Erinnerungsstele für NS-Opfer enthüllt
Gedenkort am ehemaligen Schießstand in der Buchhorst als „unverzichtbarer Lernort für unser aller Zukunft“ gewürdigt.
Nach der Zerstörung der neuen Erinnerungsstele an der Gedenkstätte Buchhorst durch ein von unbekannten Tätern gelegtes Feuer im Dezember wurde die Tafel heute zwar mit Verzögerung, aber dafür unter großer medialer Aufmerksamkeit und bemerkenswerter Anteilnahme aus der Bevölkerung feierlich enthüllt. Die Stele erinnert an die NS-Opfer Otto Kauffelt, Leo Pionke, Walter Siebert, Arnould van de Walle und Marcel Wastelain sowie mindestens 20 weitere, die dort während der NS-Zeit hingerichtet wurden. Vor der Erschießung waren sie alle im Strafgefängnis Wolfenbüttel inhaftiert und von der NS-Militärjustiz beziehungsweise dem Volksgerichtshof als Deserteure oder Widerstandskämpfer zum Tode verurteilt worden. Das Strafgefängnis Wolfenbüttel war die zentrale Haftanstalt des ehemaligen Freistaates Braunschweig und seit 1937 eine von 22 Hinrichtungsstätten im NS-Deutschland.
Anschlag keine Petitesse
Niedersachsens Kultusminister hob während der Einweihung die Bedeutung von Gedenkorten als „unverzichtbare Lernorte für die Zukunft von uns allen“ hervor. Die Beschädigung der Stele durch Vandalismus habe ihn betroffen und wütend gemacht. Anschläge auf Gedenkstätten und Erinnerungsorte seien keine Petitessen oder Dumme-Jungen-Streiche. Sie seien angesichts der Zunahme von Verharmlosung und Umdeutung der NS-Verbrechen mit großer Sorge zu betrachten. Es dürfe kein Niedrighängen solcher Taten geben, sagte er.
Die Erinnerungsstele in der Buchhorst wurde mit Unterstützung der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz, der Braunschweigischen Stiftung und der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten realisiert. Sie ist Teil des Forschungsprojektes „outSITE Wolfenbüttel“, das das Netzwerk des Strafgefängnisses Wolfenbüttel während der NS-Zeit dokumentiert. Insgesamt gab es 70 Außenorte von Blankenburg im Harz bis nach Wesendorf in der Heide. Eine Medienwand im Dokumentationszentrum der Gedenkstätte der JVA Wolfenbüttel zeigt sämtliche Standorte und gibt entsprechende Informationen. An insgesamt acht Außenorten werden Informationstafeln wie die in der Buchhorst aufgestellt, die an die historischen Tatorte der NS-Gewalt im Braunschweigischen erinnern.
Nahbar und emotional
Braunschweigs Oberbürgermeister Thorsten Kornblum verwies auf die Verpflichtung, die Erinnerung an die NS-Verbrechen im Sinne der Menschenwürde und Demokratie wachzuhalten. Angesichts der Zerstörung der ersten Stele kritisierte er, dass es noch immer Menschen gebe, die den Wert der Erinnerung nicht begriffen hätten. Gerade deswegen freute sich Ulrich Markurth, Präsident der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz, über die große mediale Resonanz. Dadurch gelänge es, den wichtigen Ort des Erinnerns den Menschen näherzubringen. „Nicht einmal alle Braunschweigerinnen und Braunschweiger kennen diesen Ort“, meinte er. Durch die Erinnerungsstele erhielten die NS-Opfer Namen und Gesichter, das mache die Auseinandersetzung mit der Geschichte nahbarer und emotionaler.
Ort der Wahrheit
Gerhard Glogowski, Vorstandsvorsitzender der Braunschweigischen Stiftung, nannte den Schießstand in der Buchhorst einen „Ort der Wahrheit“. Die neue Erinnerungsstele eröffne auch eine neue Chance, sich zu erinnern. „Wir dürfen nicht zulassen, dass die Wahrheit verschwiegen oder verniedlicht wird. Mit der Tafel werden wir den Menschen gerecht, die unter den Nazis gelitten haben und denen, die sich dafür einsetzen, dass es kein Vergessen gibt“, erläuterte er.
Der Schießstand liegt im Stiftungswald der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz. Seit vielen Jahren kümmert sich die Stiftung darum, dass das Gelände nicht zuwuchert, sondern pflegt es behutsam. „Wir freuen uns, dass wir hier unserer Aufgabe des Gedenkens und Erinnerns gerecht werden können“, sagte Tobias Henkel, Direktor der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz. Gemeinsam mit allen Rednern der Einweihung legt er abschließend weiße Rosen unter die Gedenktafel, die das Konterfei des belgischen Offiziers Arnould van de Walle zeigt.
van de Walles Geschichte
Arnould van de Walles Sterbedatum ist der 16. Juni 1944. Um 16.57 Uhr trafen den Belgier aller Wahrscheinlichkeit nach mehrere Kugeln. Überliefert ist dies, weil der Oberstaatsanwalt beim Landgericht Braunschweig, Dr. Hirte, dies dem Reichsminister der Justiz in Berlin berichtete. Van de Walle gehörte in Belgien einer Widerstandsgruppe namens „Lichtervelde“ an. Doch bereits beim zweiten Geheimtreffen im Hause van de Walles flog die Gruppe auf. Ein belgischer Gestapo-Spitzel hatte sie verraten. Nach Folter im Wehrmachtsgefängnis Gent kamen die 17 Widerstandskämpfer als sogenannte „Nacht-und-Nebel“-Gefangene heimlich nach Deutschland. Nicht einmal die Familienangehörigen wurden über ihren Verbleib informiert. Das Amtsgericht Leer verurteilte die Belgier wegen Feindbegünstigung zum Tode. Als Offizier der belgischen Armee wurde van de Walle im Schießstand Buchhorst erschossen, die 16 anderen Widerständler wurden mit dem Fallbeil im Strafgefängnis Wolfenbüttel hingerichtet.
Der Schießstand in der Buchhorst wurde 1876 für die Garnison Braunschweig angelegt. Noch bis 1962 wurde die Anlage von der Polizei, der Bundeswehr und dem Bundesgrenzschutz für Schießübungen genutzt.
Kontakt:
Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel
Am Herzogtore 13
38300 Wolfenbüttel
Telefon: 0531- 9355010
E-Mail: wolfenbuettel@stiftung-ng.de
Internet: wolfenbuettel.stiftung-ng.de
Mehr unter: www.der-loewe.info/dort-wo-der-schrecken-herrschte
Video: www.der-loewe.info/500-gefangene-mit-dem-fallbeil-hingerichtet