Der Mensch im komplexen Insektenkosmos
Kaiserringstipendiat Ren Ri stellt im Mönchehaus-Museum in Goslar aus.
Die Honigbiene ist ein wichtiges Werkzeug der Schöpfung, vielleicht das wichtigste. Denn sie schenkt uns nicht nur den wunderbaren goldgelben Süßstoff, sondern sie sorgt mit ihrer unermüdlichen Bestäubungstätigkeit dafür, dass die Vielfalt der Pflanzen auf dieser Erde erhalten bleibt. Stirbt die Biene, so stirbt der Mensch, sagt man. Diese existenzielle Verbindung der Biene mit der Schöpfung mag dem großen modernen Naturmystiker Joseph Beuys bewusst gewesen sein, als er eins seiner berühmtesten Werke schuf: die Honigpumpe.
Insofern, und auch, weil die Population der Honigbiene weltweit in Gefahr ist, erscheint es schlüssig, das Goslarer Kaiserring-Stipendium für junge Kunst an einen Imker zu vergeben: den 31-jährigen Chinesen Ren Ri. Offen bleibt, ob die Faszination der Imkerei ihn zur künstlerischen Beschäftigung mit der Biene gebracht hat, oder ob er umgekehrt vor die Kunst erst einmal die genaue Kennerschaft seines Objektes gesetzt hat. Letzteres erscheint wahrscheinlicher.
Die Biene ist bisher sein künstlerisches Lebensthema. Erstaunlich ist im Vergleich zu den oft so präpotent auftrumpfenden westlichen Kunst-Jungstars, wie demütig Ren Ri sich dem Objekt seiner künstlerischen Faszination genähert hat: Erst nachdem er die Bienen als Imker jahrelang studiert hatte, wagte er sich an die künstlerische Gestaltung dieser ungewöhnlichen, uralten Tier-Mensch-Beziehung. Er nähert sich behutsam, und sein Werk erscheint auch weniger als künstlerische Bemeisterung dieses unglaublich komplexen Insekten-Kosmos namens Biene als vielmehr als Gemeinschaftsarbeit mit diesem Wunderwesen. Die Arbeiten, die im Goslarer Mönchehaus-Museum zu sehen sind, heißen „Yuansu I bis III“.
Wie grundsätzlich der sensible junge Chinese seine Arbeit über das Bienenthema hinaus auffasst als eine Weise, künstlerisch in die Natur einzugreifen, sagt schon der Titel: Yuan bedeutet im Chinesischen „Element“, Su bedeutet „Form“. Kunst also als der Versuch, das Leben (mit) zu gestalten.
Die Serie „Yuansu I“ besteht aus einer Reihe von Landkarten aus Bienenwachs. Naturform und Landvermessung, die globale Ausbreitung der Biene und die existenzielle Bedeutung des heilenden und wärmenden Naturstoffes Wachs im Sinne Beuys‘ werden hier auf ästhetisch zauberhafte Weise reflektiert.
Mit „Yuansu II“ hat Ren Ri eine Skulpturenserie geschaffen, bei denen er sich die Psychologie der Bienen zunutze machte. Die Königin wurde in die Mitte einer Kiste gesetzt, während die Bienen um sie herum ihren Bau schufen. Alle sieben Tage veränderte Ren Ri ihre Position in der Kiste nach dem Zufallsprinzip, wobei ein Würfelwurf über die Form der Skulptur entschied.
Die sieben Tage sind natürlich eine Anspielung auf den biblischen Schöpfungsmythos. Hier spielt der Künstler mit der Idee, sich zum Demiurgen aufzuschwingen. Bleibt die Frage, ob Gott im Sinne von Einstein bei der Schöpfung gewürfelt hat. Ren Ri entscheidet sie mit ironischer Setzung. Die Bienen aber schufen unbeeindruckt immer neue Gestalten. Unerschöpflicher Formenreichtum der Natur.
„Yuansu III“ ist das Ergebnis einer Performance, die in einer beinahe beängstigenden Weise den Willen zur Verschmelzung des Menschen – zumindest des Menschen Ren Ri – mit der Biene erzählt, vielleicht auch von der Sehnsucht, sich von den Insekten überwältigen zu lassen. Ren Ri machte sich dafür selbst zum Werkzeug. Er veranlasste die Bienen, sich auf seinem Gesicht niederzulassen, wobei er eine große Anzahl von Bienenstichen auszuhalten hatte. Wir stellen uns vor, dass es für ihn süße Schmerzen waren.
Wären wir Buddhisten, wir wären sicher, dass Ren Ri in seinem nächsten Leben als Bienenkönigin wiedegeboren wird.
Das Kaiserringstipendium wird durch die AKB-Stiftung in Einbeck gefördert. Ren Ri studierte unter anderem Bildende Kunst an der Tsinguah Universität in Peking. Er promovierte an der Zentralakademie für Bildende Künste in Peking.
Ausstellung: Mönchehaus-Museum Goslar, Mönchestraße 1, Dienstag bis Sonntag, 10 bis 17 Uhr. Bis 31. Januar.