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Außergewöhnliches zum Erinnern

In der Maschinenhalle von Cederbaum findet das dritte Memorialkonzert statt. Foto: BSL
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Das dritte Memorial-Konzert des Staatsorchesters thematisiert die Bücherverbrennung 1933 und die Zerstörung der jüdischen Synagoge 1938.

Es ist ein besonderes Konzert, an einem besonderen Ort mit einem besonderen Anlass: Das Staatsorchester Braunschweig thematisiert mit seinem „Memorial III – zerstörtes Denken“ die Bücherverbrennung durch die Nationalsozialisten. 85 Jahre nach der Reichspogromnacht findet das Konzert am 10. November (18 Uhr) in einer Papier-Recycling-Halle der Cederbaum Container GmbH statt. In der Halle werden für gewöhnlich Bücher geschreddert und gepresst. Gespielt wird in dem  temporären Konzertsaal unter anderem die „Todesfuge“ des Braunschweiger Komponisten Dieter Salbert (1932 – 2006). Eintrittskarten für das Konzert sind an der Kasse des Staatstheaters (18 Euro) sowie an allen bekannten Vorverkaufsstellen erhältlich. Es stehen insgesamt 400 Plätze zur Verfügung.

Seit 2008, dem 75. Jahrestag der Reichspogromnacht, veranstalten Stadt, Jüdische Gemeinde, Staatstheater und der Verein Braunschweigische Landschaft nach den kreativen Ideen von Orchesterdirektor Martin Weller in fünfjährigem Abstand Memorial-Konzerte. Weller ist auch ehrenamtlicher Leiter der AG Musik in der Braunschweigischen Landschaft. Bei der Vorstellung des diesjährigen Programms sagte er, dass die Konzerte auch die Haltung des Orchesters zur Situation in der Gesellschaft widerspiegelten.

„Es ist eine Grenze erreicht, die sehr bedenklich ist“, verdeutlichte die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinschaft in Braunschweig, Renate Wagner-Redding,  den politischen Aspekt der Konzerte. Rechtsradikale und antisemitische Äußerungen würden heute wieder als normal hingenommen. „Spektakuläre Veranstaltungen wie die Memorial-Konzerte führen hoffentlich dazu, dass über die Vergangenheit etwas mehr nachgedacht wird“, meinte sie.

Das erste Memorial-Konzert fand als Benefizveranstaltung unter der Eisenbahnbrücke an der Helmstedter Straße vor 1200 Zuhörern statt. Auf den auf der Brücke liegenden Schienen verlief einst der Deportationsweg der verschleppten Braunschweiger Juden. Mit der Rekonstruktion der Einweihungsfeier vom 23. September 1875 der Braunschweiger Synagoge, die 1938 in Brand gesetzt worden war, wurde die Reihe im Jahr 2013 in der Stadthalle fortgesetzt. Die Kubatur der ehemaligen Synagoge war durch Stoffe nachgestellt worden, auf denen Filmsequenzen marschierender Nazis liefen.

Bei beiden Aufführungen war Kälte ein wesentlicher künstlerischer Aspekt, weil sie die Leiden der jüdischen Opfer in besonderer Art und Weise symbolisiert, wie Matin Weller erläutert. Die Stadthalle war seinerzeit sogar extra heruntergekühlt worden, damit die Zuhörer frösteln konnten. Diesmal wird wieder diese besondere, kühle Atmosphäre herrschen. Die Cederbaum-Maschinenhalle ist ungeheizt.  Der Wetterbericht sagt 13 Grad Außentemperatur voraus.

Beim dritten Memorial-Konzert wird das Staatsorchester unter der musikalischen Leitung von Alexis Agrafiotis die Suite für Kammerorchester, op. 37, von Erwin Schulhoff, „Lachrymae – Reflections on a Song of Dowland“ op. 48a von Benjamin Britten, „The unanswered question“ von Charles Ives und „Todesfuge“ nach dem gleichnamigen Gedicht von Paul Celan in der Vertonung von Dieter Salbert spielen. Die „Todesfuge“ kommt unter Einbindung des Projektchores aus Mitgliedern des Schulchores Mkantat und des Konzertchores Braunschweig unter der Leitung von Matthias Stanze zur Aufführung. Als Solistinnen und Solisten treten auf: Sara Kim (Viola), Diana Dulska (Sopran) und Klaus Lembke (Sprecher).

„Martin Weller gelingt mit seinen Kreationen  eine einzigartige Verbindung zwischen Raum und Musik“, anerkannte Dagmar Schlingmann, Intendantin des Staatstheaters. „Es wird allgemein sehr viel über die Zukunft, aber sehr wenig über die Vergangenheit gesprochen“, meinte sie weiter. Mit den Memorial-Konzerten werde auf hervorragende Art und Weise auf wichtige historische Daten hingewiesen. Für die Stadt seien das Mitwirken und das Bereitstellen eines Budgets Bekenntnisse zur jüdischen Gemeinde, sagte Anja Hesse, Kulturdezernentin Braunschweigs. Sie nannte die Memorial Veranstaltungsreihe außergewöhnliche, vielleicht sogar einmalige Erinnerungskultur an das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte.

Mit den bisherigen Memorial-Konzerten wurden die Themen, Musik, Architektur und Literatur aufgegriffen. Was noch fehlt ist in fünf Jahren die Bildende Kunst.

Neben dem Konzert finden in diesem Jahr noch zwei weitere künstlerische Beiträge statt. Den Auftakt bildet eine Lesung am Donnerstag, 8. November (19 Uhr),  in der Jüdischen Gemeinde, Steinstraße 4, im Anschluss an die offizielle Kranzniederlegung an der ehemaligen Synagoge. Unter dem Leitgedanken „Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht…“ (Heinrich Heine) lesen die Schauspielerin Sabine Waibel und der Schauspieler Götz van Ooyen Texte von jüdischen Autorinnen und Autoren.

Den Abschluss bildet das 3. Sinfoniekonzert in der Stadthalle Braunschweig am 11. November (11 Uhr Uhr) und am 12. November (20 Uhr), bei dem das Staatsorchester Werke von Erich Wolfgang Korngold, und Felix Mendelssohn Bartholdy spielt.

Reichspogromnacht in Braunschweig

Aus dem Programmheft von Annette Boldt-Stülzebach (Stadt Braunschweig):

„ln Braunschweig sorgte der Nationalsozialistische Deutschen Studentenbundes (NSDStB) dafür, dass am 10. Mai 1933 auf dem Schlossplatz in Braunschweig, wie in 21 weiteren deutschen Universitätsstädten, die Literatur-Scheiterhaufen mit Werken jüdischer, marxistischer, pazifistischer und anderer oppositioneller oder politisch unliebsamer Schriftsteller bestückt wurden und brannten. Mit dem Rektor Prof. Dr. Hormann an der Spitze waren die Studenten von der Technischen Universität zum Schlossplatz gezogen und konnten sich nach erfolgreichen Aufrufen der großen Anteilnahme der Bevölkerung sicher sein, die Exemplare der in den „Schwarzen Listen“ gebrandmarkten Bücher aus ihren Bücherregalen mitbrachten. Allein 640 Bände aus dem Bestand der Technischen Hochschule wurden vernichtet, weitere ca. 240 Bücher aus der Bücherei des Studentenwerkes und 117 Bücher aus der Öffentlichen Bücherei: Ernst Bloch, Helene Deutsch, Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger, Alfred Hermann Fried, Leopold Korngold, Karl Kraus, Else Lasker-Schüler, Arthur Schnitzler, Wilhelm Adolf Carl Sternheim, Kurt Tucholsky, Arnold, Stefan Zweig und viele mehr sollten ausgelöscht werden.

Bereits am 9. März 1933 war es in Braunschweig jedoch schon zu einer nichtstudentischen Bücherverbrennung vor dem Volksfreundehaus (Schlossstraße/Ölschlägern) gekommen. Nach der Besetzung des Volksfreundhauses verbrannten Mitglieder der SA am Ackerhof Bücher, Unterlagen und Fahnen, die zuvor aus dem sogenannten `Roten Schloss` geholt worden waren.“

Fotos

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