„Ein Freudenfest kann Weihnachten diesmal nicht sein“
75 Jahre Kriegsende, Folge 9: Die braunschweigische Schriftstellerin Ricarda Huch verfasste für die von der Sowjetarmee herausgegebenen „Tägliche Rundschau“ 1945 eine „Botschaft zur Weihnacht“.
Gerade in der tiefen Trauer um die Kriegstoten, die es in nahezu jeder Familie zu beklagen gab, und angesichts der immensen Zerstörungen in den deutschen Städten sah die braunschweigische Schriftstellerin Ricarda Huch (1864 – 1947) die Chance, 1945 den tatsächlichen Sinn der Weihnacht wieder zu entdecken. „Ein Freudenfest wie sonst kann Weihnachten in diesem Jahre nicht sein; aber gerade deshalb erleben wir es vielleicht tiefer und seinem Sinn gemäßer als sonst“, schrieb sie in ihrer „Botschaft zur Weihnacht“, die in der in Berlin erscheinenden und zunächst von der Sowjetarmee herausgegeben „Täglichen Rundschau“ veröffentlicht wurde.
Begraben in fremder Erde
Deutschland lag in Trümmern und niemand wusste, ob es noch eine Zukunft geben werde: „In diesem Jahre wird es in vielen Häusern leer und dunkel sein, da, wo sonst der Weihnachtsbaum stand und wo er vielleicht nie mehr stehen wird. Das Kind, das ihn in den glücklichen Jahren umjubelte, liegt irgendwo fern in fremder Erde, und mit ihm ist das Herz der Eltern begraben. Auch die Häuser, zu denen die Söhne zurückgekehrt sind oder zurückkehren werden, sind der Freude nicht so wie sonst geöffnet. Viele haben teure Freunde, viele haben Hab und Gut verloren, alle bedrückt das Unglück des Vaterlandes“, hatte Huch verfasst.
Von 83 Jahren eines erfüllten Lebens hatte die braunschweigische Schriftstellerin Ricarda Huch, die letzten elf Jahre in der thüringischen Universitätsstadt Jena verbracht. Es waren Jahre des Widerstands gegen die Barbarei des Nationalsozialismus, Jahre der Verfolgung aber auch produktive Jahre als Schriftstellerin. Nach Kriegsende hatte Ricarda Huch sich zunächst entschlossen in Jena zu bleiben. Sie engagierte sich für die Wiedereröffnung der Universität Jena, unterstützte freie Kommunal- und Landtagswahlen und eröffnete schließlich als Alterspräsidentin den ersten thüringischen Landtag. Sie kommentierte außerdem in der „Täglichen Rundschau“ die aktuellen politischen Veränderungen.
Heimliche Erwartung eines Wunders
Ausgehend von der Symbolik des Lichts mit dessen Wiedergeburt zugleich die Geburt des Erlösers gefeiert werde, beschreibt Ricarda Huch zunächst ihre Vorstellung des Weihnachtsfestes: „Bei uns gehören dazu die weißen, lautlos fallenden Flocken, die dämmerige Luft, das knisternde Feuer im Ofen, die heimliche Erwartung eines Wunders, das sich begeben soll. Es gehört ein Tannenbaum dazu, nach Wald und Honig riechend, den wir schmücken, wie vor vielen Jahrhunderten die Völker ihre heiligen Bäume mit Lichtern und bunten Bändern schmückten und ahnungsvoll auf den schimmernden Fremdling starrten“.
„Friede auf Erden!“
Trotz aller Not und Verzweiflung der Menschen in Deutschland sah Ricarda Huch hoffnungsfroh in die Zukunft, denn nach dem Ende des Krieges sei der Friede nahe, den bereits die himmlischen Heerscharen den Hirten auf dem Feld verkündet hatten: „Friede auf Erden!“ Mit diesem ersten Weihnachtsfest nach dem Kriege sollte der Alpdruck der Vergangenheit abfallen und die Erkenntnis wachsen, dass nur Verblendete glauben, „mit Gewalt die Welt regieren zu können“.
Nun aber, Weihnachten 1945, warteten die Menschen in Deutschland „wie Kinder im Dunkeln, dass die Türen auffliegen und der Stern auf der Spitze des Baumes sichtbar wird“. Auch im politischen Dunkel der Zeit blieb die Hoffnung auf eine helle Zukunft für die Menschen gerade durch das großartige Symbol des Weihnachtsfestes erhalten.
Verbindung zu 2020
Weihnachten 2020 werden die Menschen in der Stadt Braunschweig wieder hoffen, dass das Morgen ein besseres Gestern werden wird, gerade in dieser von der Pandemie gezeichneten Zeit und dem Kampf und Gesundheit und Leben vieler Menschen, ob Jung oder Alt. Vor allem anderen aber wünschen sich die Menschen auch Frieden und diesem Wunsch nach Schutz vor der Pandemie einem Leben in Frieden schließt sich der Chronist gerne an, denn wieder müssen wir um den Frieden in der Welt und in unserer Gesellschaft bangen.
Prof. Dr. h.c. Gerd Biegel ist Gründungsdirektor des Instituts für Braunschweigische Regionalgeschichte und Geschichtsvermittlung an der TU Braunschweig.