufkleid der Prinzessin Elisabeth Christine und Mauerbruchstücke aus Olympia und von der Akropolis in Athen. „Er hat sogar eine ägyptische Kindermumie von seinen Reisen mitgebracht, die ihm zum Kauf angeboten worden war“, weiß Fritz-Hermann Müller, heutiger Besitzer des Vasel‘schen Hofes und Nachfahre. „Doch diese verfiel, als sie ein ihm bekannter Arzt, wie damals üblich, in einer Herrenrunde öffnete.“
Imposant: Alleine die Sammlung grafischer Kunstblätter betrug rund 6500 Stück mit Unterblättern nebst Aquarellen und Handzeichnungen. Um stets einen Überblick über dieses Premiumkonvolut zu haben, ließ er eigens ein 388 Seiten dickes Buch in Wolfenbüttel drucken. Das Werk liest sich wie ein „Who is Who“ der damals begehrten Kunstwerke: darunter von Dürer, Rubens und Rembrandt. Nach Vasels Tod 1910, so war es der testamentarische Wille, wurde die Sammlung aufgeteilt und ging ans Herzogliche Museum (heute Herzog Anton Ulrich-Museum), an die Museumsinsel in Berlin und nach Nürnberg, also dorthin, wo die Sammlerstücke Vasels Meinung nach am besten aufgehoben waren. Der schriftliche Nachlass und die Briefe an Vasel befinden sich heute im Niedersächsischen Landesarchiv – Standort Wolfenbüttel, ein Teil der Büchersammlung fand Aufnahme in der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel.