Beliebter Kollege aus Syrien
Die AWO-Migrationsberatung am Steinweg unterstützt Migranten, geeignete Praktikumsplätze bei Braunschweiger Unternehmen zu finden.
Julia Gede hat ihren Traumjob gefunden. Dies wird beim Interview im Café Britannia am Steinweg in unmittelbarer Nähe zum Büro der AWO mehr als deutlich. Die studierte Germanistin ist die Projektleiterin der AWO-Praktikumsbörse für Migrantinnen und Migranten. Viel Arbeit, aber eine gerade in dieser Zeit wichtige Tätigkeit. Auch für in Braunschweig und im Umland lebende Flüchtlinge sucht sie passgenaue Praktikumsmöglichkeiten.
Aktuell kümmert sich der Fan von Science-Fiction-Literatur um 70 Zuwanderinnen und Zuwanderer aus 22 Ländern. Darunter befinden sich auch viele Flüchtlinge aus Krisengebieten wie Syrien. Gerade im Aufbau: Ein neues Online-Portal soll die Vermittlungschancen von Praktikumsplätzen bei Unternehmen der Region Braunschweig weiter erhöhen. Zurzeit arbeitet Julia Gede noch als Honorarkraft. Wenn die Finanzierung gelingt, soll sie aber für ihre Aufgabe eine Festanstellung bekommen.
Seit Oktober 2014 existiert die Praktikumsbörse als Projekt bei der AWO-Migrationsberatung, bei der fünf festangestellte Mitarbeiter, zehn Honorarkräfte und einige Ehrenamtliche tätig sind. Die Idee zu dem einmaligen Projekt hatten die AWO-Berater um Martin Stützer und dem ehrenamtlichen Job-Coach Bernd Karolat. Viele Teammitglieder stammen selber aus anderen Ländern.
Langeweile kommt bei Julia Gede selten auf. Rund um die Uhr telefoniert die gebürtige Neuenkirchenerin zum Beispiel mit der Bundesagentur für Arbeit, der Handwerkskammer Braunschweig-Lüneburg-Stade, der IHK Braunschweig und dem Arbeitgeberverein Region Braunschweig, um Migranten, unter ihnen zunehmend mehr Flüchtlinge, in Praktikumsstellen zu bringen. Aber natürlich auch mit den vielen Betrieben in der Region, um freie Praktikumsplätze zu finden.
„Die Migrationsberatung der AWO hilft bei der Suche nach Wohnungen, bei Terminkoordinierungen, beim Briefe und Bewerbungen schreiben“, so Gede. Als Germanistin mit Uniabschluss an der TU Braunschweig ist Gede wie geschaffen dafür, die Sprachkenntnisse der Flüchtlinge und Migranten zu überprüfen. Die AWO-Migrationsstelle berät vorrangig Hilfesuchende, die bereits über einen Aufenthaltstitel in Deutschland verfügen. Die noch keinen besitzen, um die kümmert sich die Flüchtlingshilfe Refugium e. V., die ihr Büro über die Straße hinweg ebenfalls auf dem Steinweg hat.
Die 36-Jährige: „Wir wollen den Menschen, die zu uns kommen, eine Perspektive geben. Wir hören Ihnen zu und nehmen jeden Einzelnen und jede Einzelne ernst, auch wenn natürlich nicht immer ein Praktikumsplatz am Ende herausspringt.“
„Die Menschen, denen wir helfen konnten, sind sehr stolz auf ihre neue Tätigkeit. Es macht mir unheimlich viel Spaß zu sehen, wie die Menschen sich entwickeln, aber auch wie fröhlich sie mit ihren Kollegen umgehen“, so Julia Gede, die in der Stunde Null des besonderen AWO-Projektes große Unterstützung durch Izabela Rzepczyk hatte. Ca. 30 Männer und Frauen haben bereits einen Praktikumsplatz erhalten. Ganz wichtig sei das Erlernen der deutschen Sprache, betont Gede. „Das Lernen von Sprache führt zu direkten Kontakten im Alltag und im Job.“ Jeder, der in die Migrationsberatung komme, werde beraten, unterstreicht Gede.
Unter dem Motto „Leben in Braunschweig“ bietet die AWO-Migrationsberatung mindestens einmal in der Woche ein Programm für Neuzuwanderer an, wie es bunter nicht sein kann. Pilzwanderungen, gemeinsames Kochen, Theaterbesuche, ein Besuch der Komödie am Altstadtmarkt (Stück „Hotel Mama“), Bowlingabende, Bouldern (Klettern an künstlichen Kletterwänden), Besuch der Burg Dankwarderode und vieles mehr stehen auf dem Flyer.
Wer sich an das Projekt Praktikumsbörse wendet, stammt vor allem aus Polen, Eritrea, Syrien, Russland, Tunesien, Kamerun, Nigeria und Kasachstan. 70 Prozent der über die AWO einen Praktikumsplatz suchenden sind Akademiker.
Julia Gede freut sich über eine ganze Reihe geglückter Praktikums-Vermittlungen berichten zu können. Der Syrer Majed Nazer, der in Damaskus Wirtschaftswissenschaften studiert hat, begann im Sommer 2015 zusammen mit den neuen Azubis der Braunschweigischen Landessparkasse ein Praktikum. „Bereits nach der ersten Woche wurde Mahjed von den Kollegen geliebt. Er ist sehr freundlich und äußerst gebildet“, berichtet Julia Gede, während sie die englische Bulldogge des Café-Besitzers krault. „Es ist eine echte Win-Win-Situation, denn Mahjed ist, soviel ich weiß, der einzige im Unternehmen, der Arabisch als Muttersprache hat.“
Dies ist beileibe nicht die einzige Erfolgsgeschichte: Die Afrikanerin Anne Marie Ondo Meva übt mittlerweile nach einem von der AWO vermittelten Praktikum und einer Honorartätigkeit einen Minijob in der Anwaltskanzlei Julia Leip aus. Die junge Frau, die über eine Familienzusammenführung nach Europa kam und mittlerweile über einen unbefristeten Aufenthaltstitel verfügt, hatte in Kamerun französisches Recht studiert, eine Zulassung als Rechtsanwältin blieb ihr jedoch in Deutschland verwehrt. Doch durch Anne Marie Ondo Meva kann die Kanzlei jetzt auf dem französischen Markt tätig werden.
Mit Hilfe des Service-Portals www.awo-praktikum.de soll es bald noch leichter werden, durch anonyme Bewerberprofile Praktikumsplätze für Migranten und Flüchtlinge zu bekommen. Der Online-Redakteur wird mit Hilfe der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz und der Bürgerstiftung Braunschweig finanziert.
Fotos