Eine Perle der Weserrenaissance wird mit Leben gefüllt
Seit 22 Jahren engagiert sich der Förderkreis Erbhof zu Thedinghausen e.V. für den Erhalt und die kulturelle Strahlkraft des Weserrenaissance-Schlosses – und einer Samtgemeinde …
Im Norden durch die Weser begrenzt und zu drei Seiten von den Feldern und Wiesen der Marschlandschaft umgeben liegt die Samtgemeinde Thedinghausen im Landkreis Verden. Rund 15.000 Einwohner leben hier kurz vor Bremen in den Gemeinden Blender, Emtinghausen, Riede und Thedinghausen. Vier von ihnen sitzen uns an diesem verregneten Montagmorgen im ersten Stock des prunkvollen Schlosses Erbhof gegenüber. Denn wir sind verabredet mit Sabine Dörr, Henning Struckmann und Gerd Schröder vom Förderkreis Erbhof zu Thedinghausen e.V., die sich bereits seit seiner Gründung im Jahr 2000 ehrenamtlich in dem Verein engagieren. Hinzugesellt hat sich außerdem Imke Meyer, die die Touristeninformation leitet. Während der Himmel vor den Fenstern weiter zuzieht und der Wind um die Backsteinmauern tost, ist es im Inneren angenehm warm. Es gibt Kaffee und Gebäck.
Die Geschichte des historischen Gemäuers reicht bis in das 17. Jahrhundert zurück. Zwischen 1619 und 1621 erbaut der evangelische Erzbischof Johann Friedrich das prachtvolle Schloss für seine Geliebte Getrud von Hermeling-Heimbruch. Heute gilt der Erbhof mit seiner harmonischen Fassade, den reich verzierten Turmgiebeln, den Utluchten rechts und links vom Treppenaufgang und Ziersäulen als Perle der Weserrenaissance – und als Herzstück der Kultur Thedinghausens. Ein Verdienst des gemeinnützigen Förderkreises, der sich seit seiner Gründung vor 22 Jahren um den Erhalt, die kulturelle Förderung und die Öffentlichkeitsarbeit des Erbhofes kümmert.
Eine Samtgemeinde kauft ein Schloss
„Ich kenne den Erbhof schon von klein auf. Früher hat man das Gelände nicht einfach betreten, schließlich war es Privatbesitz“, blickt Gerd Schröder, erster Vorsitzender des Vereins, zurück. Das ändert sich im Jahr 1999, als die Samtgemeinde das Ensemble samt seinen Wirtschaftsgebäuden für insgesamt drei Millionen Euro erwirbt und die Gemeinde Thedinghausen 35 Hektar dazugehörige landwirtschaftliche Fläche kauft. Unter den Bürgerinnen und Bürgern Thedinghausens sorgt die Investition damals durchaus auch für Kritik, erinnert sich Schröder. „Manch einer fragte, was wir mit einem Schloss anfangen sollen. Doch hätte die Samtgemeinde den Erbhof nicht gekauft, wäre er womöglich in private Hände gefallen und das Tor für die Öffentlichkeit geschlossen geblieben.“
Um sich die Finanzierung der großen Maßnahmen leisten zu können, wirbt die Samtgemeinde rund 1,2 Millionen Euro Fördermittel ein, darunter Bundeszuschüsse im Rahmen des Denkmalpflegeprogramms plus EU-Fördermittel. Doch auch der Landkreis Verden, die Sparkassenstiftung und die Bremer Landesbank engagieren sich. Mit gut 30.000 Euro fördert zudem die Braunschweigische Stiftung das Projekt. In einer Expertise soll Niedersachsens damaliger Kultusminister Lutz Stratmann den Erbhof hoch gelobt haben: „Es gibt kein Projekt, was mehr Wert wäre, vom Land unterstützt zu werden, als dieses Leuchtturmprojekt“, zitiert Schröder den Politiker sinngemäß.
Das Geheimrezept
Im August 2000 gründet sich daraufhin der gemeinnützig ehrenamtlich geführte Förderverein. „Unsere Aufgabe sollte es sein, das Erbhof Ensemble mit Leben zu füllen“, erzählt Schröder. Federführend sei damals der Altbürgermeister und ehemalige Ehrenvorsitzende Hans Schröder gewesen. Warum sich ausgerechnet ein gemeinnütziger Verein um die Pflege eines so wichtigen Areals kümmern soll, fragen wir nach. „Weil ein Verein eine möglichst dauerhafte Struktur hat, die von engagierten Personen getragen wird, die auf Neudeutsch Bock draufhaben“, erklärt Schröder. Dörr ergänzt: „Die Wege sind so deutlich kürzer. Natürlich müssen auch wir uns abstimmen, aber nicht mit dem gesamten Samtgemeinderat mit 30 Leuten. Das ist nämlich nicht immer einfach, weil dort zum Teil Menschen tätig sind, die weniger Interesse am Erbhof sowie seiner kulturellen Strahlkraft haben.“
Das sei schließlich das „Geheimrezept“ des Vereins, ist Schröder überzeugt: „Wir sind alle mit ganzem Herzen dabei, jeder individuell mit seinen Talenten. Man glaubt gar nicht, was man aus vielen Leuten herauskitzeln kann, wenn Sie sich frei entfalten können. Ein Jahr später ging es dann richtig los …“, sagt er und lächelt.
Ein Plattdeutscher Shakespeare, eine Welturaufführung und das Arboretum des Nordens
Im Jahr 2001 öffnet der Erbhof seine Tore für die Öffentlichkeit. Den Startschuss macht ein dreitägiges Open-Air-Festival. „Shakespeares Sommernachtstraum auf Plattdeutsch – das sieht man nicht alltäglich “, erinnert sich Sabine Dörr, die als Gründungsmitglied lange Zeit Schriftführerin des Vereins war, inzwischen jedoch vom Vorstand zurückgetreten ist. „Außerdem haben wir einen Stummfilm von Friedrich Wilhelm Murnau vor der Erbhof Kulisse gezeigt, der musikalisch mit einer eigens dafür geschriebenen Partitur vom Bremer Staatsorchester live begleitet wurde. Das war eine Welturaufführung.“
In den darauffolgenden Jahren finden weitere Großveranstaltungen in der ehrerbietigen Kulisse des Schlosses statt. 2005 folgt das nächste Festival. „Daraufhin haben wir beschlossen, im Garten des Erbhofes eine Freilichtbühne zu errichten und zudem eigene Tische und Stühle angeschafft. Seitdem sind wir flexibler“, erzählt Schröder. Auch auf dem übrigen Schlossgelände tut sich etwas. In die früheren Wirtschaftsgebäude des ehemaligen Gutes ziehen eine Anwaltskanzlei, das Feuerwehrgerätehaus und eine Ausstellung des Heimatvereins ein. Auf gut elf Hektar Fläche entsteht in direkter Nachbarschaft zum Weserrenaissance-Schloss auf Intention des Altbürgermeisters Hans Schröder ein Baumpark – „das Arboretum des Nordens mit rund 450 Arten und Sorten. Dazu ein Kinderspielplatz, eine Boulebahn und ein Reisemobilstellplatz“, erklärt Gerd Schröder. Seit 2016 befindet sich in einem Nebengebäude, vis-à-vis zum Schloss zudem das Restaurant Romance.
Innere Werte
Um das Innere des Erbhofes denkmalgerecht instand zu setzen, entwickelt die Samtgemeinde gemeinsam mit dem Architekturbüro PMP Projekt aus Hamburg und den Behörden der Denkmalpflege ein Konzept. Die Fassade sei gut erhalten gewesen, erinnert sich der Förderkreis. Im Schlossinneren muss jedoch die Statik angepasst werden, da im Laufe der Jahrhunderte vielfach bauliche Veränderungen vorgenommen worden waren und durch Wassereintrag Schäden entstanden. Rund neun Jahre dauert das Ausfeilen des Konzepts sowie die Untersuchung der Bausubstanz, bis die Wiederherstellung des ehemaligen Festsaals und der übrigen Räume möglich ist. Die Mission glückt, der Erbhof geht in öffentliche Hände über.
Und die seien inzwischen ungemein gefragt – Gästeführungen durch die Ausstellungsräume und den Festsaal, Konzerte, Lesungen, Schauspiel und standesamtliche sowie freie Trauungen finden dort statt. „Um die 80 bis 100 im Jahr. In diesem Jahr sind wir bereits vollständig ausgebucht“, sagt Meyer und lacht. Sie freut sich, dass nach zweieinhalb anstrengenden Pandemie-Jahren erneut Leben in das Schloss einkehrt. Untätig sei der Verein in dieser Zeit nicht gewesen – „keineswegs“, betont Schröder. „Gemeinsam mit dem Historiker Christian Kammann haben wir intensiv an dem Manuskript für ein Buch über den Erbhof gearbeitet.“ Das Buch „Der Erbhof in Thedinghausen – Schauplatz höfischer Kultur, Bau- und Kulturgeschichte“ soll im Herbst dieses Jahres erscheinen.
Feierlichen Anlass dafür gibt es allemal. Schließlich feiert der Erbhof zu Beginn der Pandemie im Jahr 2020 sein 400-jähriges Bestehen. „Ein richtiges Highlight sollte das werden“, erzählt Dörr. „Ursprünglich hatte wir für das Jahr insgesamt 25 Veranstaltungen geplant. Durchführen konnten wir aufgrund der Corona-Pandemie nur fünf – den Rest holen wir jetzt nach.“ Die ersten Termine stehen bereits fest: Im Mai dieses Jahres soll in Kooperation mit dem Weserrenaissance-Museum ein Symposium zum Erbhof und der Renaissance im Weserraum stattfinden, mit namhaften Archivaren und Historikern. Auch Niedersachsens amtierender Kultusminister Björn Thümler habe sich bereits angekündigt. Genau so sollen Konzerte und Lesungen im Festsaal sowie Open-Air endlich wieder stattfinden.
Der Erbhof lebt vom ehrenamtlichen Engagement
„Ganz schön viel los“, bemerkt Schröder. „Manchmal habe ich den Eindruck, wir sollten kürzertreten.“ „Du trägst sicherlich den Löwenanteil“, bestätigt Dörr. „Aber ohne dein Engagement und unsere vielen Freiwilligen, könnten wir die Arbeit nicht stemmen.“ Um die 120 Mitglieder zählt der Verein inzwischen. Das Anwerben jüngerer Engagierter steht laut Dörr ganz oben auf ihrer Agenda. „Bei uns kann man Theater spielen, sich künstlerisch ausprobieren, Plakate entwerfen, Festivals mitorganisieren. Das versuchen wir in Schulen und Jugendzentren zu vermitteln und hoffen so, die Scheu vor dem Ambiente und dem Gebäude aus dem Weg zu räumen. Diesen Ort soll jeder nutzen und mitgestalten.“
„Auch ohne die vielen Förderer wäre die Arbeit nicht leistbar“, schaltet sich der langjährige Kassenwart des Vereins, Henning Struckmann ein. Ein Großteil der Vereinsarbeit wird von Sponsoren wie dem Landschaftsverband Stade, der Braunschweigischen Stiftung, der Stiftung der KSK Verden, der Volksbank Mittelweser, der Samtgemeinde Thedinghausen sowie dem Landkreis Verden mitfinanziert. Weiter werden bei Veranstaltungen mit freiem Eintritt Hutspenden gesammelt. „Die Braunschweigische Stiftung hat uns über die 22 Jahre unseres Vereins wirklich tatkräftig unterstützt. Wir konnten immer offenen Türen einrennen – oft mussten wir nicht einmal rennen. Die Zusammenarbeit hat immer viel Freude bereitet.“
Dass ihr Engagement und die investierte Zeit lohnen, darin sind sich die vier einig. Das kleine Schlösschen trage heute wesentlich zur Lebensqualität der Thedinghäuserinnen und Thedinghäuser, aber auch der umliegenden Bevölkerung bei. „Der Erbhof ist ein Wirtschaftsfaktor. Eigentlich muss man sagen, dass der Förderkreis und der Kulturverein Thedinghausen zusammen den Löwenanteil der Kulturarbeit in unserer Gemeinde leisten“, sagt Meyer. „Unser ursprüngliches Ziel, den Erbhof bekannt zu machen, haben wir jedenfalls allemal erreicht“, sagt Schröder. „Sogar weit übertroffen“, bejaht Struckmann. „Von daher könnten wir den Förderkreis eigentlich wieder auflösen“, entgegnet Schröder und zwinkert verschmitzt. Das stößt bei den anderen auf heftiges Kopfschütteln, davon wollen sie nichts hören – denn dafür liegt der Erbhof den Vereinsmitgliedern zu sehr am Herzen.
Derzeit geplante Veranstaltungen in 2022
- 19. März 2022, 19.00 Uhr: Konzert der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen
- 11. und 12. Mai 2022: Symposium zur Renaissance im Weserraum
- 28. Mai 2022, 20.00 Uhr: Open Air-Konzert mit der Rockband „Stone Washed“
- 10. und 11. Juni 2022: Ein Abend mit der Musik von Johnny Cash
- 13. August 2022: Konzert der Jagdhornbläserinnen „Les Amazones“
Kontakt:
Förderkreis Erbhof zu Thedinghausen e.V.
Gerd Schröder (1. Vorsitzender)
Auf dem Brink 8
27321 Thedinghausen
Tel.: 04204 7785
Mail: schroeder5457@gmail.com
oder: touristik@thedinghausen.de
Weitere Informationen finden Sie zudem auf der Internetseite des Erbhofes unter: https://www.schloss-erbhof.de/schloss/foerderkreis/foerderkreis-erbhof/.
Informationen
Insgesamt 291 Jahre lang gehörte die Gemeinde Thedinghausen als Exklave des ehemaligen Herzogtums Braunschweig zum Landkreis Braunschweig. Im Juli 1972 wurde sie dem Landkreis Verden angegliedert. Noch heute erinnern unter anderem die nach Braunschweig benannte Hauptstraße und das Herzog-Wilhelm-Denkmal an die braunschweigische Zeit.