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Entdeckungsreise in die Welt der Dinge

Ankündigungsfoto zum Theaterprojekt „Trost der Dinge“. Foto: Veranstalter
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Inszenierung von Christian Weiß lädt Zuschauer zum Audiowalk in fremde, leere Wohnungen.

Stellen Sie sich folgendes experimentelle Szenario vor: Sie kommen von der Arbeit nach Hause, den Hausschlüssel haben Sie schon in der Hand, die gemütliche Sofaecke bereits im Sinn. Und dann kommen Sie nicht mehr in Ihre Wohnung. Heute nicht. Morgen nicht. Nie mehr. Das einzige was Ihnen von Ihrer Bleibe bleibt: Sie dürfen binnen weniger Minuten ein paar Dinge benennen, die man für Sie aus Ihrer Wohnung holt. Das Volumen eines Schuhkartons sollte dabei nicht gesprengt werden. Das Klavier können Sie also vergessen.

Wenn man das „Um Gottes Willen!“ aus den schreckstarren Gedanken geschüttelt hat und sich auf dieses Experiment einlässt, muss man gar nicht durch die Wohnung streifen, um zu wissen, was unbedingt mit müsste. Die Dinge drängen sich vorm inneren Auge förmlich auf. Die kleine Nippesfigur aus der Fensterbank, die das Kind vor Jahren aus einem Überraschungsei geklaubt hatte, dann im Kinderzimmer verbusselte und ob des Verlusts Rotz und Wasser kübelte. Gegen die Freude, als das Plastikteil wieder da war, ist der WM-Jubeltaumel ein lahmer Schleudergang. Oder der Zopf, den du dir einst abgeschnitten hast. Oder der glatt geschliffene Stein von der Ostsee. Oder oder oder.

Sie werden sehen, Sie werden ganz schnell eine Liste dieser stummen Zeugen ihres Lebens zusammen haben, die Sie vielleicht nicht immer mit gleicher Aufmerksamkeit alltäglich wahrnehmen, die aber dennoch Haltepunkt in ihrem Leben sind, Speicher von Erinnerungen, visuelle Ankerplätze des Glücks, des Trostes.

Christian Weiß, Gründer und künstlerischer Leiter des mehrsicht-theaters, hat diesen Nebendarstellern des Lebens seine neue Arbeit gewidmet. In einer fremden, leeren Wohnung ist der Zuschauer eingeladen, sich mit den Dingen, mit denen wir uns umgeben, zu beschäftigen. Diese inszenierte, etwa halbstündige Entdeckungsreise in die Welt der Dinge und die Geschichten fremder Menschen soll natürlich ihren Entdeckungscharakter bewahren. Dennoch kann man so viel verraten: Weiß hat Interviews mit Menschen verschiedenen Alters und in ganz unterschiedlichen Lebenssituationen geführt und sie zu ihren alltäglichen Weggefährten befragt. Was zum Beispiel ist einem wert und wichtig, mitgenommen zu werden aus der Wohnung, in der man Jahrzehnte lebte, wenn der definitiv letzte Lebensabschnitt im Seniorenheim beginnt? Zum anderen sind die leeren Räumen bestückt mit Requisiten, die sogleich Assoziationsketten an bestimmte Lebensphasen provozieren. Die Zuschauer werden allein mit Kopfhörer durch die Räume gehen.

Warum diese Inszenierung? Man könnte auch schlicht einen Aufruf starten: Seht Euch mal bewusster um und schaut, mit was ihr Euch umgebt. Was ihr damit ausdrücken wollt, was es aber auch über Euch erzählt. Dieser Aufruf würde aber verpuffen, weil letztlich wieder der Alltag, dieser Schweinehund, darüber rollen würde. „Ich möchte Neugierde wecken, die Wahrnehmung schärfen, den Blick auf die Dinge momentweise verändern“, erläutert Weiß. Dieser Audiowalk lasse bewusst auch Leerstellen, die der Zuschauer mit Erinnerungen füllen kann. Oder in denen er die Frage bedenken kann, warum er selbst dieses behält oder jenes seit Jahren unbeachtet lässt. Oder er lässt einfach den Raum auf sich wirken. „Es ist eine inszenierte Traumreise, der Zuschauer wird unter anderem mitgenommen auf den Dachboden seiner Kindheit. Mehr sei erst mal nicht verraten.“

Das Buch „Der Trost der Dinge“ von Daniel Miller, der zwei Jahre durch ein Straße in London streifte und den Geschichten der Menschen über ihre Dinge lauschte, mit denen sie sich umgeben, inspirierte Weiß zu diesem Theaterprojekt. Die vermeintlichen, links liegen gelassenen Weggefährten avancieren in solchen Gesprächen oftmals zu heimlichen Hauptdarstellern im Leben. Sie machen viel aus, sie machen vielleicht sogar uns selbst aus, unsere Persönlichkeit. Oder wenigstens einen Teil.

Das Projekt ist dreiteilig, es wird noch eine performative Geschichte geben („Lauf der Dinge“) und im November eine klassische Bühnenproduktion. „Das Thema begleitet mich das ganze Jahr, auch an der HBK gibt es ein Seminar dazu“, so Weiß, der an der HBK einen Lehrauftrag im Bereich Darstellendes Spiel/Kunst in Aktion hat. Zudem sind Inszenierungen in Berlin und Potsdam geplant.

Die leeren Wohnungen werden von Munte Immobilien und TAG Wohnen & Service GmbH kostenlos gestellt. Gefördert wird das Projekt von der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz und der Stiftung Nord/LB-Öffentliche.

Termine: 18./19. Juli in Vienenburg-Lochtum, 22. Juli, Salzgitter-Lebenstedt; 25./26. Juli Braunschweig, jeweils 16 bis 21 Uhr, individuelle Anfangszeiten, Karten unter 0176/27614205, Ort wird nach Buchung bekannt gegeben, Dauer: ca. eine halbe Stunde.

Mehr unter: www.christianweiss.info

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