Inklusion ist Arbeit, die sich lohnt
Theaterpädagogische Zentrum erarbeitet mit Schülerinnen und Schülern der Henriette-Breymann-Gesamtschule und der Peter-Räuber-Schule in Wolfenbüttel ein Bühnenstück.
Nach der Mittagspause, wenn der Magen voll und der Kopf ein bisschen leer gedacht ist von den Anstrengungen des Vormittags, hängt man meistens ein wenig durch. Ganz anders die Mädchen und Jungen, die sich zum theaterpädagogischen Spiel in der Henriette-Breymann-Gesamtschule in Wolfenbüttel eingefunden haben. Alle sind konzentriert und wach dabei und wenn zwei einmal ins Quasseln geraten, sind sie nach freundlicher Ermahnung rasch wieder zurück in der disziplinierten Gruppenarbeit.
Vielleicht liegt es auch an dem spannenden Spiel, dass alle aufmerksam sind: „Fokus klauen.“ Theaterpädagogin Anna Fagan erklärt die Regel für die Vierergruppe: „Wer schafft es ohne Worte die meiste Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen? Alles ist erlaubt, außer Sprache!“ Ein Mädchen wirbelt durch den Raum, schlägt Rad und gleitet geschmeidig in den Spagat. Eine andere Schülerin kugelt wie ein Brummkreisel durch den Raum, ein Junge bleibt anfangs still stehen, hat sein Publikum aber genau im Fokus. Hernach werden die zuschauenden Schüler befragt, wer sie am meisten in den Bann gezogen hat. Die Dehnungskünstlerin fanden natürlich viele toll, aber der Junge, der starr verharrte, zog die Aufmerksamkeit auch auf sich, gerade weil er wie ein Fels in der Unruhe verweilte und das Gewusel um sich herum ignorierte.
Das besondere an diesem Theaterprojekt ist sein inklusiver Charakter: Elf Schüler der Gesamtschule zwischen 10 und 12 Jahren und sieben Mädchen und Jungen (bis 16 Jahre) mit Beeinträchtigungen der Peter-Räuber-Schule versuchen Woche für Woche eine gemeinsame Theatersprache zu finden. Bereits 2015 kooperierten das Theaterpädagogische Zentrum für Braunschweig und die Region (TPZ) und die Peter-Räuber-Schule im Rahmen des dreijährigen Landesprojekts Schule:Kultur miteinander, sagt Martin von Hoyningen Huene, Leiter des TPZ.
In diesem Jahr firmiert das Großprojekt, für das das Schule:Kultur-Programm des Landes Niedersachsen die Basis legt, so von Hoyningen Huene, unter dem Arbeitstitel „Mein Ausdruck“. Die inklusive Theater-AG in Wolfenbüttel ist ein Teil dieses Großprojekts. Es ist wiederum eingebettet in das Jubiläum der Peter-Räuber-Schule, die in diesem Jahr mit reichlich Theater, Musik und Musical ihr 40jähriges Bestehen feiert.
„Miteinander – Gemeinschaft“ ist der Arbeitstitel dieses Theaterprojekts. Die Kinder bereiten für ein Mehrfamilien-Haus, in dem viele verschiedene Menschen leben, einzelne Szenen vor. Sehr witzig anzusehen war bereits jetzt, immerhin noch etliche Wochen vor der Premiere, die pantomimische Szene mit den drei Schwestern. Die wettstreiten in einem morgendlichen Anziehmarathon um die beste Klamotte, schminken sich aufwendig für den großen Auftritt im Klassenzimmer, denn ohne perfekten Style geht ja heute keine Zehnjährige mehr zum Unterricht. Und finden sich schließlich zu einer lustigen Zopfflechtgirlande zusammen.
Von dem inklusiven Projekt profitieren beide Seiten, sind sich alle Beteiligten einig. „Die Kinder haben sich bewusst für dieses Projekt entschieden“, erklärt Katrin Unger, Leiterin der Gesamtschule. Ihre Schule besuchen 600 Schüler, 23 davon sogenannte I-Kinder. „Inklusion tut Schule und Schülern gut“, ist sie überzeugt. Das Interesse aneinander sei groß. Die Aufmerksamkeit und die Rücksichtnahme gegenüber den Kindern mit Handicap seien größer geworden. Mädchen und Jungen, die ihren Alltag ein stückweit mit Menschen mit Beeinträchtigungen teilen, rutscht diese unter Jugendlichen grassierende, saublöde Beleidigung „Ey, du bist ja voll behindert“ bestimmt nicht mehr unreflektiert heraus.
Auch Theaterpädagogin Anna Fagan hat festgestellt, dass die Gruppe trotz heterogener Temperamente kaum gefremdelt hat, dass sie rasch zu einer Einheit zusammengewachsen ist, die eine Arbeitsebene und -sprache, nämlich die der theatralen Mittel, gefunden hat. Wolfgang Kraus, Konrektor an der Peter-Räuber-Schule, unterstreicht noch diesen Aspekt: „Ich finde es hervorragend, dass man heute in der Arbeit mit Menschen mit Beeinträchtigungen nicht schon im Vorfeld Abstriche und somit ein defizitäres Angebot macht, sondern genau das ausprobiert und erprobt was in jeder Theater-AG möglich ist.“ Gewiss, so Kraus, Inklusion ist Arbeit, die sehr fordert, aber „es lohnt sich!“
Gezeigt wird das Stück des von der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz geförderte Inklusionsprojekts am 13. Juni um 10 und 18 Uhr in der Landesmusikakademie Niedersachsen, Am Seeliger Park 1, in Wolfenbüttel.
Mehr über das Projekt Schule:Kultur und die Förderer unter
http://www.mwk.niedersachsen.de/startseite/schulekultur/schulekultur-127886.html
http://www.bundesakademie.de/projekte/schulekultur
https://kultur.nline.nibis.de/nibis.php