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Kurz vor Kriegsende verlor der Aegidienmarkt sein Gesicht

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Braunschweigs Plätze, Folge 13: Beim Wiederaufbau wurde der Platz im Sinne einer „autogerechten“ Stadt geopfert.

Der Aegidienmarkt ist ein weiteres Beispiel in Braunschweig, wie ein historischer Platz im Zuge des Wiederaufbaus seine ursprüngliche Form und damit seine identitätsstiftende Wirkung für die Menschen und die Stadt zugunsten vor allem des Autoverkehrs verlor. Wichtige Wegebeziehungen, insbesondere in das angrenzende Magniviertel wurden massiv unterbrochen, vor allem durch einen Zaun zwischen den stadteinwärts und -auswärts führenden Gleisen der Straßenbahn. Reparaturversuche nach Entwürfen der Städteplaner Ackers und Partner in den Jahren 2016/17 verbesserten die städtebauliche Fehlplanung der 1960er und 1970er Jahre, ohne sie jedoch beheben zu können. Die Umgestaltung war im Zuge der Schlossrekonstruktion zum Thema geworden.

Ostansicht des Aegidenmarkts in einem Stadtmodell Braunschweigs um 1670. Foto: Elmar Arnhold

In zwei Teilbereiche gegliedert

„Der Aegidienmarkt wird durch die Verkehrsführung unverändert in zwei Teilbereiche gegliedert, so dass der Eindruck einer einheitlichen Platzanlage nicht auf den ersten Blick vor Augen tritt. Außerdem wirken die Platzkanten durch die breiten Einmündungen von Stoben- und Auguststraße aufgerissen. Durch die Neugestaltung wurde die jahrzehntelange absolute Dominanz des Individual- und   Straßenbahnverkehrs zumindest gemildert werden. Trotz dieser Bemühungen kann sich dieser weit in die Stadtgeschichte zurückreichende Platz nach wie vor nicht als Ort urbanen Lebens etablieren“, urteilt der renommierte Bauhistoriker und Stadtteilheimatpfleger Innenstadt Elmar Arnhold.

Gemeinsam mit ihm stellt „Der Löwe – das Portal für das Braunschweigische“ Braunschweigs unbekanntere Innenstadt-Plätze in monatlicher Folge vor. Die Serie basiert auf dem von ihm verfassten und von der Richard Borek Stiftung herausgegeben Buch „Braunschweiger Plätze in Geschichte und Gegenwart“ (s.u.). Anlass für das Buch waren die Umgestaltungspläne für den Hagenmarkt. Herausgekommen ist ein attraktives Standardwerk. „Die in der mittelalterlichen Stadt­struktur gründende Vielzahl histo­rischer Platzanlagen ist als einzigartig in der deutschen Städtelandschaft zu bewerten“, urteilt Arnhold über „sein“ Braunschweig.

Nur noch Tempo 30

Wichtigstes Ziel der Umgestaltung war es, die direkte Verbindung zwischen Magniviertel, St. Ägidien und Bürgerpark für Fußgänger und Radfahrer wieder zu ermöglichen. Dafür wurden unter anderem der unsägliche Zaun entfernt und die Geschwindigkeit wie schon auf dem Bohlweg auch in August- und Stobenstraße auf 30 km/h herabgesetzt. Darüber hinaus wurden die Fahrbahnen schmaler und Parkplätze fielen weg. Zusätzlich wurde die Aufenthaltsqualität durch zum Beispiel Sitzbänke aufgewertet

„Anhand durchgehender Pflasterung und der Möglichkeit der Platzüberquerung ist der ursprüngliche Zusammenhang nun wieder erfahrbar. Dies kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Dominanz der Verkehrsflächen nach wie vor den Charakter dieses historischen Marktplatzes prägt“, urteilt Elmar Arnhold.

Sicht auf Leisewitzhaus und Aegidienkirche. Foto: Elmar Arnhold

Im 12. Jahrhundert entstanden

Der Hauptmarkt des Weichbildes Altewiek entstand im Laufe des 12.Jahrhunderts im VorfeId des Aegidienklosters. Dieses Benediktinerkloster wurde 1115 von Markgräfin Gertrud der Jüngeren auf der höchsten Erhebung des heutigen Innenstadtgebiets gegründet. Es lag anfangs noch außerhalb der frühen Siedlungskerne Braunschweigs.

Der Aegidienmarkt hatte den schlimmsten Bombenangriff auf Braunschweig am 15. Oktober 1944 nahezu unbeschädigt überstanden. Erst bei einem Luftangriff im März 1945, also nur einen Monat vor dem Kriegsende in Braunschweig, fiel nahezu die gesamte Bebauung den Bomben der Alliierten zum Opfer. Lediglich die Aegidienkirche blieb weitgehend verschont.

Leisewitzhaus versetzt

In frühen Wiederaufbauplänen des Jahres 1949 schien noch die Rekonstruktion von einigen Gebäuden möglich, aber schnell wurde klar, dass Stobenstraße, Aegidienmarkt und Auguststraße eine Hauptverkehrsachse werden sollten und das mittelalterliche Erscheinungsbild des Aegidenmarkts endgültig verloren ging. Mit der Versetzung des Leisewitzhauses, das ursprünglich an der Wallstraße gestanden hatte, gelang Ende der 1970er Jahre immerhin eine optische Aufwertung.

Der Aegidienmarkt um 1900 mit Blick in die Auguststraße. Foto: Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege

An der Stelle hatte zuvor der sogenannte Aegidienkeller, ein vom Braunschweigischen Hofbaumeister Georg Christoph Sturm von 1754 bis 1757 für den Weinhändler Angott gebautes Haus, gestanden. In diesem Gebäude starb am 15. Februar 1781 der Schriftsteller Gotthold Ephraim Lessing. Vor dem Aegidienkeller stand dort noch das ehemalige Altewiekrathaus, das 1752 abgerissen wurde.

Fakten:

Braunschweiger Plätze in Geschichte und Gegenwart
128 Seiten
Herausgeber: Richard Borek Stiftung
Autor, Inhalt und Gestaltung: Elmar Arnhold
Herstellung: Druckerei Häuser KG, Köln
ISBN 978-3-9823115-0-0
Preis: 12.90 Euro

 

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