Die Bücher der Lehrmeister
Die Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz hilft bei der Katalogisierung der rund 35.000 Werke der früheren Universitätsbibliothek Juleum in Helmstedt.
Die Universität Helmstedt zählt zweifelsfrei zu den Leuchttürmen Braunschweigischer Landesgeschichte. Die 1567 eröffnete Bildungseinrichtung war eine der ersten protestantischen Universitäten in Norddeutschland. In den darauffolgenden 50 Jahren stieg die „Academia Julia“ sogar zur drittgrößten Universität im deutschsprachigen Raum auf. Man muss kein Bibliophiler sein, um mehr über die in der Helmstedter Universitätsbibliothek Juleum aufbewahrten rund 35.000 Werke erfahren zu wollen. Dank eines imposanten Kooperationsprojektes der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz, der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel und dem Landkreis Helmstedt werden bis Dezember 2016 alle Titel digital katalogisiert und weltweit einsehbar sein.
Die Universität Helmstedt, die alleine 13.000 Werke aus dem 16. bis 19. Jahrhundert vorrätig hielt, verfügte über eine der größten und wertvollsten Bibliotheken des Reiches. Forschungsschwerpunkte lagen auf den Gebieten der Theologie, Geschichte und Jurisprudenz. „Anders als heute hatte die damalige Universität keinen großen Erwerbungsetat. Sie speiste sich aus den verwendeten Büchern der dort tätigen Professoren, aus Nachlässen und Bücherspenden zum Beispiel von Landesfürsten“, sagt Dr. Petra Feuerstein-Herz, Leiterin der Abteilung alte Drucke an der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel.
Ein HAB-Team erfasst seit 2010 die von Lehrenden und Studenten verwendeten Helmstedter Werke, die nach der Schließung durch Napoleon Bonapartes Bruder Jerome von Westphalen 1810 zu einem Drittel in Helmstedt verblieben und Zweidrittel über den Umweg Göttingen in die nahegelegene Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel transportiert wurden. So beherbergt die „Bibliotheca Academia Julia“ eine ganze Reihe von Fürstenbibliotheken und die Bestände der Helmstedter Akademischen Lesegesellschaft (1789 bis 1810), der Helmstedter Deutschen Gesellschaft und wertvolle, seltene Stücke beispielsweise der säkularisierten Klöster Wöltingerode, Steterburg, Dorstadt und Heiningen. Ende dieses Jahres soll die Katalogisierung der Helmstedter Bibliotheks-Werke abgeschlossen sein.
„Die Helmstedter Professoren und ihre Arbeit spiegeln sich in dem Bücherbestand wider“, so Dr. Feuerstein-Herz. Deutlich wird dies beispielsweise durch handschriftliche Einträge. Nicht selten kann man die Bände unmittelbar einem Gelehrten zuordnen, der so als Leser- und Forscherpersönlichkeit sichtbar wird. „Bei der Katalogisierung werden auch die Namen von Vorbesitzern und Provenienzmerkmale, wie handschriftliche Anmerkungen im Text, alte Signaturen und Nummern, Preise und Daten, verzeichnet“, erzählt die Expertin für alte Drucke. „So gelang es, Bände aus dem Besitz von Matthias Flacius und Nicolaus Andreae Granius ausschließlich anhand von Notizen, Marginalien und Initialen zu identifizieren. In diesem Zusammenhang konnten etliche Bände der Bibliothek der Markgräfin Sophie zu Brandenburg-Ansbach-Bayreuth zugeordnet werden. Sie gebrauchte ein auffälliges Monogramm unter Verwendung der Initialen ihres verstorbenen Mannes Georg Friedrich.“
Bei der Erfassung entdeckte man einige Bücherschätze: Zum Beispiel ein Kettenbuch aus der Franziskanerbibliothek Gandersheim mit erhaltener Kette und ein Exemplar von Johann Keplers berühmten „Tabulae Rudolphinae“ (Ulm 1627) mit dem handschriftlichen Schenkungsvermerk von Herzog Friedrich Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel. Die Sensation: Viele Werke tauchten bisher in keinem deutschen nationalbiografischen Verzeichnis auf, sind also Einzelstücke oder nur noch einmal in Deutschland erhalten.
In den Händen hielten die Schriften berühmte Dozenten wie Giordano Bruno, Dominikanerpriester, Philosoph und Astronom. Aber auch Hermann Conring, der Begründer des deutschen Rechts, Lorenz Heister, der fortschrittlichste Chirurg seiner Zeit, und der Mathematiker Johann Friedrich Pfaff verhalfen der im Osten des Landes Braunschweig gelegenen Institution zu universitären Weltruhm. Bei Letzterem promovierte eines der größten Mathegenies der Geschichte, Karl Friedrich Gauß.
„Erstmalig werden die Werke aus dem Juleum und der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel virtuell als Bibliothek zusammengeführt und sind maschinenlesbar“, so Dr. Feuerstein-Herz. Über den Gemeinsamen Verbundkatalog (GBV) haben Internet-User zukünftig von überall auf der Welt Zugriff auf die alten Helmstedter Titel. Nach professioneller Verzeichnung kehren die Helmstedter Exemplare ins dortige Juleum zurück. Dort kamen – ebenfalls mit Unterstützung der SBK – die dringend notwendigen Sanierungsarbeiten an Decken und Wänden im Bibliotheksaal 2016 zum Abschluss und geben der Bibliothek ein neues Gesicht.
Parallel zur Katalogisierung der Werke existiert durch Dr. Britta-Juliane Kruse ein weiteres vertiefendes Forschungsprojekt an der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel. Die im Januar 2016 gestartete Untersuchung konzentriert sich auf ausgewählte Aspekte der Helmstedter Bibliotheksgeschichte, die für die Funktion von Büchersammlungen an frühneuzeitlichen Universitäten signifikant sind.
Informationen zum HAB-Projekt „Wissensproduktion der Universität Helmstedt“ unter:
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