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Die Fliege im Reinraum: Ein Jahr Science and Art Lab

Eingang des Science and Art Lab, Glastür, Waisenhausdamm 8 Braunschweig, in der Tür links Henrike Wenzel, rechts Jule Hillgärtner, beide lächeln.
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Seit knapp einem Jahr gibt es das Science and Art Lab der TU Braunschweig, seit einem Monat bespielt es als erste Organisation das Wissenschaftsschaufenster am Waisenhausdamm. Im Interview ziehen die Projektleiterinnen Henrike Wenzel und Dr. Jule Hillgärtner eine erste Bilanz.

Als wir eintreten, laufen auf drei riesigen Bildschirmen die Kunstfilme „ExtraSpacecraft“ und „The Tower“ der Künstlerin Hito Steyerl. Während unseres Interviews wechselt Musik mit dem Geräusch von Schüssen und Bildern eines Observatoriums. Der Raum im Erdgeschoss des Hauses Waisenhausdamm 8 ist Büro, Ausstellungsort und Workshop-Raum in einem.

Das Referat Kultur und Wissenschaft der Stadt Braunschweig finanziert die Miete des Ladenlokals und rund 30 Organisationen der Forschungsregion Braunschweig können den Ort nutzen. Eine öffentliche Spielwiese für Braunschweigs Spitzenforschung, um sich zu präsentieren und mit Menschen ins Gespräch zu kommen.

Mehr als Wissenschaftskommunikation

Dass das Science and Art Lab, das vor knapp einem Jahr gegründet wurde, hier den Anfang machen durfte, passt in mehrfacher Hinsicht gut ins Konzept: „Wir waren auf der Suche nach einem Raum, daher traf es sich gut, als Pilotprojekt hier anzufangen“, erklärt die Kunstwissenschaftlerin Henrike Wenzel.

Also ist das Science and Art Lab eine neue Form der Wissenschaftskommunikation? „Wir würden es nicht darauf reduzieren“, sagt Henrike Wenzel. „Wir verstehen Kunst nicht als visuelle Ästhetisierung von Forschungsergebnissen. Wir wollen, dass Kunst hier ebenbürtig der Wissenschaft gegenübertritt.“ Dr. Jule Hillgärtner, zuvor neun Jahre Direktorin des Braunschweiger Kunstvereins, ergänzt: „Wir verstehen die Kunst hier als eine eigene Art des Forschens – nicht Kunst als Veranschaulichung, sondern Kunst selbst als Forschungsansatz.“

Das ist das Besondere: Es geht darum, die zwei gemeinhin als Gegensätze verstandenen Gebiete von Wissenschaft und Kunst zusammenbringen, um Forschung zu reflektieren und neue Einblicke zu ermöglichen. Die erste große Veranstaltung war der Kurzfilmabend „Fly High“, zusammen mit dem Exzellenzcluster „SE2A – Sustainable and Energy-Efficient Aviation“, in dem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nachhaltiges und effizientes Fliegen erforschen.

Foto des Science and Art Lab im Waisenhausdamm 8 in Braunschweig, Podest in Rot mit roten Sesseln vor Bildschirmen, Kunstfilme laufen auf drei Bildschirmen.

Einladung zum Platz nehmen: Besucherinnen und Besucher können beispielsweise die Kunstfilme von Hito Steyerl ansehen. Foto: Team Der Löwe

Kunst und Quantenphysik

Ein weiterer Meilenstein ist die „Artist Residency“, die es Künstlerinnen und Künstlern ermöglicht, Forschende der TU Braunschweig zu begleiten. Für die erste Ausschreibung gingen 106 Bewerbungen ein. Am Ende fiel die Wahl auf die Künstlerin Mareike Bernien, die seit November 2024 am Exzellenzcluster „QuantumFrontiers“ forscht und arbeitet. Entstehen soll ein Video-Essay, der die Geschichte und Gegenwart der Quantenforschung sowie die Arbeit des Clusters beleuchtet, hinterfragt und kommentiert.

Es ist der ungewöhnliche Blick aus der Perspektive der Kunst auf die Arbeit der Naturwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, der so bereichernd ist. „An der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt gibt es zum Beispiel einen Reinraum, in dem die Forschenden die Quanten zu fassen bekommen wollen“, erklärt Dr. Jule Hillgärtner. Nichts darf einen solchen Reinraum kontaminieren – und dann fliegt plötzlich eine Fliege hinein. „Alle überlegen, wie bekommen wir diese Fliege wieder raus? Währenddessen überlegt Mareike Bernien, was heißt hier ‚rein‘, und wer definiert das?“

Mit dieser eigenen Perspektive wird der bemüht objektiv-neutralen Haltung der Wissenschaften eine weitere Perspektive hinzugefügt. „Wir nehmen uns mit dem Science and Art Lab vor, genau diese breite Palette abzubilden: Den intensiven, langfristigen Austausch zwischen Kunst und Wissenschaft, wie bei der Artist Residency, aber gleichzeitig auch den Gang in die Öffentlichkeit, wie bei unseren Duett-Formaten oder dem Kurzfilmabend.“

„Die Leute saßen auf unseren Schreibtischen“

Ist es schwierig, im Moment für solche Themen eine Öffentlichkeit zu finden? Das Wissenschaftsschaufenster scheint zu funktionieren. „Wir sind total glücklich“, sagt Henrike Wenzel. „Wir haben seit der Eröffnung drei bis vier Veranstaltungen pro Woche gehabt – das ist für uns ziemlich viel. Jedes Mal wurden es mehr Besucherinnen und Besucher. Leute saßen auf unseren Schreibtischen – das ist wirklich toll“, ergänzt Dr. Jule Hillgärtner.

Science and Art Lab Braunschweig, Innenansicht, Wand mit Postern, auf denen Veranstaltungen des Labs angekündigt werden und Nutzer:Innen Feedback geben können.

Auf Plakaten sind die nächsten Veranstaltungen angekündigt, Besucherinnen und Besucher können aber auch Feedback geben. Foto: Team Der Löwe

Für beide ist das Wissenschaftsschaufenster, das Veranstaltungen ganz unterschiedlicher Art, unter anderem für Kinder anbietet, schon jetzt ein Erfolg, etwas mehr als einen Monat nach der Eröffnung Anfang März. „Ich glaube, dass die Hemmschwelle bei Veranstaltungen auf dem Campus sehr viel höher gewesen wäre. Hier erreichen wir ein anderes Publikum. Genau hier gehört es her, mitten in die Innenstadt, wenn man versucht, ein breites Publikum zu erreichen“, sagt Henrike Wenzel.

Noch bis Juni ist das Lab am Waisenhausdamm zu besuchen, danach stellt sich das Thünen-Institut vor, das in Braunschweig zu ländlichen Räumen, Waldnutzung und Fischerei forscht. Dem Umzug sehen die beiden Leiterinnen bereits etwas wehmütig entgegen: Auf dem Campus erreiche man eben nicht dasselbe breite Publikum. Grund genug, Ausschau nach neuen Möglichkeiten in der Innenstadt zu halten. „Ich glaube, wir werden den nächsten Leerstand bald suchen“, sagt Henrike Wenzel. Darauf dürfen Fans der „harten“ Wissenschaft und der „weichen“ Künste gleichermaßen gespannt sein.

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