Eine Kirche für Arme, Fremde und Verbannte

An der Michaeliskirche, Blickrichtung Güldenstraße. Foto: Stadtmarketing Braunschweig GmbH/ Gerald Grote

Die heraus­ra­genden Kirchen im Braun­schweiger Land, Teil 11: die Michae­lis­kirche

Der Michae­lis­kirche zwischen Gülden- und Echtern­straße gebührt ein bemer­kens­wertes Allein­stel­lungs­merkmal: Als einzige Stadt­kirche blieb sie von Zerstö­rungen im Bomben­hagel auf Braun­schweig während des Zweiten Weltkriegs verschont. Der quadra­ti­sche Westturm mit seinem Kupfer­helm, der 1944 als einzige große Kirch­turm­spitze der Innen­stadt nicht abbrannte, markiere unver­än­dert das beschau­liche südwest­liche Quartier der Altstadt, schreibt Wolfgang Jünke, Pfarrer in Ruhestand, in der Geschichte zu St. Michaelis auf der Inter­net­seite der Gemeinde. Lediglich eine Glocke aus dem Jahr 1489 wurde Opfer des Zweiten Weltkriegs. Sie wurde 1942 zum Einschmelzen nach Hamburg abtrans­por­tiert.

Die Michae­lis­kirche. Foto: Stadt­mar­ke­ting Braun­schweig GmbH/ Gerald Grote

„Die ursprüng­liche Kirche wird ein einschif­figes Gebäude gewesen sein“, erläutert Wolfgang Jünke weiter. Es wurde später um das Jahr 1250 unter Hinzu­fü­gung des Turmes im romani­schen Stil erweitert. Im 14. Jahrhun­dert erfolgte der Umbau zur gotischen Hallen­kirche. Am nördli­chen Seiten­schiff ist eine noch gut lesbare, sich auf die Neuweihe bezie­hende Inschrift aus dem Jahre 1379 erhalten. Errichtet wurde die kleinste der Braun­schweiger Stadt­kir­chen aus Rogen­stein vom Nußberg und aus Elmkalk­stein.

„Die ältesten Bauteile der bestehenden Kirche umfassen neben dem Turm auch die Gewöl­be­joche des Mittel­schiffs. Das Dachwerk stammt ebenfalls noch aus dem 13. Jahrhun­dert und gehört damit in die erste Bauphase“, ergänzt Bauhis­to­riker Elmar Arnhold in seinem Standard­werk „Mittel­al­ter­liche Metropole Braun­schweig“. Das Buch wurde unter anderem von der Stiftung Braun­schwei­gi­scher Kultur­be­sitz und der Richard Borek Stiftung gefördert. Es bildet für die Stadt­kir­chen die Grundlage unserer Serie.

Erste Kirch­weihe im Jahr 1157

Das Dachwerk von St. Michaelis. Foto: Elmar Arnhold

Im 12. Jahrhun­dert hatte sich, so Elmar Arnhold, in der Randlage des Weich­bilds Altstadt ein Friedhof für Arme, Fremde und Verbannte befunden. Dort entstand der erste Kirchenbau. Diese Michae­lis­kirche wurde 1157 vom Hildes­heimer Bischof Bruno geweiht. Ihr Bau war auf einem privaten Grund­stück durch Spenden ermög­licht worden. Die am Westbau der Michae­lis­kirche entlang­füh­rende Echtern­straße war die letzte Straße vor der mittel­al­ter­li­chen Stadt­be­fes­ti­gung, sie lag „achtern“, also hinter der Stadt­mauer. Den heutigen Platz vor der Kirche an der Echtern­straße mit seinen vorge­la­gerten Fachwerk­häu­sern beschreibt Elmar Arnhold als besonders stimmungs­voll für das alte Braun­schweig. Auf der anderen Seite missfällt ihm jedoch die vierspu­rige Gülden­straße mit ihrem überaus starken Verkehrs­auf­kommen.

Bei aller ersicht­li­chen Beschei­den­heit sowohl im Äußeren als auch im Inneren könne St. Michaelis trotzdem mit einem regional weit und breit einma­ligen farbigen Glasbil­der­zy­klus aus der Zeit nach 1900 aufwarten, meint Wolfgang Jünke. Der Zyklus dokumen­tiere den hohen Standard der braun­schwei­gi­schen Glasma­lerei an der Wende zum 20. Jahrhun­dert. „Die Szenen in ihren leuch­tenden Farben lassen vor den betrach­tenden Augen eine Art Bilder­bibel entstehen. Es grenzt fast an ein Wunder, dass diese Fenster dem aller­orten durch Bomben verur­sachten Glasbruch 1944/45 nahezu unbeschä­digt entgangen sind, im völligen Gegensatz zu ähnlichen künst­le­risch gestal­teten Vergla­sungen in anderen Stadt­kir­chen“, so Wolfgang Jünke. Der Zyklus sei wegen seiner anerkannten kultur­ge­schicht­li­chen Bedeutung aufwendig restau­riert und geschützt worden.

Innen­an­sicht Michae­lis­kirche. Foto: Elmar Arnhold

Zentrum einer Tradi­ti­ons­insel

Die Michae­lis­kirche stellt das Zentrum des Michae­lis­vier­tels dar. Es ist eine der Tradi­ti­ons­in­seln, die nach dem Zweiten Weltkrieg einge­richtet wurden. Dazu zählen der Dom mit dem Burgplatz, St. Magni mit dem Magni­viertel, Marti­ni­kirche mit dem Altstadt­markt, St. Aegidien mit dem Aegidi­en­viertel und eben St. Michaelis mit dem Michae­lis­viertel. Zu danken hat Braun­schweig den teilweisen Erhalt des alten Braun­schweigs dem seiner­zei­tigen Denkmal­pfleger Kurt Seeleke. Er hatte die Idee der Tradi­ti­ons­in­seln, die 1946 durch­ge­setzt wurde. Durch Aufnahme in die Denkmal­pfle­ge­sat­zung der Stadt Braun­schweig von 1963 wurden die Tradi­ti­ons­in­seln unter gesetz­li­chen Schutz gestellt.

Im Michae­lis­viertel hat das Studen­ten­werk Braun­schweig 1984 aus zwei origi­nalen und zehn nachemp­fun­denen Fachwerk­häu­sern das Studen­ten­wohn­heim „Michae­lishof“ geschaffen. Südlich der Kirche blieb das statt­liche Renais­sance­ge­bäude „Haus zur Hanse“ aus der Zeit um 1560 erhalten, und in der Echtern­straße 16 steht das restau­rierte Stobwas­ser­haus der einstigen Lackwa­ren­ma­nu­faktur von 1771, in dem 1890 der spätere Reichs­prä­si­dent Friedrich Ebert als junger Sattler­ge­selle wohnte. Auch Reste der mittel­al­ter­li­chen Stadt­be­fes­ti­gung sind am Giesel­er­wall mit einem Stück Stadt­mauer und an der Echtern­straße ein Wachtturm mit einem gedeckten Wehrgang zum Neustadt­müh­len­graben. In der Alten Knochen­hau­er­straße sind bemer­kens­werte Fachwerk­häuser wie der „Ritter St. Georg“ von 1470 bis 1489 vorhanden.

Kontakt:
Ev.-luth. Kirchen­ge­meinde St. Michaelis
Pfarrer und Gemein­de­haus
Echtern­straße 12
38100 Braun­schweig
Tel: 0531 4 26 63
E‑Mail: michaelis.bs.buero@lk-bs.de
Inter­net­seite: www.st-michaelis-bs

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