Ein Leben für die Pflicht
Sein letztes großes Ziel erreichte Carl Wilhelm Ferdinand nicht: Braunschweig verlor seine Souveränität und ging im Königreich Westphalen auf.
Carl Wilhelm Ferdinand kam am 9. Oktober 1735 als Sohn Carls I. von Braunschweig-Wolfenbüttel und Philippine Charlotte, der Schwester Friedrichs II. von Preußen, zur Welt. Als Erbprinz stand Carl Wilhelm Ferdinand im Mittelpunkt der Kinderschar des Hofes. Ihn umfassend zu bilden, war eine Aufgabe, die nicht nur seinem Wohl, sondern dem des gesamten Fürstentums dienen sollte. Eine besondere Rolle spielte dabei der Theologe Abt Jerusalem, der Carl Wilhelm Ferdinand die Prinzipien der Aufklärung vermittelte, die ihn ebenso prägten wie die enge Verbindung zu Preußen.
Bereits sein Vater war sowohl durch Reformen als auch durch militärische Leistungen in Erscheinung getreten. Dennoch gingen Carl Wilhelm Ferdinands zunächst vorrangig militärische Ambitionen über die des Vaters hinaus und dieser erhob Widerspruch gegen die Kampfeinsätze des Sohnes auf preußischer Seite im Siebenjährigen Krieg. Sein militärisches Engagement behielt Carl Wilhelm Ferdinand allerdings selbst dann noch bei, als er 1773 die Regierungsgeschäfte für seinen Vater übernahm und ihm 1780 schließlich als Fürst nachfolgte.
Der Oberbefehl über preußische und österreichische Truppen im ersten Koalitionskrieg war zunächst ein weiterer Schritt dieser Karriere, erschütterte sie dann aber entscheidend: Carl Wilhelm Ferdinand unterzeichnete 1792 das „Manifest des Herzogs von Braunschweig“, das dem französischen Volk mit schärfsten Strafen drohte, wenn es sich direkt gegen die Königsfamilie wenden sollte. Doch das Gegenteil der erhofften Reaktion trat ein und führte zum Sturm auf den Tuilerienpalast. Für Carl Wilhelm Ferdinand, dessen Ziel immer das Wohl seines Hauses war, muss dieses Ereignis, das vom gesamten europäischen Adel als reale Bedrohung wahrgenommen wurde, eine qualvolle Niederlage gewesen sein. 1794 legte er den Oberbefehl nieder. Eine völlige Abwendung vom militärischen Leben war für Carl Wilhelm Ferdinand zwar nicht vorstellbar, dennoch zögerte er 1805, bevor er erneut als Oberbefehlshaber gegen napoleonische Truppen kämpfte. Mittlerweile war er 70 Jahre alt.
Auch in Hinblick auf Braunschweig war Carl Wilhelm Ferdinand immer zielstrebig gewesen, aber die Zukunft seines Fürstentums war nicht so sicher, wie es sich der pragmatische (Landes-)Vater gewünscht hätte. Nach der Eheschließung 1764 hatte seine Frau Augusta, die als Tochter des britischen Erbprinzen bis zur Heirat in England gelebt hatte, vier Söhne und drei Töchter zur Welt gebracht, obwohl sich das Paar immer fremd blieb und von Liebe keine Rede war. Man arrangierte sich.
Carl Wilhelm Ferdinand ließ Augusta das Schlösschen Richmond bauen und fand zunächst in Maria Antonia von Branconi und später in Luise von Hertefeld langjährige Partnerinnen, die beide auch am Hof Anerkennung fanden. Dass beide Mätressen ebenfalls je einen Sohn von ihm bekamen, konnte Carl Wilhelm Ferdinand allerdings nicht von der größten Sorge seines Lebens befreien: die Thronfolge des Fürstentums Braunschweig-Wolfenbüttel.
Der Erbprinz Karl Georg August war zwar verheiratet, blieb jedoch kinderlos. Zwei weitere Söhne waren durch schwere Krankheiten geschwächt. Die Hoffnungen auf Nachkommen lagen daher beim jüngsten: Friedrich Wilhelm. Carl Wilhelm Ferdinand erwartete von ihm, dass auch er seine Militärleidenschaft sowie private Wünsche den Anforderungen des Fürstentums unterordnete und drängte ihn eindringlich zur Heirat.
Auch die heute irritierende Tatsache, dass kein Familienmitglied an dieser so stark geforderten Hochzeit des Sohnes in Karlsruhe teilnahm, war damals nur vernünftig: die Reise wäre zu teuer gewesen, das Ziel war erfüllt und bereits im Vorfeld hatte man die wesentlichen Punkte der Erbfolge sowie der Versorgung der zu erwartenden Kinder getroffen. Diese sollten selbstverständlich in Braunschweig zur Welt kommen, darauf bestand Carl Wilhelm Ferdinand.
Die Freude über die Geburt seines ersten Enkelsohnes drückte er in einem Brief 1805 wie folgt aus: „Gott begleite die beiden [Mutter und Kind] und erhalte sie zum Wohl und Glück so vieler Menschen, die alle ihre Hoffnung auf das Kind setzen.“ Die Worte machen einmal mehr deutlich, dass die Pflichterfüllung für Carl Wilhelm Ferdinand wichtigstes Lebensziel war.
Dass Carl Wilhelm Ferdinand zur Verbesserung der desolaten finanziellen Situation sowohl eine Frau heiratete, die eine üppige Mitgift mitbrachte, als auch später gezielt von seinem Vater zusammengetragene Sammlungsbestände verkaufte und zielgerichtete Reformen durchführte, passt ebenso zum Charakter des Fürsten wie die Tatsache, dass er durch die Förderung des jungen Carl Friedrich Gauß ausgerechnet einen Mathematiker unterstützte. Carl Wilhelm Ferdinand war gebildet, verkehrte mit geistigen Größen seiner Zeit, wie beispielsweise Gotthold Ephraim Lessing. Ein leidenschaftlicher Kunstfreund war er allerdings ebenso wenig wie ein durch und durch mutiger und entschlussfreudiger Politiker. Er blieb auf der „sicheren Seite“, so dass es nicht überrascht, dass Goethe bei einem Besuch am Braunschweiger Hof davon ausging, seine Briefe könnten gelesen werden, denn „…bei einem so politischen Fürsten wie dem Herzog von Braunschweig muß man auf alles gefaßt sein.“ (Johann Wolfgang von Goethe in einem Brief, 29. August 1784).
Selbst im Tod Carl Wilhelm Ferdinands 1806 spiegeln sich diese beiden entscheidenden Aspekte seines Lebens, Militär und Pflicht, wider: Er starb an den Folgen schwerer Verletzungen, die er in der Schlacht bei Auerstedt erlitten hatte, zwar fern seiner Heimat im damals dänischen Ottensen, traf jedoch zuvor letzte Regelungen mit seinem Sohn Friedrich Wilhelm bezüglich der Erbfolge und hatte sowohl diesen als auch seine Frau Augusta zum Abschied noch einmal gesehen. Sein letztes großes Ziel, gegenüber Napoleon die Neutralität Braunschweigs und damit dessen Erhalt durchzusetzen, gelang ihm jedoch nicht. Braunschweig war besetzt und ging im Königreich Westphalen auf.