„Begeisterung kommt schon noch“
SBK-Präsident Gert Hoffmann diskutierte in Berlin mit einer hochkarätigen Experten-Runde über Schloss-Rekonstruktionen.
„Seitdem ich das rekonstruierte Schloss in Braunschweig gesehen habe, sind mir die letzten Zweifel daran geschwunden, dass es eine gute Idee ist, auch das Berliner Schloss wieder aufzubauen“, schrieb B-Z.-Chefreporter Gunnar Schupelius im Mai 2007 nach seinem Besuch in Braunschweig. Seinen Beitrag hatte er vollmundig mit „Ich war in Braunschweig und habe die Zukunft Berlins gesehen“ überschrieben. Und ja, mittlerweile wird auch in Berlin das Schloss tatsächlich wieder aufgebaut.
1443 war es als Residenz der Hohenzollern gegründet und 1950 zu DDR-Zeiten gesprengt worden, um dem Palast der Republik Platz zu machen. Doch auch der ist mittlerweile Vergangenheit. Derzeit wird das Berliner Stadtschloss als Humboldt-Forum an seinem alten Platz an drei Fassadenseiten originalgetreu rekonstruiert. Wie der Neubau später im Volksmund genannt wird, sei dahingestellt. Noch ist das Schloss allerdings erst ein Betonklotz. Es fehlt das Gesicht der historischen Fassade und damit auch die breite Rückendeckung in der Bevölkerung.
Parallelen zur damaligen Situation in Braunschweig vor ziemlich genau einem Jahrzehnt zog Braunschweigs damaliger Oberbürgermeister und heutiger Präsident der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz (SBK), Gert Hoffmann, während einer Podiumsdiskussion in der Berliner Nikolaikirche zum Thema „Schlösser. Schloss. Schlüssig? Was macht ein neues Schloss mit einer alten Mitte?“. Hoffmann prophezeite den Berlinern einen „emotionalen Effekt“, wenn die Bürger das Schloss schließlich in seiner vollen Pracht sehen und erleben könnten. Am Anfang der Debatte in Braunschweig seien anfangs 59 Prozent gegen die Rekonstruktion gewesen, bei der neuesten Umfrage habe es aber breite Zustimmungswerte von 85 Prozent gegeben.
Auf dem Podium in Berlin saßen mit Prof. Horst Bredekamp, Gründungsintendant des Humboldt-Forums, Prof. Hans Stimmann, Stadtbaurat Berlins a.D. und Jury-Mitglied des Wiederaufbauprojekts Königsberger Schloss, Prof. Theresa Keilhacker, Vizepräsidentin der Berliner Architektenkammer und Prof. Peter Kulka, Architekt und Neues Foyer des Dresdner Residenzschlosses, neben Hoffmann durchweg ausgewiesene Schloss-Experten. Die von Harald Asel moderierte Debatte ist am 4. Dezember um 11.05 Uhr und 20.05 Uhr im Inforadio des rbb zu hören. Darüber hinaus ist sie auf inforadio.de ein Jahr lang abzurufen.
Die Rekonstruktion historischer Schlossbauten ist längst nicht nur in Braunschweig oder Berlin ein großes Thema. Deswegen war der Kreis der Diskutanten so gewählt, dass eben auch Dresden und Potsdam und sogar das heutige Kaliningrad miteinbezogen werden konnten. Einigkeit herrschte bei allen darin, dass die Rekonstruktion alter Schlösser städtebauliche Kriegswunden heile und die Schlösser historisch gewachsene Funktionen wieder wahrnehmen können. Hoffmann sprach wegen des Zusammenhangs mit dem Einkaufszentrum Schloss-Arkaden von einer „Sonderlösung Braunschweig“. Anders wäre die Rekonstruktion nicht realisierbar gewesen. Gleichwohl erfülle das Schloss die Aufgabe, die Mitte der Stadt neu zu beleben, wenngleich der Burgplatz mit dem Löwen das eigentliche Braunschweiger Herz geblieben sei. „Entscheidend für die Akzeptanz in der Bevölkerung war die Kultur. Im Schloss sind mit Stadtbibliothek, Stadtarchiv, Kulturinstitut, Veranstaltungssaal und Schlossmuseum nicht-kommerzielle Nutzungen untergebracht“, argumentierte er.
Auf dem Podium gab es übrigens keinerlei negative Bemerkungen über die Symbiose von Kommerz und Kultur. Allein die Tatsache, dass mit Hoffmann ein Braunschweiger Vertreter in Berlin mit auf dem hochkarätigen Podium saß, ist Ausdruck der gewonnenen Akzeptanz, die der Braunschweiger Weg mittlerweile weit über die Stadtgrenzen hinaus genießt. Prof. Kulka machte deutlich, worum es bei Schlossrekonstruktionen im Wesentlichen geht: um lebenswerte Städte für die Menschen. Städte und Menschen seien zwar heute völlig unterschiedlich im Vergleich zu den Zeiten als die Schlösser dereinst gebaut worden waren. Es gebe neue Bedürfnisse und Erwartungen. Was aber geblieben ist: „Menschen brauchen Zentren. Die Städte leiden unter dem Verlust von Identität in ihrer Mitte. Rekonstruierte Schlösser können jedoch wieder Dreh- und Angelpunkte werden. Sie sind ein Anfang und eine Hoffnung“, meinte Kulka, der auch in der Jury zur Braunschweiger Schloss-Rekonstruktion gesessen hatte.
Als entscheidend für eine gelungene Integration rekonstruierter Schlösser in das existierende Stadtbild wurden die Gestaltung des Umfelds und das Schaffen neuer urbaner Räume angesehen. In Berlin wird da aktuell kontrovers gestritten. In diesem Zusammenhang verwies Hoffmann auf die Rückkehr der Reiterstandbilder von Carl Wilhelm Ferdinand und Friedrich Wilhelm vor das Schloss. Er erinnerte daran, dass sich dabei um eine bürgerschaftliche Initiative gehandelt habe. Hoffmann sprach sich in der Berliner Debatte dafür aus, den Neptunbrunnen wieder auf den Schlossplatz zu verlagern, um wie die Reiterstandbilder in Braunschweig die ursprüngliche städtebauliche Bedeutung zurückzuerhalten. Ebenso befürwortete er den in der Bundeshauptstadt gleichfalls umstrittenen Wiederaufbau der Schloss-Kolonnaden aus.
„Das Schloss hat städtebaulich eine Wunde geschlossen, gibt der im Krieg zu 90 Prozent zerstörten Innenstadt ihr Herz zurück. Braunschweig hat seine Geschichte wiedergewonnen. Ich spüre auch Berlin wird sie wiedergewinnen“, schloss Gunnar Schupelius vor zehn Jahren seinen Bericht aus Braunschweig. Es sieht so aus, als sollte er Recht behalten. Spätestens nach der Debatte in der Nikolaikirche ist klar, die Schlossrekonstruktion an sich ist nicht mehr umstritten. Jetzt geht es um Konzepte und um Ausgestaltung. Und am Ende steht dann das Aha-Erlebnis. So wie in Braunschweig.
Zum Video „Schloss“ aus der Reihe „Braunschweigische Spaziergänge“: https://www.der-loewe.info/braunschweigische-spaziergaenge/