„Kirchen aus Beton galten als Frevel“
Tour durchs Braunschweiger Land: Fünf Kirchen in der Architektursprache der Moderne.
Die Arbeitsgruppe Heimatpfleger und die Initiative ,,ACHTUNG modern!“ – beide in Trägerschaft der Braunschweigischen Landschaft – laden am 8. Oktober zu einer Kirchentour ein, in Rahmen derer unter Leitung von Denkmalpfleger Christoph Lücke Führungen in fünf Kirchen der Nachkriegsmoderne angeboten werden. Alle im Rahmen der Führungen vorgestellten Kirchen sind Bestandteil der im Herbst erscheinenden Publikation „60 70 80 Architektur der Moderne“ (Hrsg. Braunschweigische Landschaft e.V.) und alle eint, dass das wesentliche Baumaterial Stahlbeton ist.
Markante Baukörper
Die Kirchentour beginnt in Braunschweig im Stadtteil „Schwarzer Berg“, einem Stadtteil der von 1964 an planmäßig als Satellitenstadtteil ausgebaut wurde und bis heute wesentlich von der Architektur dieser Zeit geprägt ist. Dort steht die Christuskirche auf dem Programm. Als Teil des Stadtteils wurde die Kirche zusammen mit einem Gemeindezentrum errichtet. Der markante Baukörper setzt sich aus unterschiedlich hohen, kantigen Gebäudeteilen in Sichtbetonoptik zusammen. Der Braunschweiger Architekt Dirk-Erich Kreuter entwarf das Gebäude. Sein vergleichbarer Entwurf der St. Lukas-Kirche in Querum erhielt den Peter-Joseph-Krahe-Preis der Stadt Braunschweig für herausragende Architektur. „Die Einzelgestaltung zeichnet sich durch sparsame Formgebung und durch ehrliche Anwendung der gewählten Baustoffe aus“, hieß es in der Begründung.
Zweite Station ist die Martin-Luther-Kirche ist Salzgitter-Bad. Diese Kirche wurde Ende der 1960er Jahre im Stil des Brutalismus am Rande der „Ost-Siedlung“ als Kontrast zur bestehenden Bebauung, aus der Zeit des Nationalsozialismus nach Plänen von Ulrich Hausmann errichtet, der mehrere Kirchen in Stahlbeton errichtete, unter anderem auch die Helmstedter St. Thomas-Kirche und die Schapener Trinitatiskirche. Hausmann hatte bei Friedrich Wilhelm Kraemer, dem Begründer der „Braunschweiger Schule“, an der Technischen Hochschule Braunschweig studiert.
Revolution in der Architektur
Zur Verwendung von Stahlbeton im Kirchenbau äußerte sich Hausmann 1967 in der Festschrift zur Einweihung des Kirchenzentrum St. Thomas. „Der Stahlbeton hat eine Revolution für die Architektur gebracht. Durch ihn sind Möglichkeiten des Bauens erschlossen worden, die es bis zum Ende des 19. Jahrhunderts nicht gab. Der neue Baustoff fand zunächst Eingang im Industriebau. Für den Kirchenbau galt neben Holz nur der natürlich gewachsene Stein als legitimer Baustoff. Eine Kirche in Beton zu errichten, erschien vielen in den ersten zwei Jahrzehnten unseres Jahrhunderts als ein Frevel. Bei strenger Betrachtung wäre aber auch der Backstein, ein Hauptwerkstoff des mittelalterlichen Kirchenbaus, kein unmittelbares Naturerzeugnis, kein eigentlicher Werkstoff für den Kirchenbau. Erst mit dem Ausgang des 2. Weltkrieges drang der reine Stahlbetonbau auch in den Kirchenbau ein“, schrieb er.
Nächster Halt der Kirchentour ist die Kirche Heilige Dreifaltigkeit, ebenfalls in Salzgitter-Bad. Die Kirche wurde ebenfalls von Ulrich Hausmann geschaffen wie die Martin-Luther-Kirche. Die Gestaltung der Kirche ist aber gänzlich anders. „Die Mitte des Gemeindezentrums bildet der sechseckige Kirchenbau, dieser wird von einstöckigen Gebäuden umgeben, die das Pfarrbüro, die Gemeinderäume und den Kindergarten beherbergen. Westlich davon, durch das Dach mit dem Zentrum verbunden, steht der 55 Meter hohe und weithin sichtbare dreieckige Glockenturm“, beschreibt Ortsheimatpfleger Markus Schulze den Bau.
Auf dem Weg zur letzten Kirchenbesichtigung gibt es einen kurzen Zwischenstopp auf dem Waldfriedhof Salzgitter-Bad. Dort steht eine kleine Friedhofskapelle, die ebenfalls Ende der 1960er Jahre gebaut wurde, in diesem Fall aber in sehr organischen Formen.
Kontrast zu Nazi-Bauten
Zum Abschluss der Tour geht es nach Salzgitter Gebhardshagen in die Heilig Kreuz Kirche. Diese Kirche stammt aus den frühen 1960er Jahren und wurde ähnlich wie die Martin-Luther-Kirche in eine Siedlung der 1930er/40er Jahren gebaut. Die Heilig Kreuz Kirche hat wieder einen ganz anderen Charakter als die anderen Kirchen, bildet aber auch einen Kontrast zur Architektur des ,,Dritten Reiches“ in der Umgebung. Im Rahmen von Sanierungsarbeiten Anfang der 1980er Jahre verschwanden allerdings der große Treppenaufgang und das für die Zeit typische Betonplateau.
Die Teilnahme an der Kirchentour ist kostenfrei. Eine Anmeldung zur gesamten oder auch zu einzelnen Stationen der Kirchentour ist aus organisatorischen Gründen zwingend erforderlich. Anmeldung bis zum 6. Oktober (12 Uhr) unter info@braunschweiqischelandschaft.de.
Ablauf
- 9 Uhr: Treffen vor der Christuskirche in Braunschweigne Stunde, Ort: Am Schwarzen Berge 18, Braunschweig.
- 10.45 Uhr: Treffen vor der Martin-Luther-Kirche in Salzgitter-Bad, Ort: Martin-Luther-Platz, Salzgitter-Bad.
- 12 Uhr: Treffen vor der Kirche Heilige Dreifaltigkeit in Salzgitter-Bad. Ort: Ernst-Reuter-Straße 6, Salzgitter-Bad
- 13.30 Uhr: Treffen auf dem Parkplatz des Waldfriedhofes, es gibt einen kurzen Spaziergang zur Kapelle (ohne lnnenbesichtigung). Ort: Waldfriedhof Breite Straße, Salzgitter-Bad.
- 14.30 Uhr: Treffen vor der Heilig Kreuz Kirche in Salzgitter Gebhardshagen. Ort: Am Festplatz 1, Salzgitter Gebhardshagen
Die Fahrten müssen selbst organisiert werden.
Mehr unter: https://www.der-loewe.info/architekt-hausmann-erklaert-die-st-thomas-kirche