Helden, Schurken und der Schlossbrand 1830
Die sogenannte Braunschweiger Revolution trieb den ungeliebten „Diamantenherzog“ Karl II. (1804-1873) in die Flucht.
Am 7. September 1830 ging das Braunschweiger Schloss in Flammen auf. Eine wütende Menge stürmte die herzoglichen Privatgemächer und die benachbarte Kanzlei. Die sogenannte Braunschweiger Revolution trieb den ungeliebten „Diamantenherzog“ Karl II. (1804-1873) in die Flucht. Karls jüngerer Bruder Wilhelm (1806-1884) übernahm wenige Tage später provisorisch die Regierung.
Die Erstürmung des Schlosses brachte Diverses von dort in Umlauf, von Alltagsdingen bis zu Schrifttum, Bargeld und Kostbarkeiten. Wir können uns vorstellen, wie unübersichtlich die Lage war; zeitgenössische Darstellungen zeigen große Menschenmengen. Gegenstände wurden eingesteckt und weggeschafft, um sie vor den Flammen zu schützen. Was passierte mit diesen Sachen und mit den Menschen, die sie an sich nahmen?
In Archivakten zur Wiederbeschaffung von Gegenständen aus dem herzoglichen Besitz und aus der Staatskanzlei entsteht interessanterweise der Eindruck, als sei beim Schlossbrand nichts Besonderes passiert. Statt Plünderung und Diebstahl zu kriminalisieren, wurde nämlich auf Verständigung gesetzt. Wir entdecken sogar ein Motiv des Heldentums!
Dank an die Einwohner
Das Herzogliche Staatsministerium bedankte sich nämlich unmittelbar nach dem Feuer mit einer Bekanntmachung in den Braunschweiger Anzeigen für den „thätig und unermüdet geleisteten Beistand“ vieler Bürger, die geholfen hatten, Akten aus der brennenden Staatskanzlei zu retten. „Bei der fraglichen Feuersbrunst sind aber auch viele Acten […] entweder ein Raub der Flammen geworden, oder auf sonstige Weise abhanden gekommen“, hieß es weiter. Das Ministerium forderte die Einwohner auf, Papiere und Gegenstände „an den Rath Wolpers im Dompropsteigebäude unverzüglich abzuliefern.“
Zentrale Anlaufstellen sollten es den Braunschweigern leicht machen, Gegenstände abzuliefern. Rat Wolpers, der zuständige Beamte, erstattete dem Ministerium regelmäßig Bericht: „Der hiesige Einwohner Söchtig, wohnhaft auf der Kaiserstraße, erschien heute [am 9. September 1830] um an mich das angeblich von ihm gerettete Große Staats Siegel abzuliefern, worüber er sich eine Bescheinigung und demnächst wegen seiner Armuth eine Erkenntlichkeit erbat. Erstere wurde ihm von mir ertheilt und wegen Letzterer desfalls zur Geduld verwiesen.“ Söchtig stellt sich also als Held dar, der das Siegel gerettet habe. Wolpers scheint nicht so recht an selbstlose Motive zu glauben. Aber das Ministerium ließ nur fraglos Quittungen ausstellen.
Schloss verspricht Wohlstand
Aus diesen Amtsvorgängen erfahren wir heute etwas mehr über die Ausstattung der herzoglichen Residenz; zum Beispiel lernen wir, dass Bücher, Bargeld, silberne Dessertmesser und Korkenzieher abgeliefert wurden. Vor allem kleine Handwerker und Tagelöhner wurden vorstellig und erhofften sich eine Belohnung. Das Jahr 1830 war schwierig gewesen, die Ernte schlecht, die Getreidepreise hoch. Herzog Karl II. hatte kaum in öffentliche Bauprojekte investiert, also waren viele Handwerker ohne Arbeit. Das Schloss wurde somit zu einem Ort, der in harten Zeiten plötzlich Wohlstand versprach, wenn man es geschickt anfing. Viele Braunschweiger – genaue Zahlen haben wir leider nicht – entschieden sich dafür, „heiße Ware“ einzureichen und stattdessen „Finderlohn“ einzufordern. Damit wurden sie nicht weiter behelligt. Um weitere Unruhe zu vermeiden, verständigten sich der Magistrat und das herzogliche Ministerium mit den Bürgern auf generelle Amnestie.
Es gab aber auch schwerere Fälle von Plünderung und Diebstahl, die tatsächlich zum Prozess führten. Die Schuhmachergesellen Werner und Henning hatten beim Schlossbrand „Pretiosen und Gelder“ gestohlen und in ihrem Rucksack außer Landes gebracht. Schmuck, Edelsteine und Siegel mit dem herzoglichen Wappen wurden von der Polizei in einem Bordell in Hannover sichergestellt. Die beiden Diebe wurden zu neun Monaten „öffentlicher Arbeitsstrafe“ verurteilt.
Heidi Mehrkens ist Lecturer in Modern European History an der schottischen University of Aberdeen. Sie lehrt und forscht unter anderem zur Kultur- und Politikgeschichte moderner europäischer Monarchien sowie zur Militär- und Mediengeschichte des 19. Jahrhunderts. Sie arbeitet derzeit zur Regierungszeit Herzog Karls II. von Braunschweig im internationalen Kontext.