Beethoven in Kanzlerfeld – Verein hilft jungen Musikern
Der Braunschweiger Verein Kinderklassik ermöglicht jungen Musikern aus der Region auch in Corona-Zeiten Auftritte – und damit Einnahmen.
Ja, etwas schwer durchzukommen war es durchaus. Ein Junge wartete unentschlossen auf der Breitscheidstraße in Kanzlerfeld, gestoppt von den Menschen, die es sich da mitten auf der Straße auf ihren Gartenstühlen bequem gemacht hatten. Aber ums Durchkommen ging es am diesem vergangenen Samstagmittag auch gar nicht. Es ging ums Innehalten, ums Lauschen, ums Genießen. Die rund 40 Menschen waren gekommen, um die Wolfsburger Pianistin Nicole Rudi am Digitalflügel und die Braunschweiger Mezzosopranistin Nora Maria Eckhardt zu hören, die an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover studieren.
Dieser Artikel ist zuerst erschienen am 18.09.2020 (Bezahl-Artikel)
Ein Konzert mit Beethoven, Mozart, Rachmaninow und Chopin vor Hausnummer 16 unter einem Himmel fast ohne Wolken, begleitet von dem leisen Rauschen des Windes in den Baumkronen. Selbst der Junge, der es eilig hatte, wartete, bis das eine Lied verklungen war, um sich dann schnell durch die Menge zu schlängeln. Gehört haben dürfte er die Lieder aber noch einige Zeit weiter auf seinem Weg. Die Klassik erfüllte Kanzlerfelds Südwesten.
Corona ist Hindernis für den Nachwuchs
Und das alles, sie ahnen es vielleicht schon, hat mit Corona zu tun. Ilka Schibilak steckt hinter den Konzerten unter freiem Himmel. Der Verein Kinderklassik, dem sie vorsitzt, hat es sich zur Aufgabe gemacht, bei Kindern und Jugendlichen das Interesse an klassischer Musik zu wecken und zu fördern und junge Nachwuchsmusiker unter anderem durch Auftrittsmöglichkeiten in ihrer musikalischen und künstlerischen Entwicklung zu unterstützen.
Doch seit Mitte März gebe es kaum noch Gelegenheiten für Auftritte, sagt Schibilak. „Besonders trifft das Nachwuchsmusiker, die kurz vor ihrem Abschluss stehen.“ Nicht nur Konzerte, auch abgesagte Wettbewerbe bremsten die Musiker aus. Wer durchstarten wolle, habe schlechte Karten. „Für die Karriere ist das eine Katastrophe.“ Und im kommenden Jahr könne es genauso weitergehen. Zu spüren bekommen habe das auch Nicole Rudi hart, die sich nach erfolgreichen Wettbewerben für eine Chinatournee qualifiziert hatte, die in diesem Jahr stattfinden sollte. Nachgeholt werde diese Tournee nicht, sagt Schibilak. „Da greift keine Versicherung. Sie muss die Wettbewerbe wieder mitmachen in der Hoffnung, dass alles gefällt.“
Klavier, Cello und Tuba auf dem Tennis-Court
Mit den privaten Konzerten will Schibilak mit ihrem Verein den Musikern nun zumindest eine Einnahmemöglichkeit bieten. Nach dem Auftritt gingen am Samstag zwei Hüte durch die Zuschauerreihen. Die Spenden gehen direkt an die Künstler. Unterstützung erhielt Schibilaks Idee der Open-Air-Konzerte von der Hilfsorganisation Kiwanis Deutschland, die dem Verein den Kauf eines Digitalflügels ermöglichte. „Da der Flügel nur 100 und nicht 450 bis 600 Kilogramm wiegt wie ein normaler Konzertflügel, lässt er sich gut transportieren“, sagt Schibilak. So werden die Konzerte erst vergleichsweise unkompliziert möglich. Weitere Unterstützung kam von der Braunschweigischen Stiftung.
Acht Konzerte in Braunschweig und Wolfenbüttel mit jungen Künstlern aus unserer Region sind so schon auf die Beine gestellt worden. Gastgeber waren Privatpersonen. Und zwei weitere Konzerte folgen: Am Samstag in einem Garten in Lamme und am Sonntag um 12 Uhr auf dem Tennisplatz 2 des Braunschweiger Tennis- und Hockeyclubs im Bürgerpark. Da wegen der Coronabeschränkungen nur eine eingeschränkte Zahl an Plätzen zur Verfügung steht, ist es nur noch möglich, das Konzert von außerhalb des Vereinsgeländes zu hören. „Aber da wird man genauso gut hören wie auf dem Platz“, vermutet Schibilak. Marie Rosa Günter aus Lucklum spielt Klavier, Stanislas Kim Cello und Peter Kanya Tuba.
Menschen erreichen, die nie ins Konzert gehen würden
Gerne würde Schibilak die Reihe „Digitalflügel auf Reisen“ im kommenden Jahr wieder auflegen und hofft auf Förderer, die sie dabei unterstützen. Und sie hofft natürlich auch auf Menschen, die ihren Garten, ihre Einfahrt, ihren Carport oder ihr Scheune für Konzerte zur Verfügung stellen. „Wir müssen auf Open Air setzen, sonst haben die Künstler keine Chance, Geld zu verdienen.“
Und ganz nebenbei, sagt Schibilak, erreiche man mit diesen Konzerten noch „Menschen, die nie ins klassische Konzert gehen würden“. Eine niedrigschwellige Form der Musikvermittlung seien die Konzerte. Und manchmal muss man nicht mal aktiv teilnehmen. „Man kann auch einfach vom Fenster oder dem Balkon aus mit dem Blick auf die Straße zuhören.“ Klassik für alle.
Dieser Artikel ist zuerst erschienen am 18.09.2020 und erreichbar unter: https://www.braunschweiger-zeitung.de/braunschweig/article230446438/Beethoven-in-Kanzlerfeld-Verein-hilft-jungen-Musikern.html (Bezahl-Artikel)