Der Henker im Richthof von St. Aegidien
Braunschweigs skurrile Ecken und andere Merkwürdigkeiten, Folge 11.
Man hält es eigentlich gar nicht für möglich, aber St. Aegidien war ein halbes Jahrhundert lang tatsächlich ein Gefängnis. Im Richthof des ehemaligen Klosters wurden im 19. Jahrhundert sogar Todesurteile vollstreckt. Um St. Aegidien ranken sich aber auch weitere skurrile Geschichten.
Schon die Gründung des Aegidienklosters ist besonders. Sie geht auf die Markgräfin Gertrud II. zurück, die 1115 den Auftrag zur Klostergründung erteilte. An die Blütezeit des Klosters im 12. Jahrhundert erinnern noch vier erhaltene Klosterräume. Der dort einst tätige Abt Heinrich II. Woltrop war gut befreundet mit Heinrich dem Löwen und wurde 1173 Bischof von Lübeck. Das Kloster entstand auf der höchsten Erhebung der Stadt innerhalb der Okerumflut.
Markgräfin Gertrud soll nach einer Überlieferung der Heilige St. Auctor (oft auch: „St. Autor“ genannt) im Traum erschienen sein und sie aufgefordert haben, seine Gebeine nach Braunschweig zu holen. Die Urgroßmutter Heinrichs des Löwen unternahm tatsächlich dieses heikle Vorhaben, ließ den ehemaligen Bischof von Metz und Trier ausgraben und ihm eine eigene Kapelle am Kloster einrichten.
Der Heilige rettete dann die Stadt vor einem Angriff der Staufer im Jahre 1200, indem er im Zelt der Befehlshaber erschien und ihnen ewige Verdammnis androhte. So wurde er zum Schutzheiligen der Stadt. An seinem Todestag, dem 20. August, trug man über lange Zeit den Schrein mit seinen sterblichen Überresten durch die Stadt. Neben dem Altstadtrathaus wurde der Autorshof errichtet. St. Autor selbst hält vom Seitengiebel St. Aegidiens ein goldenes Kreuz segnend über seine Stadt.
Besonders beeindruckend sind in der nach dem 2. Weltkrieg wieder als katholische Kirche geweihten St. Aegidien die Säulenverzierungen, auf denen sich auch mancherlei Dämonendarstellungen im Chorumgang finden lassen.
1528 schlossen sich die Mönche des Klosters der Reformation an, die dann das gesamte Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel erreichte. In St. Aegidien wurde eine evangelische Pfarrei für die Klosterfreiheit eingerichtet. Dann jedoch dienten die Klostergebäude von 1832 bis 1885 als Gefängnis – bis der Neubau am Rennelberg eingeweiht werden konnte. Seit 1840 war es sogar ‚Landesstrafanstalt‘ mit dem Hinrichtungshof.
In der Folge dieser Einrichtung bekam auch der Henker Arbeit, denn in diesem Gefängnis wurden alle Verbrecher eingesperrt – vom Betrüger bis zum mehrfachen Mörder. Der Schriftsteller Robert Griepenkerl, einst als „Deutscher Shakespeare“ gefeiert, musste hier ein Jahr Haft verbüßen, weil er von einem Betrüger hereingelegt wurde und für dessen Schulden aufkommen musste. Noch heute finden sich an den Säulen, die einst in den Zellen standen, Namen und Jahreszahlen über die zu verbüßenden Strafen.
Für die letzte, im 19. Jahrhundert öffentlich durchgeführte und sogar fotografierte Hinrichtung mit dem Schwert, die im Richthof von St. Aegidien vollzogen wurde, musste ein Henker von Aschersleben geholt werden, weil zu dieser Zeit kein Henker mehr in Braunschweig wohnte und seinen Dienst verrichtete.
Auf der rechten Seite des Hofes wurde 1906 der Chor der Paulinerkirche wieder aufgebaut, die man an der Dankwardstraße abgerissen hatte. Dort konnte das ‚Vaterländische Museum‘, 1891 gegründet, als ‚Braunschweigisches Landesmuseum‘, Räume beziehen. 1925 erfolgte im Museum der Einbau der Hornburger Synagoge. Im Krieg zerstört und 1957/68 wieder aufgebaut, konnte 1987 in diesen Räumen das Jüdische Museum wieder eröffnet werden, das nun nach einer umfangreichen Renovierung in neues Licht gerückt wurde.