Dort, wo der Schrecken herrschte
Das Projekt outSITE Wolfenbüttel macht Orte sichtbar, an denen Gefangene des Nazi-Strafgefängnisses unter teilweise menschenunwürdigen Umständen leben und arbeiten mussten, litten und nicht selten auch starben.
Der Einflussbereich des Strafgefängnisses Wolfenbüttel reichte während der Nazi-Diktatur von Wesendorf im Norden bis Blankenburg im Süden und von Watenstedt im Westen bis nach Halberstadt im Osten. Das Gefängnis war die zentrale Haft- und Hinrichtungsstätte auf dem Gebiet des früheren Landes Braunschweig. Im Dokumentationszentrum der Gedenkstätte in der heutigen Justizvollzugsanstalt Wolfenbüttel zeigt eine Multimediawand zukünftig jeden einzelnen der mehr als 70 Orte, an denen Gefangene teilweise unter menschenunwürdigen Umständen leben und arbeiten mussten, litten und nicht selten auch starben. An ausgewählten Außenstellen sollen jetzt im Rahmen des Projekts outSITE Wolfenbüttel Erinnerungstafeln aufgestellt werden, die die Facetten des bis 1945 vom Strafgefängnis Wolfenbüttel ausgehenden Schreckens öffentlich sichtbar machen sollen.
Zwölf Standorte auf der Liste
Geplante Standorte der Stelen sind die Gebrüder Welger Maschinenfabrik (Wolfenbüttel), der Bahnhof Wolfenbüttel als Arbeitsort der Firma Karl Schaare Straßen- und Tiefbau (Braunschweig), das Kalkwerk Bahl & Co. (Wendessen), Büssing (Braunschweig), Schießplatz Buchhorst (Braunschweig), Kreis- und Untersuchungsgefängnis Braunschweig, Katharinen-/Garnisonsfriedhof Braunschweig, Anatomisches Institut Göttingen, Oda-Werke (Blankenburg), Klosterwerke (Blankenburg), Reichswerke Hermann Göring (Salzgitter-Heerte) und der Fliegerhorst Wesendorf.
„Wir planen zurzeit noch mit zwölf Orten. Wie viele aber tatsächlich realisiert werden können, steht noch nicht endgültig fest. Nach Möglichkeit sollen die Stelen noch in diesem Jahr aufgestellt werden, sofern uns Corona keinen Strich durch die Rechnung macht“, sagt Martina Staats, die Leiterin der Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel. Gefördert wird das Projekt von der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz, der Braunschweigischen Stiftung, der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten und der Stiftung Zukunftsfonds Asse. Die Standorte wurden von einer Jury ausgewählt. Den Zuschlag für die Gestaltung der Stelen erhielt das Gestaltungsbüro Kocmoc aus Leipzig.
„Kriegswichtige Arbeiten“
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten und dem Ende des Rechtsstaats 1933 wies die Justiz zunehmend politisch Andersdenkende, sozial und rassistisch Ausgegrenzte, Homosexuelle sowie Zeugen Jehovas in das Gefängnis ein. Mit der Kriegsvorbereitung von 1938 an mussten nahezu alle Häftlinge Zwangsarbeit verrichten. Mit Fortschreiten des Krieges stieg vor allem die Zahl der ausländischen Gefangenen, die in erster Linie Widerstandskämpfer in ihren Heimatländern waren, stark an. Zunehmend wurden die Gefängnisinsassen für „kriegswichtige Arbeiten” eingesetzt. Mit der Zwangsarbeit der Gefangenen sollte der Strafvollzug seinen Beitrag zum Krieg leisten.
Die Arbeitszeiten wurden länger und die Zahl der Außenarbeitsorte nahm zu. „Die Folge war der Anstieg der Kranken- und Todeszahlen“, heißt es im Katalog „Recht. Verbrechen. Folgen“ zur Ausstellung im Dokumentationszentrum. „Wir arbeiteten elf Stunden hintereinander weg. Und zu allem Überfluss gab es noch Extraarbeit: Gemüsereinigen für eine Konservenfabrik“, wird der Norweger Wilfred Jensnius zitiert. Er saß in Wolfenbüttel ein, weil er im schwedischen Exil politische Karikaturen für eine Zeitung angefertigt hatte. Dafür verurteilte ihn ein Sondergericht in Kiel 1942 zu sechs Jahren Haft! Er kehrte im Mai 1945 zu seiner Familie in Norwegen zurück.
Unmenschliche Bedingungen
Im Gefängnis selbst ließ die optische Firma Voigtländer & Sohn aus Braunschweig von 1943 an Zielfernrohre und Ferngläser für die Wehrmacht produzieren. Produziert wurde unter anderem in der nicht mehr genutzten Anstaltskirche. Die Bedingungen waren kaum besser als in anderen Arbeitskommandos. „Die Kirche war ein kalter Arbeitsplatz, und du musstest erst minus elf Grad erleben, ehe die Arbeit unterbrochen wurde. Nicht zur Schonung der Gefangenen, sondern wegen der Fernrohre, die eine höhere Produktionstemperatur erforderten. Du warst gar nicht froh darüber, weil es in der Zelle noch kälter war. In der Kirche konntest du bisweilen heimlich die Hände um die Arbeitslampe halten. Das half“, erinnerte sich Häftling Alf Pahlow Andresen.
Im Stollen schlafen
Bei weit entfernten Kommandos wurden die Gefangenen, wenn sie Glück hatten, in Baracken vor Ort untergebracht. lm Sommer 1944 wurden 140 Gefangene für den Einsatz in der Rüstungsproduktion nach Walbeck bei Helmstedt transportiert. lm Zuge der Untertageverlagerung von Rüstungsproduktion mussten sie in einem Stollen schlafen. Das Arbeitskommando Walbeck zählte zum „verschärften Vollzug“, mit dem Arbeitsverweigerung und Faulheit bestraft werden sollten. Der polnische Gefangene Wladyslaw Toporek wurde wegen einer versuchten Flucht nach Walbeck gebracht. Dort starb er am 12. März 1945 an Tuberkulose.
526 Todesurteile vollstreckt
1937 wurde im Strafgefängnis eine von 22 Hinrichtungsstätten im Nazi-Deutschland eingerichtet. Bis zur Befreiung durch US-Truppen wurden in Wolfenbüttel an 526 Männern und Frauen Todesurteile mit der Guillotine vollstreckt. Soldaten der Wehrmacht erschossen weitere fünf Verurteilte aus dem Strafgefängnis auf dem Schießstand Braunschweig-Buchhorst. Fast die Hälfte aller zum Tode Verurteilten kam aus dem besetzten europäischen Ausland. Die meisten Hingerichteten wurden auf lokalen Friedhöfen beerdigt. Mehr als 200 Leichen kamen jedoch zu Forschungszwecken an das Anatomische Institut der Universität Göttingen. Aus diesem Grund steht es auch auf der Liste für die Erinnerungsstelen.
Hier geht es zum Video zur Dauerausstellung.