Dünne Beine wie ein Zahnstocher
Braunschweigs skurrile Ecken und andere Merkwürdigkeiten, Folge 27: Francesco Maria Cappellini und das Stechinelli-Haus.
Am Altstadtmarkt findet sich direkt gegenüber vom Altstadtrathaus an der Ecke zur Breiten Straße ein Haus mit einer auffälligen Steinfigur. Es ist das Stechinelli-Haus. Ursprünglich erbaut wurde es 1690 von Francesco Maria Cappellini (1640-94), eine schillernde Persönlichkeit, die durch eine sagenhafte Geschichte nach Braunschweig kam. Doch kaum jemand nannte den Freiherren bei seinem richtigen Namen, wenn über ihn gesprochen wurde. Aufgrund seiner dünnen Beine, die an „Zahnstocher“ (ital: stecchino) erinnerten, bekam er den Spitznamen Stechinelli, der ihn schon seit seinem Verlassen Venedigs verfolgte.
Stechinelli liebte die Oper am Hagenmarkt in Braunschweig. Der zu Reichtum gekommene Venezianer lebte aber in einem im französischen Barock errichteten Palais auf Gut Wickenburg in der Südheide. Der Weg zurück nach den Vorstellungen war ihm verständlicherweise zu weit. Deswegen erwarb er am Altstadtmarkt ein Grundstück, um dort seinen „zweiten Wohnsitz“ zu errichten.
Das Haus wurde im 2. Weltkrieg zwar zerstört, wurde aber im alten Stil wieder aufgebaut und erhielt auch die Skulptur des Betteljungen zurück. Damit verbunden ist die Erzählung, dass Stechinelli zerlumpt und barfüßig dem Herzog entgegen getreten sein soll, als der eine Möglichkeit suchte, sein Pferd anzubinden. Nach dieser Sage versprach ihm der Betteljunge, bei dem Tier zu bleiben, und als ihn der Herzog bei seiner Rückkehr für den Dienst entlohnen wollte, hatte er nur ein großes Silberstück in der Tasche. Stechinelli versprach, das zu wechseln, und kehrte tatsächlich treu und brav mit dem Geld zurück. Der ob solcher Ehrlichkeit entzückte Herzog stellte ihn dann in seine Dienste, heißt es.
Ein Betteljunge aber war Stechinelli aber mit Sicherheit. Er stammte aus verarmtem Adel. Sein erhaltenes Wappen an der Toreinfahrt Breite Straße weist eine Rose und einen Hut auf, denn der Name Cappellini leitet sich aus dem italienischen capello für Hut ab. So ist es auch erklärlich, warum die Figur des Betteljungen einen Hut in der Hand hält. Die Skulptur ist von J. Meyer 1870 ausgeführt worden. Der springende Löwe darüber stammt aus dem Jahr 1690. Hüte und Rosen finden sich auch abwechselnd in den Fenstergiebeln des Hauses. Hinter den heutigen Schaufensterscheiben befanden sich einst die zum Markt offenen Messgewölbe, die ältesten der Stadt. Das erhalten gebliebene Tor mit Masken, Löwen- und Engelsköpfen stammt wahrscheinlich von Ulrich Stamm (um 1630) und wurde von unbekannter Stelle hierher versetzt.
Wieder einmal mischen sich mündliche Überlieferungen mit wenigen, noch nachprüfbaren Fakten und bieten Stoff für weitere Ausschmückungen. So erschien schon 1911 das Werk von Werner von der Schulenburg: Stechinelli. Roman eines Kavaliers, weitere Erzählungen entwickelten sich über die Zeit.
Der junge Venetianer war einst über Umwege aus Hannover nach Braunschweig gekommen. Schnell sprachen sich sein diplomatisches Geschick, sein ungewöhnlicher Geschäftssinn und seine große Menschenkenntnis herum. Cappellini wurde zum Vertrauten von Herzog Rudolf-August von Braunschweig-Wolfenbüttel. Er, der in Venedig einst Liebesbriefe überbracht hatte, setzte sich in seiner neuen Heimat stark für das Postwesen ein, bemühte sich um billige Transportwege und zusätzliche Einnahmequellen.
1678 wurde ihm die Würde des General-Postmeisters verliehen. Damit hatte Cappellini den Gipfel seiner Karriere erreicht und erhielt im Celler Schloss in Anwesenheit der Herzöge Rudolf August von Braunschweig-Wolfenbüttel, Johann Friedrich von Calenberg und Georg Wilhelm seine Belehnung. Gleich darauf wurde die neue Verordnung für das Postwesen festgelegt.
Cappellini sorgte dafür, dass überall im Lande neue Relaisstationen eingerichtet wurden. Neue Streckenlinien wurden aufgenommen, Posthäuser errichtet, Straßen und Brücken befestigt. Durch häufigen Pferdewechsel wurde es möglich, die Fahrpläne genau einzuhalten, die Reisenden fuhren mit großer Bequemlichkeit und für die damaligen Verhältnisse sehr schnell durch das Land. Für ganz Norddeutschland wurde dieses System zum Vorbild.
1688 wurde Cappellini in den Freiherrenstand erhoben. Zweimal verheiratet, hinterließ er 13 Kinder, als er 1694 starb. In Hildesheim erinnert ein Grabdenkmal an der St. Magdalenen-Kirche an ihn.