Der Blick auf die regionale Identität
Ausstellungskataloge der Arbeitsgruppe Heimatpfleger zu den Epochen der jüngeren Geschichte sind Schatztruhen der Braunschweigischen Landschaft. Nach Kaiserzeit und Weimarer Republik folgt nun die Aufarbeitung der Nazizeit.Â
Mit der Ausstellung „Braunschweigisches Land in der Kaiserzeit“ begann die intensive und öffentlichkeitswirksame Aufarbeitung der jüngeren Geschichte unserer Region durch die Arbeitsgruppe Heimatpfleger in der Braunschweigischen Landschaft im Jahr 2010. Es folgte die Präsentation „Braunschweigisches Land in der Weimarer Republik“ 2013. In diesem Jahr steht nun mit „Braunschweigisches Land im Nationalsozialismus“ die dritte Ausstellung dieser Serie auf dem Programm. „Wir wollen mit diesen Ausstellungen und den dazugehörigen Katalogen die regionale Identität stärken. Das ist gerade im Zeitalter der Globalisierung sehr wichtig, damit Menschen im Raum Braunschweig nicht die Beziehungen zu ihren Wurzeln verlieren“, sagt Harald Schraepler, Sprecher der AG Heimatpfleger.
Die Eröffnung der neuen Ausstellung findet im April im Niedersächsischen Landtag Hannover statt. Im Lauf des Jahres werden die 32 Schautafeln dann an verschiedenen Orten in der Region gezeigt, die sich am Filialnetz des Förderpartners Volksbank eG orientieren. Weitere Förderer sind ebenfalls von Anfang an die Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz und die VR-Stiftung. Die AG Heimatpfleger, zu der rund 300 Ortsheimatpflege gehören, kommt mit dieser Reihe ihrem Auftrag, sich mit der Geschichte des alten Landes Braunschweig zu beschäftigen und die kulturelle Entwicklung in der Region zu begleiten und zu fördern, in ausgezeichneter Art und Weise nach.
Zu jeder Ausstellung gehört auch ein feiner Katalog der die Epochen im regionalen Kontext anschaulich und reichhaltig bebildert beschreibt. Sie sind für regional Interessierte nahezu ein Muss. Die Redaktion oblag für alle drei Ausgaben Heimatpfleger Rudolf Zehfuß (Braunschweig-Stöckheim). Über die Kaiserzeit verfassten 25 Heimatpfleger Beiträge aus ihren Bereichen, über die Weimarer Zeit und aktuell über den Nationalsozialismus gibt es jeweils 33 Aufsätze. Sie werfen  erhellende Schlaglichter auf Ereignisse, Institutionen und Personen der Region. Die ersten beiden Bände sind kostenfrei in der Geschäftsstelle der Braunschweigischen Landschaft erhältlich, der dritte folgt zur Ausstellungseröffnung im April. „Der Löwe“ stellt in monatlicher Folge alle drei Bände vor.
„Die 50 Jahre der Kaiserzeit von 1871 bis 1918 sind in der über 800-jährigen Geschichte des Braunschweigischen Landes zwar nur ein kurzer Zeitabschnitt, allerdings brachten sie großen wirtschaftlichen Aufschwung und eine Aufbruchstimmung in der Region“, erklärt Harald Schraepler, Sprecher der AG Heimatpfleger, die besonders einschneidende Epoche. Sie war geprägt von Innovationen, Dynamik und tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen. Die Artikel beschäftigen sich mit Themen wie Industrie, Landwirtschaft und Verkehr, Architektur und Städtebau, Vereinsleben und Militarisierung oder auch die Einführung der Postkarte.
In der Broschüre geht es nicht um das große Ganze, sondern um Einblicke in das Leben im Braunschweiger Land während der Kaiserzeit. Dargestellt werden die Regenten im Herzogtum Braunschweig, Unternehmer Heinrich Büssing. Der steigende Wohlstand und die Bevölkerungsentwicklung führten zu neuen Bauten, zur Ausweisung neuer Wohngebiete und auch zu Restaurierungen wie am Dom in Königslutter, aber auch zur Gründung von genossenschaftlichen Einrichtungen, Vereinen und der Regelung des Feuerwehwesens. Die Epoche findet den Abschluss durch den 1. Weltkrieg, was durch ein Kriegsgefangenenlager in Bad Helmstedt dokumentiert wird.
Spannend ist beispielsweise das Kapitel „Militarisierung im Kinderzimmer“, das sich auf eine Sammlung des Städtischen Museums Salzgitter im Schloss Salder bezieht. Darin heißt es: „Bereits mit dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 gab es eine Vielzahl an Spielwaren, die in erster Linie die Begeisterung der Kinder für Militär und Krieg wecken sollte. So warb beispielsweise der Berliner Zinnfigurenhersteller in seinem Verkaufskatalog des Jahres 1869 neben zahlreichen Zinn- und Bleifiguren unter anderem auch für Kanonen, mit denen Erbsen verschossen werden konnten. Für das Spiel im Freien wurden zahlreiche Uniformen und Kinderwaffen angeboten. Sogar große Gartengeschütze aus Holz, mit denen man hölzerne Granaten verschießen konnten, waren um die Jahrhundertwende erhältlich.“
In einem weiteren Aufsatz geht es um die Entwicklung des Östlichen Ringgebiets in Braunschweig. „Die wachsende Bevölkerungszahl Braunschweigs im Zeitalter der Industrialisierung – die Einwohnerzahl in Braunschweig war von 1875 bis 1889 um 46 Prozent gestiegen! – machte die Erschließung neuer Wohngebiete nötig. So dehnte sich auch nach Osten hin die Stadt weiter aus. Der bekannte Stadtbaurat Ludwig Winter (Rathaus, Rekonstruktion der Burg Dankwarderode) plante und baute hier nach dem Vorbild Berliner Prachtboulevards eine Straße, die ihren Namen nach dem  Oberhaupt des Deutschen Reiches erhielt: die Kaiser-Wilhelm-Straße (heute  Jasperallee). Mit dieser 30 Meter breiten Straße wurde die Hauptachse für ein neues Stadtquartier geschaffen, das vor allem das Besitz- und Bildungsbürgertum der kaiserzeitlichen Gesellschaft Braunschweigs anziehen sollte“, steht dort geschrieben.
Mit „Ölrausch in Öhlheim“ ist eine Geschichte aus dem Landkreis Peine überschrieben. Darin heißt es: „Erdöl ist im Raum Ölheim (2 km westlich von Edemissen) bereits seit Jahrhunderten bekannt. Die schwarze, übelriechende Flüssigkeit schwamm auf dem Wasser der „Theerkuhlen“ und wurde abgeschöpft. Bei Menschen diente es als Heilmittel gegen Rheuma und es kam zum Einsatz gegen allerlei Ungeziefer, wie Wanzen und Motten. Als „Wagenschmiere“ eignete es sich für die Radlager der Fuhrwerke. Auch in Öllampen wurde es verwendet, da es nicht so sehr rauchte wie das zuvor verwendete Pflanzenöl. Am 21. Juli 1881, 11 Uhr, traf die dritte Bohrung des Bremer Kaufmannes Adolf Michel Mohr in 66 Meter Tiefe in eine Sandsteinschicht. Dieser Teerkuhlenfels enthielt das gesuchte Erdöl. Nach Einbau einer Pumpe begann die Förderung. Jedoch strömten nach wenigen Minuten Erdöl, Erdgas, vermischt mit Wasser und Sand, von selbst aus dem Bohrloch. Die Fontäne übertraf die Höhe des Bohrturmes. Das unerwartete Ereignis vertrieb die Arbeiter zunächst, dann aber füllten sie das Erdöl in eiligst herbeigeschaffte Fässer, Tonnen und Wannen. Die Förderung aus diesem Bohrloch betrug 75.000 Liter pro Tag.“ Das Ölfieber hielt jedoch wegen der schnell sinkenden Fördermenge und eines Gerichtsverfahrens wegen Umweltschäden nicht lange an.
Es sind durchweg kurzweilige und komprimierte Beiträge zur Geschichte des Braunschweigischen Landes in der Kaiserzeit von 1871 bis 1918. In der Broschüre zu schmökern, ist eine Freude. Die Vorstellung des Katalogs „Braunschweigisches Land in der Weimarer Republik“ folgt im März.
Die Braunschweigische Landschaft
Die Braunschweigische Landschaft e.V. hat sich seit ihrer Gründung im Jahr 1990 das Ziel gesetzt, sich mit der Geschichte des alten Landes Braunschweig zu beschäftigen und zugleich die kulturelle Entwicklung in der Region zu begleiten und zu fördern. Zu ihrem Aufgabengebiet gehören die kreisfreien Städte Braunschweig, Salzgitter und Wolfsburg sowie die Landkreise Helmstedt, Peine und Wolfenbüttel mit mehr als 180 Vereinen, Verbänden und Gemeinden, die im Beirat zusammengefasst sind. Sie bringen ihre Aktivitäten in zwölf Arbeitsgruppen ein, die Foren zum Wissens- und Erfahrungsaustausch, zur Gestaltung unterschiedlicher Projekte und deren verantwortlicher Durchführung sind. Die Braunschweigische Landschaft ist Partner des Internetportals der Braunschweigischen Stiftungen „Der Löwe“.
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