Der Baustoff der Gründerzeit
Dr. Claus Dalchow referiert über die „Zeit der Schlote und Gruben“ mit ihren Ziegeleien vor dem Hohen Tore.
Die Auflistung der Industrieerzeugnisse und ihre Fabrikationsstätten im alten Land Braunschweig, zusammengestellt vom „Bureau der Handelskammer für das Herzogthum Braunschweig“, weist 1901 knapp 70 Dampfziegeleien aus. „Die Industrie der Steine und Erden ist im Herzogthum Braunschweig stark und reich entwickelt. Die Braunschweiger Ziegelfabrikation ist im ganzen Herzogthum verbreitet. Die Hauptproduktion fällt auf die Stadt Braunschweig und ihre nächste Umgebung, in der sich acht große Ziegeleien mit über 500 Arbeitern befinden“, hieß es in dem vom Braunschweiger Verlag für kaufmännisches Unterrichtswesen und Wirtschaftskunde herausgegeben Buch. Es tauchen Namen auf wie Aktien-Ziegelei, Dampfziegelei Weinberg, C. Grimme & Co., Braunschweiger Dampfziegelei Carl Schmidt oder Dampfziegelei Moorhütte.
Grund genug also, der Sache populär-wissenschaftlich auf den Grund zu gehen. Nicht so richtig in diese Reihe passt tatsächlich die Ziegelei Moorhütte, denn sie lag bekanntlich in Volkmarode und nicht am Madamenweg, um den es sich im Vortrag „Zeit der Schlote und Gruben – Ziegeleien vor dem Hohen Tore“ von Dr. Claus Dalchow am Freitag, 12. Oktober (17 Uhr) hauptsächlich drehen wird. Der Geograf und Bodenkundler referiert in den Räumen der Netzlink Informationstechnik GmbH auf dem IT-Campus (Westbahnhof 11). Der gebürtige Braunschweiger lebte bis 1993 in der Stadt, ehe es ihn beruflich nach Müncheberg zog. Zurück zur Moorhütte, denn die war Ausgangspunkt für Dalchows recht ungewöhnliches Interesse.
„Erst waren es die rauchenden Schlote, die mich auf meinem Schulweg faszinierten. Später war es das das Geheimnisvolle, das mich anzog, wenn wir nach der Stilllegung der Ziegelei 1972 dort spielten. Angeblich sollte der Besitzer zwei Bluthunde gehabt haben. Das hat natürlich besonderen Nervenkitzel verursacht“, berichtet Claus Dalchow.
Zu der Zeit war die Blüte der Ziegeleien längst dahin, hatten Beton und Kalksandsteine die Ziegel als Hauptbaustoffe abgelöst. In der sogenannten Gründerzeit, als im Zuge der Industrialisierung Fabriken aus dem Boden gestampft wurden, Wohnraum in den Städten für die Arbeiter benötigt wurde und natürlich auch Villen für die Bosse errichtet wurden, war der Bedarf an Ziegelsteinen dagegen enorm. Zig Millionen Steine wurden da Jahr für Jahr in Braunschweig über das Ringgleis transportiert und verbaut.
Mit in Handarbeit hergestellten Ziegelsteinen, wie all die Jahrhunderte zuvor, wäre der enorme Aufbau in jenen Gründerjahren, als die Städte aus ihren mittelalterlichen Nähten platzten, nie und nimmer zu schaffen gewesen. In Braunschweig entstanden zum Beispiel das östliche und das westliche Ringgebiet. Die Produktion der Steine war mit Blick auf den Arbeitsmarkt übrigens nicht so bedeutend, wie man denken könnte. Die Steine wurden im Frühjahr und Sommer überwiegend von Saisonarbeitern, zum Beispiel aus dem Eichsfeld, in die Formen gepresst, wie Dalchow berichtet. Den Rest erledigten Dampfmaschinen.
Einen vergleichbaren Vortrag wie den jetzt anstehenden hatte Dr. Claus Dalchow bereits einmal zu Beginn der 1990er Jahre in Braunschweig gehalten. An ihn wurde sich nun für die von der Arbeitsgruppe Natur und Umwelt in Zusammenarbeit mit dem Braunschweigischen Landesverein konzipierte Veranstaltungsreihe „… vom Hohen Tor zum Schloss der Madame“ erinnert und eine Neuauflage ermöglicht.
Um 1850 war am westlichen Stadtrand Ziegelton gefunden worden. Das war der Ursprung für Braunschweigs florierendes Ziegeleirevier. Mit großen Werken, die die Ziegelsteine maschinell am Fließband produzierten, erreichte es um 1900 seinen Höhepunkt, um nach 120 Jahren endgültig wieder zu verschwinden. Bis in eine Tiefe von 24 Metern wurde der Ton einst abgebaut. „Es war sehr harter Ton, der mühselig bearbeitet werden musste, ehe er zu Ziegelsteinen geformt werden konnte“, erläutert Claus Dalchow. Aus dem gewonnen Ton wurden gelb-bräunliche Ziegelsteine gefertigt, die zunächst getrocknet und dann behutsam auf 1000 Grad Temperatur erhitzt wurden, um die notwendige Stabilität zu erhalten.
Wer mehr wissen will über die Ziegeleien am Madamenweg, sollte den Vortag nicht versäumen.