Fake News um die Heinrichslinde in Braunschweig
Braunschweigs skurrile Ecken und andere Merkwürdigkeiten, Folge 43: Heinrich der Löwe pflanzte nie eine Linde auf dem Domplatz.
Die Sage ist zugegebenermaßen ausgesprochen nett: Heinrich der Löwe pflanzte im Jahre 1173 neben seinen Dom eine Linde. Nach Heinrich Vierordts Gedicht „Die Linde von Braunschweig“ (1897) soll der Braunschweigische Herzog zusammen mit seinem Löwen dort sogar gerne geruht haben. Heinrich soll auch davon ausgegangen sein, dass die Linde so lange stehen würde, wie die Welfen herrschten. Das zumindest ist nicht eingetreten, denn als die altersschwache Linde 1894 einstürzte, waren die Welfen noch immer mächtig. Ihre Regierungszeit endete in Braunschweig erst mit der Abdankung von Herzog Ernst August am 8. November 1918.
„Zu Braunschweig steht am Dome / ein Lindenbaum uralt, / zäh zwingen Eisenklammern / die knorrige Gestalt. Heinrich der Löwe pflanzte / den Baum mit eigner Hand, / wehmüthig an sein Rauschen / dacht‘ er im Morgenland“ heißt es in dem Gedicht (vollständig siehe unten).
Längst steht eine neue Linde an der Stelle auf dem Domplatz. Sie misst nun auch schon stolze 19 Meter Höhe, hat einen Stammumfang von etwas mehr als zwei Metern und einen Kronendurchmesser von zwölf Metern. Ihre Vorgängerin war weit mächtiger mit einer Höhe von 24 Metern und einem Stammumfang von rund sechs Metern.
Erstmals erwähnt wurde die „Heinrichslinde“ wahrscheinlich vom Braunschweiger Geschichtsschreiber Cord Bote 1492. Bis sie schließlich altersschwach zusammenbrach galt sie als ältester Baum der Stadt. Auch die neu gepflanzte Linde wird „Heinrichslinde“ genannt. Ein Teil der alten Linde wurde seinerzeit in das „Vaterländische Museum“, das heutige Braunschweigische Landesmuseum, gebracht.
Glaubt man Vierodts Gedicht, dann hielt Heinrich der Löwe unter „seiner“ Linde sogar Gericht, was sich nun wirklich einfach widerlegen lässt. Der Löwe, dieses älteste, freistehende Denkmal nördlich der Alpen, war es, unter dem Gericht gehalten wurde. Er war Heinrichs Symbol für Macht.
Heinrich hat mit Sicherheit an der besagten Stelle keine Linde geplfanzt. Das wird leicht erklärlich, wenn man sich den damaligen Bauplatz des Domes im Jahre 1173 vorstellt. Neben der Großbaustelle der Stiftskirche war seinerzeit definitiv kein Platz dazu. Das hätte zudem vorausgesetzt, dass der sogenannte „Domplatz“, der zuvor von 1858 an 100 Jahre lang Wilhelmplatz genannt wurde, schon geplant war. Der Bauplatz neben der Pfalz Heinrichs befand sich aber in unmittelbarer Nähe der Oker und diente zur Aufnahme des Baumaterials sowie der Hütten der Baumeister und Steinmetze, die dafür auf dem Burgplatz keinen Raum fanden.
In dem Zusammenhang verweise ich gerne auf ein Kinderbuch. David Macaulay schuf mit „Sie bauten eine Kathedrale“ ein ausgezeichnetes Anschauungswerk, auch wenn der dort dargestellte Bau ein wenig größer ausfällt als unser Dom.
In den späteren Jahren entstand neben dem Dom einer der größten Friedhöfe innerhalb des Okerumflutgrabens. 1757 wurde er wegen der Gesundheitsgefährdung geschlossen und neben die heutige Stadthalle zusammen mit St. Magni verlegt.
Die Sage um die „Heinrichslinde“ ist – wie gesagt – nett, auch wenn sie aus heutiger Sicht schlicht eine „fake news“ ist. Und deswegen folgt hier das vollständige Gedicht dazu:
Die Linde von Braunschweig
von Heinrich Vierordt
Zu Braunschweig steht am Dome
Ein Lindenbaum uralt,
Zäh zwingen Eisenklammern
Die knorrige Gestalt.
Heinrich der Löwe pflanzte
Den Baum mit eigner Hand,
Wehmüthig an sein Rauschen
Dacht‘ er im Morgenland.
Der alte kühne Herzog
Hielt unterm Baum Gericht,
Durch das Gezweig aufs Antlitz
Floß goldnes Sonnenlicht.
Sein Leu schweifwedelnd duckte
Sich nieder fromm und zahm,
Der Herr, sonst wild und trotzig,
Sprach da so friedefam:
Du junge blüh’nde Linde,
Du Liebling deines Herrn,
Ich segne Stamm und Wipfel,
Die Wurzel und den Kern!
Solang in Himmelslüfte
Du reckst dein schwellend Grün,
Soll das Geschlecht der Welfen
In alten Ehren blühn.
Wenn vom geborstnen Gipfel
Abfällt der letzte Ast,
Hält Braunschweigs letzter Erbe
In diesem Dome Rast.
Der Baum wuchs stark und prächtig,
Die Aest‘ entfaltend breit,
Das Haus der Welfen strotzte
In Stolz und Herrlichkeit.
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