Die Weimarer Republik vor der Haustür
Ausstellungskatalog der Arbeitsgemeinschaft Heimatpfleger beschäftigt sich in 33 Episoden von ernst bis amüsant mit der Zeit zwischen 1918 und 1933.
Die Weimarer Republik war für den größten Teil der Bevölkerung von Armut und Zukunftsängsten geprägt. Die Zeiten nach dem Ersten Weltkrieg mit dramatischer Inflation, Massenarbeitslosigkeit und Weltwirtschaftskrise waren schwer und mündeten schließlich im verheerenden Nationalsozialismus. Wie lebte es sich damals im Braunschweigischen? Über diese Frage gibt der von der Arbeitsgruppe Heimatpfleger in der Braunschweigischen Landschaft herausgegebene Ausstellungskatalog „Braunschweigisches Land in der Weimarer Republik“ Aufschluss. Die 72-seitige Broschüre ist kostenlos in der Braunschweigischen Landschaft erhältlich.
„Die Zeit brachte den nicht einfachen Übergang von der Monarchie in die Demokratie und am Ende den zur Diktatur des Nationalsozialismus. Die Beiträge in dem, Katalog greifen unterschiedliche Themen aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, Architektur, Infrastruktur und Gesellschaft auf. Sie beziehen sich alle auf die Gebiete des Freistaates Braunschweig“, erläutert Harald Schraepler, Sprecher der Arbeitsgruppe Heimatpfleger. Der Texte wurden von Heimatpflegern verfasst. Die Redaktion oblag Rudolf Zehfuß. Das Heft erlaubt spannende Einblicke, die allerdings nur wenig mit den „Goldenen Zwanzigern“ und ausschweifendem Lebensstil tun haben, die aus den Metropolen überliefert sind.
Die Ausstellung „Braunschweigisches Land in der Weimarer Republik“ (2013) war die zweite nach „Braunschweigisches Land im Kaiserreich“ (Besprechung des Katalogs im Löwen Februar 2018). Im April folgt die dritte Ausstellung. Sie trägt den Titel „Braunschweigisches Land im Nationalsozialismus“. Die Eröffnung der neuen Ausstellung findet im Niedersächsischen Landtag Hannover statt. Im Lauf des Jahres werden die 32 Schautafeln dann an verschiedenen Orten in der Region gezeigt, die sich am Filialnetz des Förderpartners Volksbank eG orientieren. Weitere Förderer sind ebenfalls von Anfang an die Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz und die VR-Stiftung. Die AG Heimatpfleger, zu der rund 300 Ortsheimatpflege gehören, kommt mit dieser Reihe ihrem Auftrag, sich mit der Geschichte des alten Landes Braunschweig zu beschäftigen und die kulturelle Entwicklung in der Region zu begleiten und zu fördern, in ausgezeichneter Art und Weise nach.
In dem politischen Beitrag Wahlen / Wahlplakate im Katalog zur Weimarer Republik wird schon auf die neue Ausstellung hingeführt. „Bezeichnend für die politische Landschaft im Freistaat war der scharfe Gegensatz zwischen dem bürgerlich-konservativen und dem linken Lager sowie eine Tendenz zur Radikalisierung“, heißt es da. Vorangestellt ist im Katalog die Liste der Vorsitzenden des Staatsministeriums im Freistaat Braunschweig: August Merges, Sepp Oerter, Heinrich Jasper, August Junke, Otto Antrick, Gerhard Marquordt und Werner Küchenthal.
Prominentestes Opfer der im Freistaat Braunschweig schon früh ihr Unwesen treibenden Nazis wurde mit Heinrich Jasper der bedeutendste braunschweigische Politiker der Weimarer Zeit. Ihm ist das erste Kapitel gewidmet. Darin heißt es: 1931 trat Dietrich Klagges (NSDAP) seine Schreckensherrschaft an. Für Heinrich Jasper war es eine unvorstellbare Leidenszeit mit mehrfacher Folter, Gefängnis- und KZ-Inhaftierungen. Den Strapazen war er nicht gewachsen. Er starb am 19. Februar 1945 im KZ Bergen-Belsen.
Der Sozialdemokrat Jasper war Ministerpräsident des Landes Braunschweig. „Geprägt durch Ideale und Humanität setzte er sich mit großem Engagement vor dem 1. Weltkrieg gegen das Dreiklassenwahlrecht und für die Verbesserung der Lebensbedingungen der Arbeiter ein. Nach dem Krieg galten seine Ziele darüber hinaus der Trennung von Staat und Kirche und dem Widerstand gegen die revolutionären Aktivitäten der extremen Linken. Immer wieder setzte er sich für die parlamentarische Demokratie ein und war offen für Koalitionen mit den gemäßigten bürgerlichen Parteien“, wird sein Wirken in dem Beitrag beschrieben.
Natürlich wird die Inflation thematisiert. „Unvorstellbare 78 Millionen Mark kostete am 24. September 1923 die Bahnfahrt in der zweiten Klasse von Salzgitter nach Braunschweig“, steht im Artikel „Inflation und Notgeld der Ilseder Hütte. Und weiter: „Am 11. August 1923 gab die Direktion der Ilseder Hütte im Salzgitterschen Kreisblatt bekannt, `dass zu Lohnzwecken für unsere Grube Hannoversche Treue 500.000- und 100.000 Markscheine` in Umlauf gegeben werden.
Der überwiegende Teil der Wolfenbütteler, heißt es im Beitrag „Kritisch beäugt: Der Aufstieg des Automobils“, stieg in der Zeit der Weimarer Republik in die „Straßeneisenbahn“, um von der Herzogstadt ins benachbarte Braunschweig zu reisen. In der Hauptverkehrszeit fuhr das Schienenfahrzeug alle 20 Minuten vom Bahnhof Wolfenbüttel über Herzogtor, Sternhaus, Klein Stöckheim, Melverode, Braunschweig-Augusttor bis zum Hagenmarkt. 1928 zählte man knapp eine Million Fahrgäste in nur sechs Monaten. Jahrhundertelang waren Pferdekutschen das Fortbewegungsmittel Nummer eins gewesen. Nach dem Ersten Weltkrieg eroberte aber nach und nach das Automobil die Straßen der Lessingstadt und des Landkreises Wolfenbüttel.
Zwar weist die Statistik des Jahres 1921 im gesamten Kreis Wolfenbüttel lediglich 77 Personenkraftwagen auf. Offensichtlich hatten unsere Vorfahren, schreibt der Autor weiter, aber große Probleme mit der Beherrschung der neuen Technik. In nur fünf Monaten zählte die Wolfenbütteler Polizei 30 Verkehrsunfälle, darunter 15 Sach-, drei Personenschäden und sogar ein Todesopfer. Der Siegeszug des Automobils, so belegt der Artikel war dennoch nicht mehr aufzuhalten. Zu Pfingsten 1929 kam es zu einem ersten Stau. Wochenend-Ausflügler verstopften die steile Landstraße zwischen Bad Harzburg und Torfhaus. Gezählt wurden innerhalb von nur zwei Stunden 268 Kraftfahrzeuge, 178 Motorräder und 580 Fahrräder, die sich den Berg heraufquälten, doch nur noch 34 Fuhrwerke.
Der Katalog greift viele Themen aus dem Braunschweigischen auf. Unter anderem gibt es Aufsätze über den Gutsbetrieb der Grafen von Schulenburg in Wolfsburg und die Mädchenpensionate in Blankenburg, über die Entstehung der Stadtviertel Bebelhof und Siegfriedviertel in Braunschweig, über das Wasserwerk in Lobmachtersen und den Tonfilm in Helmstedt, über den Bau des Mittellandkanals, die schönsten Vergnügungslokale jener Zeit in Braunschweig und Kurzporträts der vier Braunschweiger Originale Harfen-Agnes, Rechen-August, Tee-Onkel sowie den Deutschen Herrmann.
Alles in allem ist den Heimatpflegern ein sehr informatives Heft über die Zeit der Weimarer Republik im Braunschweigischen gelungen. Es ist absolut zu empfehlen. Nicht zuletzt aufgrund der reichhaltigen Bebilderung ist ein Blick auf die Weimarer Republik vor unserer Haustür im Braunschweigischen möglich.
Die Autoren
Rolf Ahlers, Elmar Arnold, Dr. Claudia Böhler, Werner Cleve, Dr. Sandra Donner, Reinhard Försterling, Christiane Geldes, Markus Gröchtemeier, Manfred Gruner, Birgit Hoffmann, Klaus Hoffmann, Dr. Ralf Holländer, Karl-Heinz Löffelsend, Jürgen Kackstein, Elke Keese, Friedrich Orend, Rolf Owcarzki, Dr. Andreas Reuschel, Dr. Mathias Seeliger, Rolf Siebert, Peter Steckhan, Werner Strauß, Peter Stübig, Hartmut Wegner, Reinhard Wetterau, Dr. Ursula Wolff und Rudolf Zehfuß.
Die Braunschweigische Landschaft
Die Braunschweigische Landschaft e.V. hat sich seit ihrer Gründung im Jahr 1990 das Ziel gesetzt, sich mit der Geschichte des alten Landes Braunschweig zu beschäftigen und zugleich die kulturelle Entwicklung in der Region zu begleiten und zu fördern. Zu ihrem Aufgabengebiet gehören die kreisfreien Städte Braunschweig, Salzgitter und Wolfsburg sowie die Landkreise Helmstedt, Peine und Wolfenbüttel mit mehr als 180 Vereinen, Verbänden und Gemeinden, die im Beirat zusammengefasst sind. Sie bringen ihre Aktivitäten in zwölf Arbeitsgruppen ein, die Foren zum Wissens- und Erfahrungsaustausch, zur Gestaltung unterschiedlicher Projekte und deren verantwortlicher Durchführung sind. Die Braunschweigische Landschaft ist Partner des Internetportals der Braunschweigischen Stiftungen „Der Löwe“.
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