Braunschweigs neues Leuchtturmprojekt
Das Quartier St. Leonhard wird zum ersten integrativen Stadtviertel. Denkmalgeschütze Stallscheunen werden erhalten und saniert, fünf neue Gebäude gebaut.
Das lange vernachlässigte Quartier St. Leonhard soll zu einem sozialen und architektonischen Leuchtturmprojekt für Braunschweig werden. Die Richard Borek Stiftung will dort ein integratives Stadtviertel realisieren, in dem Menschen generationsübergreifend eine unterstützende Nachbarschaft finden, in der sie wohnen, arbeiten und lernen können – auch wenn sie mit Einschränkungen leben. Diese Vernetzung ist in ihrer inklusiven und intergenerativen Vielfalt einmalig in Braunschweig und sogar in Deutschland. Das Investitionsvolumen beträgt 35 Millionen Euro.
Die Bauplanung der Feddersen Architekten (Berlin) und die Nutzungskonzepte des Christlichen Jugenddorfwerk Deutschlands e.V. (CJD) Braunschweig, der Evangelischen Stiftung Neuerkerode (ESN) und der Borek Immobilien GmbH (BI) sind in enger Abstimmung mit der Stadt Braunschweig und mit fachlicher Beratung von Ackers Partner Städtebau (Braunschweig) entstanden. Das Vorhaben wird Anfang Dezember den politischen Gremien vorgestellt: am 2. Dezember dem Stadtbezirksrat Viewegsgarten-Bebelhof und am 9. Dezember dem Planungs- und Umweltausschuss des Rates.
„Jahrelang wurde vergeblich nach einer angemessenen Lösung für das gegenwärtig so unansehnliche Areal gesucht. Die Idee eines integrativen Stadtviertels hat mich fasziniert. Wir setzen so ein für Braunschweig ganz neues, gesellschaftliches Sozialkonzept um, und wir werten zugleich den Stadtraum an einer exponierten Ecke Braunschweigs unter Erhaltung historischer Bausubstanz auf. Innovation und Tradition werden hier in idealer Weise verknüpft. Und für beides kann ich mich begeistern“, sagt Richard Borek sen. über das beispielgebende Vorhaben.
Ideengeberin für das integrative Stadtviertel war Ursula Hellert (Gesamtleiterin CJD Braunschweig). Sie stellte ihre Vision, die nun Wirklichkeit werden soll, schon im Jahr 2009 Richard Borek vor. „Wir hatten immer den Traum, dass dieses historische Braunschweiger Areal zu etwas Besonderem werden soll, zu einem sozialen Leuchtturm für diese Stadt. Heute ist dieser Traum auf dem Sprung zur Realisierung.“ meint sie zur aktuellen Entwicklung.
Stadtbaurat Heinz Leuer bewertet die Initiative ausgesprochen positiv. „Es freut mich, dass damit neben dem BraWoPark und dem geplanten Hotel-Neubau an der Stadthalle das Umfeld um den Hauptbahnhof eine weitere Aufwertung erfährt. Dank der Sanierung und der Wiedernutzung von zwei Bestandsbauten erfährt auch der Denkmalschutz eine angemessene Berücksichtigung“, erläutert er. „Das Konzept, Lebens- und Arbeitsräumen für Menschen mit unterschiedlichen Hilfebedarfen zu vereinen, hat das Potenzial, Signalwirkung in der Stadt und auch darüber hinaus zu erzeugen. Der gut gelegene Standort und die dem Ort angemessene, hochwertige Architektur tragen dazu bei“, so Leuer weiter.
Integriert werden bei der umfangreichen Neugestaltung die beiden ehemaligen Stallscheunen, die entlang der Leonhardstraße gegenüber der Stadthalle stadtbildprägend sind. Sie werden denkmalgerecht saniert. Später werden dort ein Kultursaal und ein Café sowie Räume für Tagesförderung, Behinderten-Werkstätten und Fitness untergebracht. Abgerissen werden dagegen die Ruine der nördlich gelegenen früheren Reithalle und der südlich gelegenen einstige Pferdestall. Auf dem insgesamt knapp 15.000 Quadratmeter großen Areal werden fünf Häuser in klarer, moderner Architektursprache neu gebaut. Das markante Eckhaus an der Kreuzung Leonhardstraße/Leonhardplatz wird sechsgeschossig, die Bauten im Inneren drei- bis viergeschossig.
In den neuen Gebäuden werden unter anderem Wohnungen für Menschen mit Behinderung und für Senioren, Räume für einen „International Kindergarden“ und ein Internat, für eine Fachambulanz und eine Tagesklinik sowie für eine Diakoniestation und Arztpraxen geschaffen. Die Bruttogeschossfläche wird insgesamt knapp 25.000 Quadratmeter betragen.
„Es entsteht ein soziales Quartier, das Menschen aller Generationen Gemeinschaft und Teilhabe ermöglicht. Die Idee einer Stadt für alle nimmt hier Gestalt an“, erklärt Stefan Drees (Feddersen Architekten, Berlin) das Konzept seines Büros. Wichtiger Bestandteil ist dabei die Gestaltung des Außengeländes. Durch zwei L-förmige Neubauten ergeben sich zu den ehemaligen Stallscheunen hin zwei gefasste Hofsituationen, die lebendige Mittelpunkte bilden.
Für Sandra Morese (Ackers Partner Städtebau) ist das Konzept überraschend, aber gleichwohl sehr überzeugend in seinen städtebaulichen und funktionalen Qualitäten. „Das Architekturbüro interpretiert das historische Hofthema, indem es kleine städtebauliche Einheiten bildet und eine Abfolge von Plätzen und Höfen gestaltet. Diese unterscheiden sich je nach Funktion und Situation in ihrem Grad der Öffentlichkeit und ihrer Gestaltung. Das Konzept mehrerer Höfe wird als sehr gut geeignet und lebenswert eingeschätzt. Mit diesem Projekt wird ein schwarzer Fleck im städtischen Grundriss reintegriert und ein lebendiges Quartier geschaffen“, lautet ihr Fachurteil.
Durch den sozialen Schwerpunkt wird zudem an die ursprüngliche, mittelalterliche soziale Nutzung des Areals als Siechenhospital im 16. Jahrhundert angeknüpft. Zum Gesamtquartier gehört übrigens auch die namensgebende St. Leonhard-Kapelle aus dem 12. Jahrhundert. Sie ist nach dem Dom Braunschweigs zweitältestes noch erhaltenes Bauwerk. Mit dem ehemaligen Verwalterhaus, das heute Teil der Hans-Georg-Karg-Grundschule ist, gibt es noch ein weiteres denkmalgeschütztes Gebäude im Viertel. Die Schule ergänzt dazu den generationsübergreifenden Anspruch des Projekts.
„Zielsetzung ist es, für Menschen mit unterschiedlichsten Hilfebedarfen ein Umfeld mit zeitgemäßen Lebensräumen und gleichzeitig exzellente Bedingungen für moderne Sozialarbeit zu schaffen. Die Attraktivität eines alltäglichen Zusammenlebens von Menschen aller Altersstufen soll Isolation überwinden. Die vielfältige Wiederbelebung des Quartier St. Leonhard mit der historisch verankerten diakonischen Ausrichtung greift die Tradition christlicher Nächstenliebe in einem Konzept des unterstützenden Miteinanders aktualisiert wieder auf“, kommentiert Pastor Rüdiger Becker, Direktor der Evangelischen Stiftung Neuerkerode, die Planungen für die künftigen Mieter. Die Nähe zum Krankenhaus Marienstift und zum Alten- und Seniorenheim Bethanien wird dabei als zusätzlich förderlich angesehen.
Übersicht
Haus | Funktion |
1 + 2 (denkmalgeschützt) |
Kultursaal, Café / Tagesförderung, Werkstätten, Fitness |
3 | Stationäre Wohngruppen, Betreutes Wohnen |
4 | International Kindergarden, Kindertagesstätte, Internat |
5 | Diakoniestation, Tagespflege, Service-Wohnen |
6 | Fachambulanz, Tagesklinik |
7 | Arztpaxis, Wohnungen |
Tiefgarage | Parken |