Braunschweig-Gemälde unterm Hammer: 40.000 Euro für dieses Werk
Zwei Ansichten der Martinikirche standen zur Auktion. Wie die Versteigerung lief und warum Braunschweig-Kenner irritiert sein dürften.
Taxiert wurde das Gemälde von Michael Neher auf 30.000 bis 40.000 Euro. Erbracht hat es 40.320 Euro: Das gab Jan Bykowski, Sprecher des Kölner Kunsthauses Lemperz, am Montag auf Anfrage unserer Zeitung bekannt. Die Ansicht der Martinikirche vom Eiermarkt aus gesehen aus dem Jahr 1862 wurde gemeinsam mit etwa 100 weiteren Werken bei einer Auktion in Berlin versteigert. Zusammen bilden die Gemälde die Privatsammlung eines Kunstfreundes, deren Erben die Versteigerung veranlassten.
Dieser Artikel ist zuerst erschienen am 28.10.2024
Laut Bykowksi wurden mehrere Gebote auf das Gemälde abgegeben, bevor der Hammer fiel. Das Ergebnis lag dabei deutlich unter dem, was das Bild noch vor zehn Jahren erbrachte. Andreas Büttner vom Stadtmuseum Braunschweig hatte im Vorfeld herausgefunden, dass es im Jahr 2014 für 78.000 Euro verkauft wurde. Mit 50.000 bis 60.000 Euro wurde vorab das Gemälde von Cornelius Springer veranschlagt, das ebenfalls zur Auktion stand – aber nicht verkauft wurde. Laut Kurator Büttner wurde es im Jahr 2004 für 140.000 Euro verkauft. „Die Romantik ist nicht der aktuelle Geschmack“, urteilte Büttner im Gespräch mit unserer Zeitung.
Trotzdem: Mehrere tausend Euro sind viel Holz für Normalos, zumal in Zeiten von Inflation und wirtschaftlicher Unsicherheit; aber die Zielgruppe von Auktionen wie dieser dürfte eher aus Kunsthändlern und gut betuchten Liebhaberinnen und Liebhabern bestehen. Eingeschweißten Braunschweiger Lokalpatrioten fällt beim Blick auf die beiden Werke sowieso ziemlich schnell auf: Hier stimmt was nicht.
Stadtansichten waren Statussymbole: Braunschweig hing am Münchner Hof
Unter den Hammer kamen Michael Nehers Gemälde „Die St. Martinskirche in Braunschweig“ (in der Stadt selbst würde man sie wohl nie so nennen) aus dem Jahr 1862 und Cornelius Springers Werk „Marktplatz vor der Martinikirche in Braunschweig“ von 1874. Beide sind Beispiele der sogenannten Vedutenmalerei, erklärt Jan Bykowski, Pressesprecher des Kunsthauses, im Gespräch mit unserer Zeitung. Man könnte auch sagen: Stadtansichten. „Der Sammler hat beispielhafte Werke aus den Hochzeiten der Architekturmalerei zusammengestellt“, so Bykowski, „so eine kompakte Sammlung zu einer Kunstgattung ist selten zu finden.“
Die Stadtansichten seien von den auf sie spezialisierten Malern mal als Auftragsarbeit, mal „auf Verdacht“ angefertigt worden. „Sie wurden häufig von gut betuchten Käufern erworben und als Statussymbol zum Beispiel in Amtsstuben gehängt“, sagt Bykowksi. So war der erste Käufer der Martinikirche von Michael Neher niemand anders als der bayerische König Ludwig I. „Er war ein großer Freund von Stadtansichten“, sagt Bykowksi.
Michael Neher malte Braunschweiger Martinikirche mit Altstadtbrunnen vor der Tür
Was aber ist von diesen Ansichten zu halten? Auf den ersten Blick wirken die Gemälde harmonisch; die Martinikirche ist vor allem auf Nehers Gemälde eindeutig zu erkennen. Die charakteristischen Türme, die Giebel, – aber Moment: da steht ja der Altstadtbrunnen vor den Kirchtüren, und der befindet sich bekanntermaßen auf dem Altstadtmarkt. „Die Malerei bietet die Freiheit, die Komposition anzupassen“, sagt Andreas Büttner, Kurator für Malerei am Städtischen Museum, „und damals stand die Malerei schon in Konkurrenz zur Fotografie.“
Womöglich, um ein besonders majestätisches Bild der Stadt festzuhalten, versetzte der Maler den Marienbrunnen also dahin, wo der Eiermarkt liegt. Tatsächlich dürfte sich hier damals eine freie Fläche befunden haben, sagt Büttner, nachdem ein Friedhof samt Friedhofskapelle abgetragen worden war. Der versetzte Brunnen ist aber nicht der einzige „Fehler“ im Gemälde. „Die Kirche ist zusammengeschoben“, sagt Büttner; der verzierte Abschnitt mit der Tür befindet sich eigentlich weiter östlich. Außerdem sind die Türme in der Realität gerade, nicht nach oben zulaufend. Das Dach der Annenkapelle hingegen sei damals tatsächlich kuppelförmig gewesen, sagt Büttner. Auch Dachreiter und Glockenturm gehörten damals zur Martinikirche, sie wurden später abgetragen.
Münchner Maler Michael Neher malte Handelstreiben vor Braunschweigs Martinikirche
Der Münchner Maler Michael Neher (1798-1867) sei bekannt für seine Vedutenmalerei, sagt Andreas Büttner, habe sich aber auch in der Landschafts- und Genremalerei verdingt. „Seine Werke sind lieblicher und schönfärberischer als die von Cornelius Springer“, sagt Büttner. Der holländische Maler Springer (1817-1891) sei dagegen spezialisiert gewesen auf Stadtansichten, vor allem solche aus Holland, aber auch aus Norddeutschland. Und so machte Springer aus der aus Naturstein gebauten Martinikirche einen Backsteinbau – womöglich für den nordischen Flair.
Vor allem aber wird es Springer darum gegangen sein, Braunschweig als Handelsstadt zu portraitieren. Das Markttreiben steht klar im malerischen Fokus, während bei Neher die Kirche selbst im Zentrum steht. Springer lässt einen Abschnitt des Altstadtrathauses vor die Kirche springen, alles wirkt gedrängter als in der Realität. Büttner sieht in dem Gemälde eine verklärte Darstellung von Tradition. Die bäuerlichen Menschen, die den Handel in die Stadt bringen, die alten Gebäude. „Das Althergebrachte drohte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu verschwinden“, sagt er, „die Innenstadt veränderte sich zum Beispiel durch den Bahnhofsbau stark.“ Okerarme seien kanalisiert, Fachwerkhäuser in großer Zahl abgerissen worden. Das Gemälde hingegen verewigt Geschichtliches und Ehrwürdiges.
Welches Bild sagt dem Braunschweiger Kunsthistoriker mehr zu? „Ich würde eher das von Neher nehmen, aber das ist persönliche Vorliebe“, sagt Büttner. Dem Stadtmuseum würde es wohl durchaus gefallen, beide Gemälde in die Sammlung aufzunehmen. Realistisch ist das angesichts der knappen Stadtkasse aber nicht.
Dieser Artikel ist zuerst erschienen am 28.10.2024 und erreichbar unter: www.braunschweiger-zeitung.de/niedersachsen/braunschweig/article407516969/teure-braunschweig-gemaelde-finden-sie-die-fehler.html