Franz Josef Strauß die Stirn geboten
Die Braunschweigische Stiftung und die Lessing-Akademie Wolfenbüttel verliehen dem Dokumentarfilmer Dieter Wieland den Lessing-Preis für Kritik 2016.
Den Aufklärer Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781) zeichneten die Unabhängigkeit und Sicherheit seines Urteils aus. Jedes seiner Werke war für die Öffentlichkeit bestimmt. In Lessings Büchern herrscht der Geist der Kritik. Aus dem gleichen Holz geschnitzt ist der risikobereite Dokumentarfilmregisseur und Autor Dieter Wieland. Bereits seit 45 Jahren legt Wieland mit kürzeren und längeren Dokumentarfilmen den Finger in die Wunde: vor allem bei Landschaftszersiedelungen, Dorfzerstörungen und gesichtsloser Bauarchitektur. Der 79-Jährige erhielt für sein imposantes Lebenswerk am 8. Mai in der Augusteerhalle der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel den Lessing-Preis für Kritik überreicht.
Etwa 250 Filme hat Dieter Wieland gedreht, die meisten mit seinem Kameramann Hermann Reichmann. Die Texte spricht er selbst ein, unverwechselbar ist Wielands bayrische Stimme und Betonung. „Dieter Wieland beschreibt und hinterfragt die topographischen Veränderungen großer Ökosysteme, ganzer Flusslandschaften und Seen aus seinem Lebenshorizont, vor allem in Bayern“, sagte Frieder Jelen, deutscher Theologe, Schriftsteller und Politiker in der Laudatio. Zu den besonderen Filmen Wielands zählten die Dokumentation der Zerstörungen des wunderschönen Altmühltals, in dem ein Kanal entstand, der die Altarmbiotope, Lebensräume für Kraniche und Eisvögel, brutal abschnitt. Das Altmühltal war die Lieblingslandschaft des Preisträgers. Auch gegen den Bau des Rhein-Donau-Main-Kanals setzte sich Wieland in den 80ern zur Wehr. Die Folgen des gigantomanischen Wasserbauprojektes waren die unwiederbringlichen Zerstörungen der bis dato idyllischen Auenwäldern. Fakt ist: Der geplante letzte Ausbau ist bis heute zurückgestellt worden.
Frieder Jelen: „Wielands Werk und seine Person sollten nicht nur gepreist werden. Sein Werk ist ein Andachtsmaterial für Gleichgesinnte, für heutige und künftige Weggenossen.“
„Ich bin in den 60er Jahren zum Bayrischen Rundfunk gekommen, im Nachhinein ein Goldenes Zeitalter. Vier Programme vielleicht mit ORF, kein Kabel, keine Satellitenschüssel, kein Privatfernsehen und keine Fernbedienung. Wem ich lästig wurde, der musste schon vom Sofa aufstehen, um ein besseres Programm zu finden“, so Dieter Weiland mit einem Augenzwinkern. 1972 wurde die Sendereihe „Topographie“ ins Leben gerufen, sie handelte von Veränderungen und Fehlentwicklungen in der bayrischen Landschaft, in den Städten und Dörfern. „Ich habe immer versucht, Liebe zu wecken und für den Gedanken des Schützens zu werben und wurde zum Ärgernis.“
Wieland sprach unter anderem seine jahrelangen Dispute mit der bayrischen Staatskanzlei an, dem damaligen Ministerpräsidenten und der deutschen Politikgröße Franz Josef Strauß trieb ein ums andere Mal die Zornesröte in Gesicht. Aber auch mächtige Baukonzerne wurden durch den Bayern zur Zielscheibe. Frei arbeiten konnte Wieland nur, weil ihm der Bayrische Rundfunk den Rücken stärkte und freihielt.
„Dieter Wieland besitzt eine klare Bildsprache und dokumentiert, was passiert. Er kritisiert die Verwüstungen der Landschaften, die häufig ohne Not geschehen, die Interessensverbände, den Lobbyismus, aber ist sich auch nicht zu fein, die Medienwelt anzugreifen“, so Dr. Helmut Berthold, Leiter des Lessing-Akademie e.V. in Wolfenbüttel. „Er ist dabei sehr deutlich in der Sache und versteht seinen Beruf ethisch.“
„Wielands Filme haben mich tief beeindruckt. Mit ihm und Thies Marsens haben wir zwei Preisträger, die uns mit großem Stolz erfüllen. Ihre Arbeit kann man gar nicht genug schätzen“, sagte Gerhard Glogowski, Vorsitzender des Vorstandes Die Braunschweigische Stiftung. „Im Land Braunschweig haben wir viele Menschen, die in Umwelt- und Naturthemen klüger werden wollen. Es wäre schön, wenn die Preisverleihung dazu führen würde. Wir bedanken uns für die Ratschläge des Preisträgers Dieter Wieland.“
Ein Novum ist: Mit Dieter Wieland erhielt zum ersten Mal ein Dokumentarfilmer den Lessing-Preis für Kritik, der alle zwei Jahre verliehen wird. Den mit 5.000 Euro dotierten Förderpreis des Lessing-Preises wurde vor 170 Zuhöreren dem Publizisten und Journalisten Thies Marsen, Jahrgang 1970, zuerkannt. Marsen arbeitet seit 1998 als freier Mitarbeiter beim Hörfunk des Bayrischen Rundfunks. Der Ur-Bayer, obwohl er einen friesischen Namen besitzt, setzt sich intensiv mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und dem Neofaschismus auseinander. Der NS-Experte ist Mitglied des ARD-Reporterpools beim NSU-Prozess, vielfach wurde er national und international ausgezeichnet.
Dotiert ist der Lessing-Preis für Kritik mit insgesamt 20.000 Euro (15.000 und 5.000). Die bisherigen Preisträger und Förderpreisträger waren Karl Heinz Bohrer / Michael Maar (2000), Alexander Kluge / St. Petersburger Cello-Duo (2002), Elfriede Jelinek / Antonio Fian (2004), Moshe Zimmermann / Sayed Kashua (2006), Peter Sloterdijk / Dietmar Dath (2008), Kurt Flasch / Fiorella Retucci (2010) Claus Peymann / Nele Winkler (2012) sowie Hans-Ulrich Wehler / Albrecht von Lucke im Jahr 2014.
Zur Jury gehören die Publizistin Dr. Franziska Augstein, die Romanistin Prof. Dr. Ulrike Sprenger, der Leiter des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt Braunschweig Prof. Dr. Joachim Block, der Hallenser Germanist Prof. Dr. Daniel Fulda, Prof. Dr. Erich Unglaub, Germanist und Vorstandsmitglied der Lessing-Akademie Wolfenbüttel und der frühere Direktor der Herzog August Bibliothek, Prof. Dr. Helwig Schmidt-Glintzer.
Film Grün kaputt, 1983: https://www.youtube.com/watch?v=h464P_ztgfg
Mehr über Dieter Weiland: http://www.br.de/fernsehen/bayerisches-fernsehen/sendungen/unter-unserem-himmel/dieter-wieland-topographie-100.html
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