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Das zu spät gekommene Hochzeitsgeschenk

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Objekt des Monats, Folge 9: Das Nymphenburger Hochzeitsservice wird von September an unter dem Titel „Scherben zum Glück“ im Museum Schloss Fürstenberg ausgestellt.

Das Porzellanmuseum Fürstenberg stellt von September an erstmals seit seiner Entstehung ein kostbares Service aus: Ganze 700 Teile aus feinstem Porzellan, hergestellt zur Hochzeit zweier Herrscherdynastien. Und doch wurde es wohl nie benutzt. Wie kam es dazu?
1913, ein Jahr vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, als Monarchie und deutscher Adel noch intakt waren, feierten Viktoria Luise von Preußen und Welfenprinz Ernst August III. von Hannover ihre Hochzeit. Diese aus Liebe geschlossene Ehe beendete ein halbes Jahrhundert der Feindschaft zwischen den Adelshäusern der Hohenzollern und der Welfen. Gleichzeitig bestieg somit erneut – und zum letzten Mal – ein Welfe den braunschweigischen Thron. Ein Geschenk für das braunschweigische Herzogspaar war ein 700-teiliges Hochzeitsservice, in Auftrag gegeben vom Landesdirektorium Hannover bei der Porzellanmanufaktur Nymphenburg.
Porzellan wurde als Werkstoff überaus geschätzt und erfüllte als Kunstwerk und Inbegriff höfischer Kultiviertheit einen im höchsten Maße repräsentativen Zweck. Als das Geschenk jedoch erst Anfang der 1920er-Jahre ausgeliefert wurde, konnte es diesen Zweck schon nicht mehr erfüllen.

Eine feine Adresse

Die kurfürstliche Manufaktur Nymphenburg wurde Mitte des 18. Jahrhunderts in Neudeck bei München gegründet und machte sich vor allem durch Rokoko-Porzellane einen Namen. Dort bestellte man für das Hochzeitsservice 50 Suppen-, 300 Speise- und 150 Dessertteller, 50 halbmondförmige Teller, 15 ovale und 20 runde Platten, fünf eckige Gemüseschüsseln, 15 runde Kompottschüsseln, fünf Salatschüsseln, fünf Fruchtschalen, fünf Konfektschalen, 15 Saucieren und zwölf Salzfässer. Als stilistisches Vorbild diente das erste kurfürstliche Hofservice der Manufaktur Nymphenburg aus Händen Franz Anton Bustellis, um 1765 mit aufwendigem, bunten Blumendekor und reicher Goldstaffage. Zusätzlich wurden Teile ergänzt, die auch Frankenthaler Vogeldekor mit Gittermuster zeigten, und dazu 50 verschiedene Dessertteller mit topografischen Ansichten des ehemaligen welfischen Herzogtums. Darunter sind Motive wie das Residenzschloss Braunschweig, der große Garten bei Herrenhausen und die Insel Norderney.

Fünfzig besondere Dessertteller zeigen unterschiedliche Ansichten des Fürstentums. Foto: Richard Borek Stiftung

Symbole der Macht

Besonders herausragend ist der Tafelaufsatz mit einer dazugehörigen Unterplatte, der mit seiner Höhe von 65 Zentimetern wohl das Können aller Beteiligten herausforderte. Geschaffen vom Bildhauer Josef Wackerle, ist das springende Welfenross mit Putto und einem Wappenschild dargestellt, auf dem das Hochzeitsdatum „Vierundzwanzigster Mai Neunzehnhundertdreizehn“ vermerkt ist. Auf dem gedeckten Tisch bildete der Tafelaufsatz zweifellos den künstlerischen Fokuspunkt: Die Vorderbeine des Pferdes ragen weit nach vorne über den blumenverzierten Sockel hinaus. In der Längsachse neigt sich das im Sprung begriffene Tier leicht nach links, wodurch die raumgreifende Dynamik der Bewegung unterstrichen wird. Je nachdem, wie nah die Gäste an der Tafeldekoration saßen, ergaben sich verschiedene Eindrücke. Auf die Entfernung begeisterte die dynamisch aufragende Pferdeplastik und aus der Nähe entfaltete die Unterplatte (73x62x8 cm) mit Blumendekor, Rocaillefüßen und Goldstaffage ihre Wirkung.

Der Tafelaufsatz des Porzellanservices: Das Welfenross springt über den gedeckten Tisch. Foto: Richard Borek Stiftung

Erst 1921 übergeben

Der Produktionsauftrag an Nymphenburg erfolgte jedoch zu kurzfristig, um das Prunkservice pünktlich zur Hochzeit 1913 fertigzustellen. Dazu kamen bald der Erste Weltkrieg und damit Produktionsschwierigkeiten für die Manufaktur. Erst 1921 erreichte das Hochzeitsservice die Beschenkten, als das Paar längst im österreichischen Exil lebte und ein so umfangreiches Prunkservice nicht mehr gebrauchen konnte. Der ideelle Wert des Tafelaufsatzes für die Adelsfamilie zeigt sich jedoch in der Tatsache, dass er in den 1930er Jahren in der Bibliothek des Schlosses Blankenburg ausgestellt wurde. Ob das Hochzeitsservice je zum gedachten Zweck, eventuell im kleineren Kreis, zum Einsatz kam, ist jedoch ungewiss. 2005 wurde es von der Richard Borek Stiftung nahezu unversehrt angekauft und wird nun erstmals seit seiner Entstehung für ein breites Publikum ab September 2024 in der Ausstellung „Scherben zum Glück. Ein Hochzeitgeschenk für Kaisertochter Victoria Luise und Herzog Ernst August“ im Museum Fürstenberg zu sehen sein.

Johanna Johnen ist Kunsthistorikerin und beschäftigt sich mit Kunsthandwerk und Druckgrafik sowie mit der Darstellung von Krankheit in der Kunst.

Mehr unter:
der-loewe.info/goetterdaemmerung-mit-braunschweigischer-geschichte
der-loewe.info/moderne-museumswelt-fuer-20-000-porzellan-objekte
der-loewe.info/skywalk-und-design

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