Braunschweiger Buch: Musik als Medium der Reformation
Eine dicke Aufsatzsammlung beleuchtet, wie sich Luthers Lehre erstaunlich schnell verbreitete. In Wort und Bild und Liedern.
Dass das Mönchlein aus Wittenberg eine solche Volksbewegung auslösen konnte mit Gedanken zu Theologie und Glaube, muss uns im Multimedia-Zeitalter, in dem nicht immer die tiefschürfendsten Formate die meisten Clicks und Follower generieren, schon wundern. Aber mit seinem zum Teil recht derben Dem-Volk-aufs-Maul-Schauen bekannte sich Martin Luther zu einer emotional vermittelten Geisteshaltung, die mit tüchtigen deutschen Worten Klartext reden wollte, wo andere auf ihre lateinisch verschlüsselte Oberhoheit und Weihrauch setzten.
Dieser Artikel ist zuerst erschienen am 01.04.2019. (Bezahl-Artikel)
Zahlreich waren die Vorträge, die im Jubiläumsjahr der Reformation zu Themen wie Gewissensentscheidung und der nach wie vor zwiespältigen Freiheit eines Christenmenschen in Braunschweig gehalten wurden. Ein dicker Band der Reihe „Beiträge zur Geschichte der evangelisch-lutherischen Landeskirche Braunschweig“ fasst nochmal viele zusammen. Ein Schwerpunkt liegt auf den medialen Vermittlungen von Luthers Thesen und Auslegungen.
Dabei werden etwa die Bildtafeln aus dem Chor der Brüdernkirche wieder in den Blick genommen, die den alten Kirchenvätern ihr Bild ließen, diese Ahnengalerie aber um die neuen evangelischen Lehrer von Jan Hus bis Luther und Melanchthon ergänzten. Die Bibliothek der Goslarschen Marktkirche wie die Celler Schlosskapelle als Gesamtkunstwerk rufen Aspekte wie (Selbstaus-)Bildung und Visualisierung eines evangelischen Weltbildes auf. Was wäre die Reformation ohne Flugblätter und -schriften? Die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern trug zur Verbreitung der neuen Ideen bei, er wurde ihr wesentliches Medium.
Obwohl nur circa fünf Prozent der Menschen damals überhaupt lesen konnten? Andreas Waczkat legt in seinem Beitrag über „Die Musik als Herzschlag der Reformation“, damit den ehemaligen Ratsvorsitzenden der evangelischen Kirche Nikolaus Schneider zitierend, auf die mündliche Verbreitung von Luthers Lehren seinen Schwerpunkt. Es waren oft Predigten, mit denen wortgewandte, womöglich durch Flugschriften informierte Priester auf die Gedanken ihrer Gemeindeglieder wirkten. Und es waren Lieder, in denen evangelische Zentralgedanken dargelegt, aber auch Gemeinschaft erfahren wurde.
Luther nutzte dabei bewusst bekannte Melodien, die bereits populär waren, und gab ihnen neue, deutsche Texte, deren Inhalte sich mit Versmaß und Melodie verbanden und in die Herzen und Hirne brannten. Einige Melodien schuf er, der als Kind in der Kurrende gesungen hatte, an der Uni die Laute zu spielen und Kontrapunkt zu schreiben gelernt hatte, selbst.
Manche Anhänger taten es ihm gleich, so Paul Speratus: „Es ist das Heil uns kommen her/von Gnad und lauter Güten./ Die Werk, die helfen nimmermehr,/ sie mögen nicht behüten./ Der Glaub siehet Jesum Christum an,/ der hat gnug für uns alle getan./ Er ist der Mittler worden.“ Einfacher lässt sich Luthers Gnadenlehre nicht ausdrücken. Waczkat rechnet dieses Lied zu den „katechetische Liedern“, mit denen die evangelische Konfession eingeübt wird. Von da war es nur ein Schritt zu Propagandaliedern wie „Nun freut euch, liebe Christen gmein“, mit denen die noch nicht Überzeugten gewonnen werden sollten.
Luther schuf aber auch liturgische Lieder, wie etwa das Trinitätslied „Wir glauben all an einen Gott“. Außerdem Nachdichtungen biblischer Psalmen auf Deutsch, um Gottes Wort zu popularisieren.
Schon Ende des 17. Jahrhunderts bekamen die alten Luther-Lieder Konkurrenz von neuen. Die theologische Auseinandersetzung von Luther-Orthodoxie, Aufklärung und Pietismus schlug sich auch in den Liedern nieder. Waczkat nimmt auch noch das 2017 entstandene Luther- Musical in den Blick, das explizit zum Mitsingen aufrief.
Ob es den „Herzschlag der Reformation“ trifft, stehe dahin. Die Popularität Gott preisender Spiritualchöre, aber auch ausverkaufte Kirchen bei den Kantaten und Oratorien Bachs müsste man weiterdiskutieren. Swingendes Wohlfühlen in der Konfession einerseits, musikalisch erlebbar gemachte Theologie in Bachs Passionen andererseits – ohne den „fünften Apostel“ sähe es in Deutschlands Kirchen jedenfalls oft ganz schön leer aus. Der Aufsatzband gibt zu vielerlei Gedanken Anregung und fachliches Fundament.
Dieser Artikel ist zuerst erschienen am 01.04.2019 und erreichbar unter: https://www.braunschweiger-zeitung.de/braunschweig/article216803501/Musik-als-Medium-der-Reformation.html (Bezahl-Artikel)