Experten-Streit um die Sparkasse
Historikergruppe erforscht die Geschichte des Bankenwesens im Braunschweigischen Land.
War das Fürstliche Leihhaus zu Braunschweig tatsächlich die erste Sparkasse Deutschlands oder nicht? An dieser Frage scheiden sich die Geister. Aber spätestens am 9. März 2015 muss der Experten-Streit beigelegt und eine gemeinsame Sprachregelung gefunden worden sein. Denn an diesem Tag erscheint das in Arbeit befindliche Standardwerk zur Geschichte der Braunschweigischen Landessparkasse und der NORD/LB.
Das Datum ist nicht willkürlich gewählt. Es markiert exakt die 250. Wiederkehr der Errichtung des „öffentlichen Leyhauses oder Lombards“ durch Herzog Carl I. zu Braunschweig und Lüneburg. Herausgeber Professor Dr. Lothar Hagebölling und eine Gruppe renommierter Historiker erforschen die Vergangenheit der Braunschweigischen Landessparkasse. Geplant ist eine rund 800 Seiten starke wissenschaftliche Publikation.
Das Forschungsprojekt ist initiiert worden von der STIFTUNG NORD/LB • ÖFFENTLICHE und der Stiftung Niedersächsisches Wirtschaftsarchiv Braunschweig. Erste Ergebnisse wurden im Ottmer-Bau der Braunschweigischen Landessparkasse am Friedrich-Wilhelm-Platz in Braunschweig mit Einführungsvorträgen von Professor Dr. Hagebölling und Dr. Peter Albrecht vorgestellt.
Professor Dr. Hagebölling erklärte, dass sowohl die Braunschweigische Landessparkasse als auch die Nord/LB in dem Braunschweigischen Leihhaus ihre ältesten Wurzeln sähen. Die Gründung des Leihhauses habe seinerzeit das Aufblühen der Wirtschaft und die Wohlfahrt der Untertanen durch Senkung von Zinsniveau und Schuldendienst zum Ziel gehabt.
Die Hauptaufgaben des Leihhauses seien die Verleihung von Geld gegen Handpfänder, die Ausleihung von Geld auf „Mobilia, die Ausleihung von Hypotheken auf Grundstücke, die verzinsliche Annahme von Geldern von allen und jeden sowie die Verwahrung von Geld in offenen oder versiegelten Beuteln gewesen.
Soziologe Dr. Albrecht widersprach Überlegungen, das Fürstliche Leihhaus zu Braunschweig könnte die erste Sparkasse Deutschlands gewesen sein. Nach seiner Überzeugung sei das Institut erst 1834 wirklich zu einer Sparkasse geworden. Seine Begründung: Erst von da an waren kleine Einlagen von 1 bis 10 Talern möglich. Zuvor sei die Grenze bei 50 Talern gewesen, was in etwa dem Jahresgehalt eines Schulleiters auf dem Lande entsprochen habe. Und die älteste Bank könne das Braunschweigische Leihhaus auch nicht gewesen sein, weil es bereits 1726 eine Gründung in Hamburg gegeben habe.
Einen heftigen Streit von Historikern zu diesem Sparkassen-Thema habe es, so Hagebölling, bereits in den 1950er und 1960er Jahren gegeben. In seinem Werk „Geschichte der deutschen Sparkassen bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts“ habe Adolf Trende die Sparkasseneigenschaft des Leihhauses verneint. Der gegensätzlichen Auffassung sei Wolfgang Keller in seinem Aufsatz „Das Fürstliche Leyhaus zu Braunschweig“ in der Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 1964 gewesen.
Das aktuelle Standardwerk mit dem Arbeitstitel „Die Geschichte des öffentlich-rechtlichen Banken- und Sparkassenwesens im Braunschweigischen Land von den Anfängen bis heute“ soll endgültige Klarheit bringen. „Es wäre doch zu schön, die älteste Sparkasse Deutschlands in Braunschweig beheimatet zu wissen“, zeigte sich nicht nur Professor Dr. Lothar Hagebölling gespannt auf die Forschungsergebnisse.
Neben ihm und Dr. Peter Albrecht, der die Epoche von 1765 bis 1832 erforscht, wirken Dr. Andreas Kulhawy (1832-1919), Sebastian Knake (1919-1969), Dr. Harald Wixforth (1970-2015), Professor Dr. Matthias Steinbach (Zeitzeugen) und Professor Dr. Leschhorn (Münz- und Geldgeschichte) an dem Standardwerk mit.
Christoph Schulz, Vorstandsvorsitzender der Braunschweigischen Landessparkasse und Vorstandsmitglied der NORD/LB, freut sich sehr auf den Tag des Erscheinens. „Als ich vor acht Jahren zur Braunschweigischen Landessparkasse kam, habe ich eine lückenlose Aufarbeitung der Geschichte unseres Instituts vermisst. Das holen wir jetzt nach. Das Standardwerk wird die Basis für zielgruppengerechte Medien wie zum Beispiel für unsere Jubiläumsschrift“, sagte Christoph Schulz während seiner Begrüßungsrede zu den Einführungsreferaten.
Zuvor hatte er an der Autorenbesprechung teilgenommen und war Zeuge kontroverser wissenschaftlicher Debatten geworden. Dabei ging es nicht nur darum, ob das Leyhaus nun die erste Sparkasse Deutschlands im eigentlichen Sinne war oder nicht. „Wenn das Buch so wird wie die Diskussionen der Autoren, dann wird es ein sehr gutes, spannendes und erhellendes Buch“, meinte Christoph Schulz.
Wichtige Eckdaten:
1765: Gründung des Fürstlichen Leihhauses zu Braunschweig durch Herzog Carl I.
1834: Gesetz zur Sparkassen-Gründung in Verbindung mit den Herzoglichen Leihhausanstalten
1891-1895: Neubau der Leihhausanstalt an der Dankwardstraße, später Sitz der Braunschweigischen Staatsbank, heute der Braunschweigischen Landessparkasse.
1919: Gründung der Braunschweigischen Staatsbank.
1970: Zusammenschluss zur NORD/LB von Braunschweigischer Staatsbank einschließlich Braunschweigischer Landessparkasse (Wert 372 Millionen D-Mark), Niedersächsischer Landesbank (323 Millionen D-Mark), Hannoverscher Landeskreditanstalt (44,4 Millionen D-Mark) und Niedersächsischer Wohnungskreditanstalt (29,1 Millionen D-Mark)
2005: Weitgehende Eigenständigkeit der Braunschweigischen Landessparkasse durch Staatsvertrag