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„Mischt euch ein, sprecht miteinander und kommt zusammen“

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Generalsekretärin Bundesverband Deutscher Stiftungen: Friederike v. Bünau über die Aufgaben und den Einfluss von Stiftungen.

Anfang März war Friederike v. Bünau, die Generalsekretärin des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen, im Haus der Braunschweigischen Stiftungen am Löwenwall zu Besuch. Die Standort38-Redaktion hat vor der Veranstaltung mit ihr gesprochen – über Gelassenheit bei der eigenen Karriereplanung, die Fragmentierung unserer Gesellschaft und die Frage, warum viele Stifter:innen erst im Alter milde werden …

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 07.04.2024

Frau von Bünau, wir führen dieses Interview in der Woche des Weltfrauentags und Equal Pay Days. Sie waren zu Beginn Ihrer Karriere als Investmentbankerin bei der Deutschen Bank beschäftigt, als Sie schwanger wurden. Ihr Chef habe Ihnen daraufhin laut eines FAZ-Artikels gesagt, dass der Zeitpunkt ungünstig wäre. Und Ihnen sei klar gewesen, dass Ihre Zeit als Bankerin vorbei ist. Wie blicken Sie heute auf diese Phase?

Ich hätte mich natürlich über eine positivere Reaktion gefreut, aber das Berufsbild war damals in den Köpfen der Chefs offensichtlich nicht mit Kindern oder gar Teilzeit vereinbar. So weit war man nicht – und ehrlicherweise weiß ich nicht, ob ich selbst diesen Beruf und Familie in meiner Vorstellung hätte zusammen denken können.

Das müssen Sie erklären!

Ich möchte die Verantwortung hier nicht nur der Bank zuschieben. Mir war immer klar, dass ich einmal Kinder haben und in dieser Zeit auch als Mutter für sie da sein möchte. Bei der Frage, wie man Beruf und Familie verbindet, gibt es nicht den einen richtigen Weg – das muss jeder ganz individuell entscheiden. Aber ich bin mir sicher, dass man heute bei der Deutschen Bank anders mit der Situation umgegangen wäre.

Der FAZ-Artikel beschreibt, wie Sie versuchen, als Geschäftsführerin einer Kulturstiftung der evangelischen Kirche Familie und Job zu vereinbaren, während Ihr Mann früh zur Arbeit geht und spät nach Hause kommt. Haben Sie heute als oberste Repräsentantin des deutschen Stiftungswesens mehr Freiheit?

Ich habe mich damals bewusst für eine anspruchsvolle Teilzeitstelle entschieden und dann sukzessive aufgestockt. Denn wenn die Kinder größer werden, entstehen automatisch neue Freiräume. In meinem heutigen Job als Generalsekretärin habe ich viele Abendtermine, jetzt aber auch lebensbedingt die Kapazitäten, mich voll auf diese Aufgabe einzulassen.

Würden Sie rückblickend sagen, dass Ihr Karriereplan aufgegangen ist?

Ich hatte die Geduld, um phasenweise beruflich kürzer zu treten, und habe meine Kinder in dieser Zeit gut begleitet. Es ist mir auch wichtig, Zuversicht für die Freiheit der Entscheidungen zu vermitteln, was die Freiheit solcher Entscheidungen betrifft. Es wird immer wieder im Leben Phasen geben, in denen andere Dinge als der Job plötzlich wichtiger werden. Damit sollten wir selbstbewusster und gelassener umgehen. Ein Rest glückliche Fügung gehört am Ende natürlich auch immer dazu.

Kommen wir zum Dritten Sektor: Große Vermögen ermöglichen große Stiftungen. Ist soziale Ungleichheit damit eine Grundlage für ein reges Stiftungsgeschehen?

Eine rege Stiftungslandschaft lebt nicht nur vom Geld, auch von der Zeit und den Ideen der Menschen. Das zeigt doch gerade hier in Braunschweig die Bürgerstiftung auf beeindruckende Weise. Und wenn Vermögende der Gesellschaft in Form einer Stiftung etwas zurückgeben wollen, ist das eine weitere wichtige Form des Engagements.

Insa Heinemann (Braunschweigische Stiftung). Foto: Isermann/FMN

Wer etwas zurückgibt, hat es zuvor genommen oder geschenkt bekommen. Was könnte dies im Fall von Stifter:innen sein?

Oder das Vermögen wurde erarbeitet. Nehmen Sie Unternehmer:innen. Diese schreiben ihren Erfolg oft nicht nur sich selbst, sondern auch der sie umgebenden Gesellschaft zu. Dafür sind sie dankbar und engagieren sich. Der Anlass für Stiftungsgründungen hat oftmals ein persönliches Momentum, dem Vermögen einen anderen, tieferen Sinn zu verleihen. Es gibt hier übrigens eine Veränderung: Früher wurden Stiftungen oft von Todes wegen gegründet, heute immer häufiger zu Lebzeiten.

In einem Interview mit ngo Dialog haben Sie gesagt, dass die wirtschaftlich schon sehr erfolgreiche jüngere Generation das Thema Vermögen und Gemeinwohl viel mehr zusammendenkt. Gibt es hier einen Unterschied zu den Eltern und Großeltern, die häufig erst im Alter milde wurden?

Ich glaube zumindest, dass der Sinngedanke oder Purpose heute früher eine Rolle spielt. Das hat auch damit zu tun, dass die heutige junge Generation einerseits im Wohlstand aufgewachsen ist, andererseits aber nicht die gesellschaftlichen Sicherheiten verspürt, unter denen sie sich vielleicht mehr dem Vermögensaufbau widmen würde. Ein Unternehmer, der früh mit 60 seine Stiftung gegründet hat, konnte dies wiederum erst spät im Leben zu tun, weil er zuvor erst einmal eine ganz andere Aufbauleistung erbringen musste.

Rechtfertigt das einen relativ späten Zeitpunkt des Engagements im eigenen Leben?

Unternehmerisch zu handeln ist auch jenseits von eingerichteten Stiftungen auf vielen Ebenen sozial und gemeinwohlorientiert – man schafft Arbeitsplätze und Wertschöpfung, ein Miteinander im Unternehmen. Ich würde die verschiedenen Formen des Engagements nicht gegeneinander ausspielen wollen.

Sie haben in einem Interview betont, dass es noch viel totes Kapital gäbe, das aktiviert werden könnte …

Wir werden in den kommenden Jahren in vielen kleineren Stiftungen ein Nachfolgethema haben und es wird sich nicht immer jemand aus der nächsten Generation finden, der die Arbeit fortführen möchte. Nach der neuen Stiftungsrechtsreform gibt es die Möglichkeit, Stiftungen zusammenzulegen – das ist eine Chance, Kapital für das Gemeinwohl zu bündeln.

Ihre Aussage zielte also auf Kapital, das bereits in Stiftungen gebunden ist, nicht auf Geld, das irgendwo auf deutschen Konten schlummert?

Es gibt auch noch sehr viel Privatvermögen, das sich für die Gesellschaft mobilisieren ließe. Dafür gibt es viele gute Vorbilder – einen Felix Neureuther oder Philipp Lahm aus dem Sport beispielsweise. Es ist wichtig, Menschen zu zeigen, dass es sich lohnt, wenn sie sich einbringen. Das kann durch eine Stiftung sein, aber auch durch ganz andere Formen.

Vor rund drei Wochen haben wir hier mit Frau Berghahn und Herrn Schnur gesessen und diskutiert, ob Stiftungsarbeit per se politisch ist. Was sagen Sie?

Ja, durch den Auftrag der Gemeinnützigkeit sind Stiftungen zu bestimmten Werten verpflichtet und wollen die Gesellschaft mitgestalten – in der Bildung, im Bereich der Umwelt, Kultur oder im Sozialen. Demokratie und Zivilgesellschaft bedingen sich gegenseitig. Damit kommt Stiftung eine besondere Bedeutung zu, auch lokal für unsere demokratische Grundordnung oder Vielfalt einzustehen.

Die Initiatorinnen Susanne Hauswaldt (Bürgerstiftung Braunschweig), Maria-Rosa Berghahn (Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz) und Susanne Schuberth (Die Braunschweigische Stiftung) mit Friederike v. Bünau (2.v.l.). Foto: Hobrecht/FMN

Es gibt aber auch die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung mit Erika Steinbach als Vorsitzender oder die von Russland finanzierte Stiftung Klima- und Umweltschutz MV. Welcher Anteil der deutschen Stiftungen vertritt Werte, mit denen Sie persönlich nicht übereinstimmen?

Das ist ein sehr, sehr kleiner Teil. Wir führen als Verband natürlich keinen Gesinnungscheck durch, aber wir schauen die Stiftungen an und der Vorstand entscheidet über die Aufnahme. Außerdem prüfen die Stiftungsaufsicht und auch das Finanzamt die Einhaltung des Stiftungszwecks und die Gemeinnützigkeit.

Zur Stiftung Klima- und Umweltschutz MV wird bis heute eine klare Stellungnahme vermisst. Hat sich Ihr Verband in der Vergangenheit nicht klar genug positioniert?

Meines Wissens sind wir dazu nie explizit angefragt worden. Es gibt die entsprechenden Gutachten der beiden Rechtsprofessorinnen. Grundsätzlich diskutieren wir mit unseren Gremien gerade intensiv, wie politisch wir nach außen auftreten. Denn es ist eben auch eine Positionierung, sich zu manchen Dingen nicht zu äußern. Wir haben uns deshalb zum Beispiel der #Zusammenland-Initiative für Vielfalt und Demokratie angeschlossen und uns von der Plattform X zurückgezogen. Unsere Zeit erfordert klare politische Äußerungen – und hier wollen wir als Verband eine Orientierungsfunktion einnehmen.

Bei allen drei anstehenden Landtagswahlen hat die AfD derzeit in Umfragen die Nase vorn. Machen Sie sich Sorgen, dass sich unser Wertekanon erkennbar nach rechts verschiebt?

Wir haben gerade mit vier Stiftungen unter der Schirmherrschaft von Staatsminister Carsten Schneider die Initiative „Zukunftswege Ost“ gestartet, mit dem Ziel, die Zivilgesellschaft in Ostdeutschland zu stärken. Zur Wahrheit gehört, dass das stifterische Engagement aufgrund der Geschichte mit rund 93 Prozent aller Stiftungen vor allem in Westdeutschland liegt. Das kann uns nicht zufriedenstellen.

In Ihrem Verband gibt es seit einigen Jahren einen Richtungsstreit um die Frage, was er eigentlich sein will. Drei Stichworte sind Interessenvertretung, Dienstleister oder Visionär für eine moderne Philanthropie …

Unsere Kernaufgaben sind die politische Interessenvertretung und die Bereitstellung von Dienstleistungen und Netzwerken für unsere Mitglieder. Das müssen wir erst einmal gut machen und können dann weitersehen …

Man könnte heraushören, dass Sie mit dem Kerngeschäft nicht zufrieden sind, oder?

Generalsekretärin Friederike v. Bünau bei einer Stiftungsveranstaltung im Haus der Braunschweigischen Stiftungen am Löwenwall. Foto: Hobrecht/FMN

Wir sind auf einem guten Weg. Gleichwohl ist es mein Anspruch, dass wir als Organisation immer besser werden können.

An welcher Stelle?

Wir haben sehr unterschiedliche Mitglieder mit verschiedenen Bedürfnissen – von der Braunschweiger Bürgerstiftung bis zur Volkswagenstiftung, um mal in der Region zu bleiben. Und die entscheidende Frage in unserem Verband ist, wie wir allen einen Mehrwert bieten können.

Welche drängenden Probleme sollten Stiftungen Ihrer Meinung nach stärker angehen?

Stiftungen können nicht die Welt retten, aber dabei helfen, sie punktuell zu verbessern. Dazu gehört, dass wir uns nicht größer machen als wir sind, aber eben auch nicht kleiner. Gerade unsere Unabhängigkeit und die nachhaltige Finanzierungsform sind ein Alleinstellungsmerkmal, das uns hilft, unterschiedliche Akteure ins Gespräch zu bringen und gemeinsam etwas zu bewegen.

Sie haben Stiftungen einmal als Nischenhandwerker und Agenten der Freiheit bezeichnet …

… weil sie oft in Lücken hineinstoßen, die der Staat nicht mehr oder noch nicht besetzt. Und Stiftungen agieren als Agenten der Freiheit, weil sie unabhängig von Wahlperioden oder Mitgliederinteressen nur sich selbst verpflichtet sind. Damit können sie mutig sein und auch einmal ins Risiko gehen, etwas ausprobieren.

Wenn morgen ein Paket mit zehn Millionen Euro in Bar und der Aufforderung eine Stiftung zu gründen vor Ihrer Tür liegen würde. Was wäre der Stiftungszweck?

Ich würde das Thema Long Covid oder das Chronic Fatigue Syndrom wählen. Denn ich höre gerade von immer mehr betroffenen Familien und es wäre ein typisches Beispiel für sinnvolles Stiftungshandeln, hier Akteure aus der Forschung mit Ärzten und Betroffenen zusammenzubringen.

Auf dem deutschen Stiftungstag in diesem Jahr spricht auch Finanzminister Christian Lindner. Sind sie eigentlich Team Schuldenbremse oder für mehr Investitionen?

Ich bin vor allem Team Gemeinnützigkeitsrechtsreform (lacht). Die liegt nämlich schon länger im Ministerium von Christian Lindner und steht im Koalitionsvertrag. Die Stiftungen, aber auch die vielen Vereine in unserem Land brauchen dringend einen Abbau der Bürokratie und mehr Rechtssicherheit bei den ehrenamtlichen Organen.

Einverstanden. Die eigentliche Frage haben Sie damit aber bisher umschifft …

Wenn ich mich entscheiden müsste, tendiere ich zu nachhaltigen Investitionen im Bildungsbereich.

Nora Pagels (Achterkerke Stiftung) bei der Diskussionsrunde. Foto: Isermann/FMN

Fehlt unserem Land derzeit das „Wir“, die Vision, hinter der sich eine Mehrheit der Deutschen versammeln würde, um gemeinsam die Transformation unserer Gesellschaft zu meistern?

Ich habe schon das Gefühl, dass gerade sehr viel geklagt wird und die Zuversicht, dass wir es gemeinsam schaffen, wenn alle mit anpacken, etwas verloren gegangen ist. Und es braucht gerade jetzt, wo wir vor vielen Herausforderungen stehen, das Engagement vieler.

Wer könnte dazu anstiften?

Das ist eine Führungsaufgabe, die wir nicht an die Politik allein delegieren können. Es sind alle gefragt, Unternehmen, Institutionen, Stiftungen, die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land – wir müssen gemeinschaftlich über die Sektoren hinausdenken und uns klug verknüpfen.

Gäste der Veranstaltung im Haus der Braunschweigischen Stiftungen am Löwenwall. Foto: Isermann/FMN

Haben Sie zum Schluss noch eine Botschaft an die Entscheider:innen hier in der Region?

Mischt euch ein, sprecht miteinander und kommt zusammen – zum Beispiel in Häusern wie dem der Braunschweigischen Stiftungen. Demokratie braucht Orte der Begegnung, in denen Menschen mit unterschiedlichen Lebensentwürfen aufeinandertreffen und in denen sie sich aufgehoben fühlen.

Ein Gegenentwurf zur Fragmentierung unserer Gesellschaft?

Der wäre nötig. Wir können uns in den Familien ja nicht einmal mehr auf ein Programm einigen. Während der Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland hatte man vielleicht zum letzten Mal das Gefühl, dass hier alle auf demselben Track unterwegs sind.

Im Sommer ist EM …

Seien wir hoffnungsvoll. Das Sommermärchen 2006 und den WM-Sieg 2014 hat auch niemand prognostiziert!

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 07.04.2024 und erreichbar unter: https://www.braunschweiger-zeitung.de/braunschweig/article242031994/Stiftungen-in-Braunschweig-Ein-Blick-in-die-Zukunft.html

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