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Erneuerung der mittelalterlichen Stadt mit modernen Bauwerken

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Verschwundene Kostbarkeiten, Teil 6: Nach der Unterwerfung der Stadt durch Herzog Rudolf August von Braunschweig-Wolfenbüttel im Jahr 1671 erhielten einige Straßenzüge und Plätze ein neues Gepräge durch Bauten des Barocks und Rokokos.

Martini-Apotheke, Kupferstich von Johann Georg Beck, 1717. Foto: Stadtarchiv

Der Eiermarkt gehört zu den ältesten Siedlungsbereichen in der Innenstadt Braunschweigs. Dort steht die Jakobskapelle, die man bis in die Zeit um 1900 als ältestes Bauwerk der Löwenstadt ansprach: An der Kapelle soll sich eine Inschrift aus dem Jahr 861 befunden haben. So feierte man 1861 ein großes 1000-jähriges Stadtjubiläum. Heute wird das als Fehlinterpretation angesehen. Deswegen wird 2031 groß gefeiert, wenn sich die erste urkundliche Erwähnung Braunschweigs zum 1000sten Mal jährt. Grabungen in der Jakobsapelle und auf dem Gelände des heutigen Amtsgerichts haben in den 1970er und 1990er Jahren immerhin Fundamente und Siedlungsspuren aus dem 11. Jahrhundert identifizieren können.

Martini-Apotheke, Kupferstich von Anton August Beck, 1778. Foto: Stadtarchiv

Als Verbindung zwischen Altstadtmarkt und Steinstraße gehörte der Eiermarkt in der mittelalterlichen Stadt zu den bevorzugten Adressen vermögender und einflussreicher Bürger. An der Ecke Eiermarkt/Garküche entstand bereits 1330 die Martini-Apotheke. Mit einer Darstellung dem Jahr 1717 ist ihre seinerzeit noch auf das Spätmittelalter (1476 und 1552) zurückgehende Gestalt überliefert. Hinter der Kapelle lag an der Jakobstraße ein großer Patrizierwohnsitz, von dem noch heute die Jakob-Kemenate zeugt.

Staat als Bauherr

Nach der Unterwerfung der Stadt durch Herzog Rudolf August von Braunschweig-Wolfenbüttel im Jahr 1671 erhielten einige Straßenzüge und Plätze ein neues Gepräge durch Bauten des Barocks und Rokokos. Neben alteingesessenen Kaufleuten traten nun auch der absolutistische Staat und seine Hofbeamten als Bauherren in Erscheinung. Die Erneuerung der mittelalterlichen Stadt mit modernen Bauwerken, die der zeitgenössischen Architekturlehre entsprachen, war ein wichtiges Anliegen der fürstlichen Landesherren.

Standort der ehemaligen Martiniapotheke heute. Foto: Arnhold

So wurde die einstige Martini-Apotheke 1750 von der landesherrlichen Regierung erworben und an Stelle des spätgotischen Hauses im Jahr 1777 ein stattlicher Neubau errichtet (Eiermarkt 1). Bauherr war der privilegierte Ober-Apotheker Johann Friedrich Reichmann. Das Bauwerk wirkte mit seinen durch Giebel hervorgehobenen Achsen in der Mitte und an den Fassadenenden wie ein zeitgenössisches Palais. Erst auf den zweiten Blick wurde sichtbar, dass die beiden Obergeschosse in Fachwerk gezimmert waren.

Haus Eiermarkt 3/4, Aufnahme vor 1944. Foto: Nieders. Landesamt f. Denkmalpflege

Steinbau vorgetäuscht

Es handelte sich um ein für das 18. Jahrhundert typisches Beispiel einer Fachwerkarchitektur, die einen Steinbau vortäuschen sollte. Ein Kupferstich aus der Zeit kurz nach Fertigstellung des Hauses zeigt das Gebäude sogar mit Eckverquaderungen, welche der Fassade in den oberen Stockwerken lediglich aufgemalt waren. Anhand von Baubefunden sind solche Fassadengestaltungen an barocken Fachwerkbauten bisweilen noch heute nachzuweisen. Nach der Bombennacht vom 15. Oktober 1944 blieb das massive Erdgeschoss mit den steinernen Tür- und Fenstergewänden erhalten. Es wurde in einen Neubau mit drei Obergeschossen einbezogen.

An der Südseite der Jakobskapelle stand das zu Beginn der 1760er Jahre ganz in Stein errichtete Haus Eiermarkt 3/4. Der Entwurf für dieses Doppelhaus mit zwei wuchtigen Portalen und symmetrischer Straßenfront stammte vermutlich von dem Baumeister Heinrich Karl Counradi. Der spätbarocken Architektur des Hauses entsprechend besaß das dreigeschossige Gebäude ein Mansardendach, während die durch flache Lisenen gegliederte Fassade Fenster mit flachen Bögen aufwiesen. Die Gliederung der Portalachsen setzte sich in den beiden Zwerchhäusern mit ihren Schweifgiebeln fort. Im Inneren waren noch vor der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg Räume mit Rokoko-Stuckaturen erhalten.

Eckquader Eiermarkt 3/4 heute. Foto: Arnhold

Mit Gigantenfiguren verziert

Eine besondere Preziose der in Braunschweig seltenen Rokoko-Architektur war das Eckhaus Eiermarkt 5, das die aufgeweitete Einmündung des Eiermarkts in die Steinstraße eindrucksvoll prägte. Das zweigeschossige Gebäude wurde 1765 wohl nach Plänen des Wolfenbütteler Architekten Johann Heinrich Straus für den Oberamtmann Johann Heinrich Reiche errichtet. Die Fassaden des zweiflügligen Hauses kulminierten in der abgerundeten Ecke mit seinem einzigartigen Portal. Dieser über eine Freitreppe liegende Haupteingang war von reich mit Rocaille-Ornamenten verzierten Vorlagen flankiert. Aus ihnen wuchsen Gigantenfiguren heraus, welche einen Balkon mit fein gearbeitetem Gitter aus Schmiedeeisen trugen. Hinter der runden Ecke lagen über entsprechend gerundeten Grundrissen aufgebaute Räume wie Treppenhaus und Saal. Das im Übrigen überwiegend als Fachwerkbau ausgeführte Haus schloss mit einem Mansarddach ab, in das Zwerchhäuser eingebunden waren. Das entsprechend der Ecksituation gerundete Zwerchhaus zeigte einen gestuften Abschluss mit waagrechten Gesimsen.

Eiermarkt 5, Aufnahme um 1910. Foto aus: Karl Hubert Ross, Malerische Monumental-Architektur aus Hannover und Braunschweig, Hannover o. J.

Portalpfeiler im Museum

Im 19. und 20. Jahrhundert diente das Gebäude als Verwaltungsbau der Kreisdirektion. Nach der Kriegszerstörung dieses kostbaren Bauwerks konnte einer der Portalpfeiler geborgen werden. Er befindet sich heute in den Sammlungen des Städtischen Museums.

Das frühere Portal des Hauses Eiermarkt 5. Foto: Nieders. Landesamt f. Denkmalpflege

An Stelle der Häuser Eiermarkt 3/4 und 5 befindet sich heute ein Verwaltungsgebäude der Stadt Braunschweig (Fachbereich Kinder, Jugend und Familie). Es handelt sich um ein typisches und qualitätsvolles Beispiel für die Architektur der 1950er Jahre. An seiner Nordwestecke ist im Erdgeschoss ein Rest der Eckquaderung von Eiermarkt 3/4 erhalten: Scheinbar hat man Mauerreste des Vorgängers in den Nachkriegsbau einbezogen.

Elmar Arnhold ist Bauhistoriker (Gebautes Erbe) und Stadtteilheimatpfleger. Auf Instagram @elmararnhold veröffentlicht er regemäßig Beiträge zu historischen Bauten in Braunschweig.

Das ehemalige Treppenhaus des Hauses Eiermarkt 5. Foto: Nieders. Landesamt f. Denkmalpflege

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