Entkrampfung der Geschichte
Professor Stölzl: „1913 – ein Projekt, das einer Wissenschaftsstadt würdig war“.
Mit zwei hochkarätigen Veranstaltungen in der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel sowie in der Dornse des Altstadtrathauses in Braunschweig ist das Themenjahr „1913“ ausgeklungen. In die Herzog August Bibliothek hatten das historische Seminar der Technischen Universität sowie die Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz zu einen dreitägigen Seminar zum Thema „Die preußisch-welfische Hochzeit 1913: Das dynastische Europa in seinem letzten Friedensjahr “ eingeladen. Das Finale des Themenjahres bildete der Vortrag „1913 – Braunschweig zwischen Monarchie und Moderne. Abschluss und Bilanz“, den Prof. Dr. Christoph Stölzl zum Ende des Themenjahres im Altstadtrathaus hielt.
Der anerkannte Historiker Prof. Stölzl, früherer Berliner Kultursenator sowie Generaldirektor des Deutschen Historischen Museums und heute Präsident der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar, gehört zusammen mit Oberbürgermeister Dr. Gert Hoffmann zu den geistigen Vätern dieses Veranstaltungsjahres aus Anlass der Hochzeit der Kaisertochter Viktoria Luise von Preußen mit dem Welfenprinzen Ernst August am 24. Mai 1913 in Berlin.
In seiner Einleitung gestand Dr. Gert Hoffmann vor großem Publikum ein, dass eine ganze Portion Mut dazu gehört habe, ein so ehrgeiziges Projekt anzugehen. Zum erfolgreichen Ende des Themenjahres stelle er aber fest, dass die „Unkenrufe“ von Kritikern, es werde nur um ein Viktoria-Luise-Nostalgie-Jahr gehen, verstummt sind. „Erlebt haben wir ein hochinteressantes, großartiges Kultur- und Geschichtsjahr mit Projekten von hoher Qualität“, betonte Hoffmann.
Die Resonanz auch in der überregionalen Presse sei erfreulich groß gewesen. „Braunschweig hat wieder gezeigt, dass es eine moderne Kultur- und Wissenschaftsstadt mit großer Geschichte ist. Das erneut zu zeigen, dafür hat sich dieses Themenjahr 1913″ gelohnt“, sagte der Oberbürgermeister.
Prof. Dr. Christoph Stölzl gab offen zu, dass bei der Geburt der Projektidee niemand gewusst habe, welche bundesweite Bedeutung dieses Jahr bekommen werde. Dieser Erfolg basiere auch auf dem Buch von Florian Illies „1913“, das zum Überraschungs-Bestseller geworden sei. „Plötzlich redeten alle von 1913, dem letzten Friedensjahr, und Braunschweig war die einzige Stadt, die diesen wichtigen Punkt am Geschichtshorizont erkannt hat“, so Professor Stölzl. So sei „1913“ ein Projekt gewesen, das einer Wissenschaftsstadt würdig war.
Dass es letztendlich 210 Veranstaltungen von einer ungeheuren Bandbreite geworden sind, sei der Beweis dafür, dass die Idee eines kulturell-wissenschaftlichen Projekts auf fruchtbaren Boden gefallen sei. Aus der Sicht von Prof. Stölzl ist ein Modell entwickelt worden, wie eine moderne Stadt mit ihrer Geschichte umgehen kann. Denn Städte, so Stölzl, leben nicht nur von ihrer Infrastruktur und von Architektur. Städte brauchen Mythen, Erzählungen als Spiegel, in die die Menschen schauen können.
Das nun vergangene Geschichtsjahr 1913/2013 habe sich so erfolgreich entwickelt, da es in Braunschweig gelungen sei, die gesamte wissenschaftliche und kulturelle Szene unter einen Hut zu bringen, und das, obwohl die Vorbereitungszeit eigentlich viel zu kurz gewesen sei. Das sei nicht einfach, bei den unterschiedlichen Interessen und Ausrichtungen, aber mit der Geduld der Kulturdezernentin Dr. Anja Hesse und der Durchsetzungskraft von Oberbürgermeister Dr. Hoffmann sei dieser Kraftakt gelungen, meinte Stölzl anerkennend. Nicht zuletzt aber auch machte das Engagement der Braunschweiger Stiftungen, Borek Stiftung, STIFTUNG NORD/LB • ÖFFENTLICHE sowie Stiftung Braunschweiger Kulturbesitz den Erfolg möglich.
Der Erfolg: Zur thematischen Auseinandersetzung mit dem Jahr 1913 trugen Ausstellungen, Konzerte, Lesungen, Podiumsdiskussionen, Symposien, Führungen, Liederabende, Vorträge und Filmveranstaltungen bei.
Dafür sei die Fürstenhochzeit lediglich das Tor gewesen, das in diese Zeit geführt habe. Dabei sei es nicht nur um den höfischen Glanz gegangen, sondern auch um die soziale Lage. Die Ungerechtigkeiten dieser Zeit seien nicht mit einer Vanillesauce übergossen, sondern fundiert und seriös aufgearbeitet worden. Toll sei aus seiner Sicht gewesen, dass es nicht nur ernsthafte Ereignisse gab, sondern auch lustige. Erst dieses breite Angebot, auch mit seiner Entkrampfung der Geschichte, habe viele Menschen dazu veranlasst, sich mit dieser Zeit zu beschäftigen. Denn 1913 war der Schlüssel dazu, zu verstehen, was 1914 geschehen ist, machte Stölzl deutlich.
Es sei um die hochpolitische Frage gegangen: Was war 1913 los? Weshalb ging die Welt nach diesem Friedensjahr durch das „Türchen“ in Richtung Katastrophe und nicht durch das, in eine friedliche Zukunft?
In seinem Fazit machte Professor Stölzl klar, dass der Erfolg dieses Themenjahres auch darin bestehe, dass viele Menschen ihre Stadt künftig geschichtsbewusster wahrnehmen werden, mit „ganz anderen Augen“ durch sie gehen werden. Diese Menschen schauten in den Spiegel der Geschichte, um herauszufinden, wo sie heute stehen.
Eine Woche zuvor hatte das wissenschaftliche Kolloquium in Wolfenbüttel das Thema fundiert aufgearbeitet. Es wurden die Strukturen, Persönlichkeiten und Perspektiven ausgelotet, die das Jahr 1913 geprägt haben. Dabei ist die von europäischen Monarchen gefeierte Hochzeit in Berlin in die Kontexte der welfischen, deutschen und europäischen Geschichte gestellt worden. Die Schwierigkeiten eines dynastischen Gipfeltreffens im Jahr 1913 wurden dabei ebenso beleuchtet wie die welfisch-preußische Hochzeit aus britischer Sicht, die Zukunftsängste und Zukunftserwartungen im konservativ-ländlichen Milieu wie auch die Braunschweig sowie die Braunschweiger Dynastie im 1. Weltkrieg und in der Novemberrevolution, um nur einige Themen des Kolloquiums zu nennen.
Mit Blick auf das gesamte Programm dieses Themenjahres in seiner hohen Vielfalt, regte Professor Stölz zum Schluss einer Bilanz in der Dornse an, die Ergebnisse in einem Buch zusammenzutragen. Dieses werde mit Sicherheit ein Sammlerstück, denn es sei ein Jahr gewesen, das der Wissenschaftsstadt Braunschweig würdig ist.