Gewalt gegen Frauen – „Täter müssen ins Boot geholt werden“
Gudrun Meurer-Hageroth hat 19 Jahre lang das Braunschweiger Frauenhaus geleitet. Sie geht in den Ruhestand und spricht über ihre Arbeit.
19 Jahre hat Gudrun Meurer-Hageroth das Braunschweiger Frauenhaus geleitet. Ende des Jahres verabschiedet sich die 64-Jährige in den Ruhestand. „Mein Ziel war es immer, Frauen zu stärken“, sagt die Wahl-Braunschweigerin im Gespräch mit Redakteurin Bettina Thoenes.
Frau Meurer-Hageroth, zuletzt haben wir uns im September hier im Frauenhaus getroffen, weil eine Mutter mit ihren sechs Kindern dringend, aber erfolglos eine Wohnung gesucht hat. Konnte die Familie inzwischen aus dem Frauenhaus ausziehen?
Dieser Artikel ist zuerst erschienen am 28.11.2019 (Bezahl-Artikel)
Nein, sie wohnt immer noch bei uns. Bisher hat sich kein Vermieter bereit erklärt, der Familie eine Wohnung zur Verfügung zu stellen. Eine Wohnung in der Region wäre optimal gewesen, aber der Vermieter hat sein Angebot ohne Begründung zurückgezogen. Die Mutter ist ziemlich frustriert. Es liegt an den vielen Kindern, das finde ich ein bisschen traurig für Deutschland. Ich möchte noch einmal an Vermieter appellieren: Ich finde die Frau wirklich klasse, und sie ist in einer Notsituation.
Was bedeutet der schwierige Wohnungsmarkt für das Braunschweiger Frauenhaus?
Die Frauen bleiben im Schnitt vier bis sechs Monate bei uns, bis sie eine Wohnung gefunden haben. Ohne die Wohnungsnot wären es in der Regel um die drei Monate. So lange brauchen die Frauen, um anzukommen, ihre Krise zu bewältigen und sich zu stabilisieren. Die Mutter lebt mit ihren sechs Kindern seit Februar im Frauenhaus und belegt zwei der zehn Plätze.
Noch als Studentin haben Sie in Hildesheim Anfang der 1980er-Jahre das dortige Frauenhaus mitgegründet. Nach beruflichen Abstechern in andere Bereiche der sozialen Arbeit haben Sie vor 19 Jahren die Leitung des Braunschweiger Frauenhaus übernommen.
Es gab diese Stellenanzeige, und da hab ich gedacht: Das ist ja doch die Arbeit, die ich machen möchte. Ich komme aus der Frauenbewegung, das Problem der Gewalt gegen Frauen war für mich deshalb immer präsent. Ende der 1970er-Jahre wurden aus dieser Bewegung heraus die ersten Frauenhäuser gegründet. In Hildesheim, wo ich Soziale Arbeit studiert habe, haben wir als Studentinnen ein solches Projekt zum Laufen gebracht. Wir waren ziemlich unbedarft und euphorisch, haben mit Geldern vom Landkreis erstmal eine große Wohnung angemietet, die ziemlich schnell voll belegt war. Damals haben wir mit den Frauen in Nacht-und-Nebel-Aktionen, wenn die Männer nicht zu Hause waren, sogar komplette Umzüge gestemmt, samt Waschmaschine und allem. So etwas würden wir heute nicht mehr machen. Da war eigentlich nicht angemessen. Den Sinn meiner Arbeit habe ich immer darin gesehen, die Frauen zu stärken.
Seither hat sich viel bewegt. 2002 trat das Gewaltschutzgesetz in Kraft. Was hat sich verbessert?
Positiv ist, dass von häuslicher Gewalt betroffene Frauen die Möglichkeit haben, in ihren Wohnungen zu bleiben – und die Männer gehen müssen. Damals hat das die Frage aufgeworfen, ob Frauenhäuser überflüssig werden, aber es hat sich gezeigt, dass eher das Gegenteil der Fall ist. Mit der öffentlichen Thematisierung häuslicher Gewalt sind auch die Frauenhäuser bekannter geworden. Zu uns kommen Frauen, die nicht in ihren Wohnungen bleiben möchten, weil die Angst zu groß ist. Manche fürchten um ihr Leben. Frauenhäuser bieten Schutz, Anonymität und einen hohen Sicherheitsstandard.
Was beschäftigt Frauen, die vor gewalttätigen Partnern ins Frauenhaus flüchten?
Die Kernthemen haben sich im Laufe der Jahre eigentlich nicht geändert. Die Frauen fragen sich: Wie lange halte ich die Gewalt aus? Habe ich selbst Schuld daran, wo sind meine Anteile?
Wie beraten Sie die Frauen?
Es geht vor allem darum, ihr Selbstwertgefühl aufzubauen. Das ist das Tolle an dieser Arbeit: Wir bemerken, dass alle Frauen eine ganz große Kraft in sich tragen. Für uns gilt: Wir unterstützen immer den Willen der Frauen. Wollen sie zu ihrem Partner zurückkehren, zeigen wir auf, was passieren kann und dass sie jederzeit wiederkommen können. Gefühlt kehren etwa 20 Prozent der Frauen zu ihrem Partner zurück, die übrigen trennen sich. Früher war es mehr als ein Drittel, das zum Partner zurückkehrte.
Gibt es da nicht zuweilen einen Drehtür-Effekt?
Der hat mit dem gestiegenen Selbstbewusstsein von Frauen und den Möglichkeiten, ihren eigenen Weg zu gehen, auf alle Fälle abgenommen. Frauen, die noch wie vor zehn Jahren drei- bis vielmal ins Frauenhaus zurückkehrten, weil sie immer wieder Opfer von häuslicher Gewalt wurden, sind seltener geworden – weil sie seltener zum Partner zurückgehen.
Was passiert nach Ihrer Erfahrung, wenn sich eine Frau immer wieder auf ihren gewalttätigen Partner einlässt?
Ich kann ganz klar sagen: Dann nimmt die Gewalt zu. Es kommt zu einer Gewaltspirale. Auf Honeymoon-Phasen mit Reue und Entschuldigungen folgen immer schneller und immer stärkere Gewaltausbrüche, weil sich der Partner nicht steuern kann. Anfangs haben die Frauen noch Hoffnung, doch irgendwann kommt der Punkt, an dem es immer massiver und bedrohlicher wird.
Es heißt: Arbeit mit Tätern ist der beste Opferschutz. Wie stehen Sie zu der Täterberatungsstelle bei häuslicher Gewalt, die in Braunschweig gerade ihre Arbeit aufgenommen hat?
Für die Täterberatungsstelle habe ich mich sehr eingesetzt. Die Unterstützung der Frauen ist wichtig, aber wenn sich grundlegend etwas ändern soll, müssen auch die Täter in die Verantwortung genommen werden und ein Bewusstsein für das entwickeln, was sie tun. Oft kommen diese Männer aus Verhältnissen, in denen sie selbst unter Gewalt gelitten haben. Ihr Verhalten entsteht ja aus dem Gefühl von Schwäche und Hilflosigkeit. Fehlt es an Selbstwertgefühl und innerer Stärke, wird Macht gegenüber Schwächeren ausgeübt. Viele sind extrem eifersüchtig. Dahinter verbirgt sich eine ganz große Angst. Prävention etwa in Schulen finde ich deshalb gut: Es ist entscheidend, schon Mädchen und Jungen in ihrer Persönlichkeit zu stärken.
Wie könnte der Opferschutz aus Ihrer Sicht noch verbessert werden?
Es muss gesellschaftlich klar benannt werden, dass sich auch die Täter mit ihrem Verhalten auseinandersetzen müssen. Sie müssen mit ins Boot geholt werden. In den Niederlanden werden offene Konzepte erprobt, die ich zusätzlich zu den bestehenden anonymen Frauenhäusern für absolut wichtig halte: Unter öffentlich bekannten Adressen wird dort einerseits Schutz vor häuslicher Gewalt geboten, andererseits aber auch Paar- und Täterberatung. So könnten Gewaltkreisläufe durchbrochen werden.
Deutschland hat die Istanbul-Konvention des Europarats ratifiziert und sich damit rechtsverbindlich zu einem besseren Schutz vor häuslicher Gewalt verpflichtet. Danach bräuchte Braunschweig 25 statt 10 Frauenhaus-Plätze.
Laut unserer Statistik der letzten drei Jahre müssen wir jedes Jahr 130 bis 140 Frauen abweisen, weil Plätze fehlen. Ab Januar bekommen wir zusätzlich zu den 10 Plätzen eiAuch die Täter ne Übergangswohnung, so dass sich die Situation ein bisschen entspannen wird. Hilfreich ist auch ein Ampelsystem für Frauenhäuser, das ganz gut funktioniert: Seit Sommer melden die Häuser ihre aktuellen Kapazitäten. Nun können wir Frauen gezielt dorthin weiterverweisen, wo noch Plätze frei sind.
Dieser Artikel ist zuerst erschienen am 28.11.2019 und erreichbar unter: https://www.braunschweiger-zeitung.de/braunschweig/article227767175/Gewalt-gegen-Frauen-Taeter-muessen-ins-Boot-geholt-werden.html (Bezahl-Artikel)