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„Mit mir hätte Hitler den Krieg auch nicht gewonnen“

Mein Vater, Adolf Meyer, während seiner Zeit beim Reichsarbeitsdienst im Sommer 1943. Foto: privat
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Aus den persönlichen Erinnerungen meines Vaters Adolf Meyer zum Kriegsende 11./12. April 1945

Am 12. April 1945 endeten in Braunschweig der verheerende Zweite Weltkrieg und die schreckliche NS-Herrschaft. 80 Jahre ist das her. Zeitzeugen, die das Elend noch bewusst miterlebten, werden rar. Mein Vater, Adolf Meyer (12. März 1925 – 24. Oktober 2017), berichtete im Gegensatz zu vielen heimgekehrten Soldaten oft über seine Erlebnisse, waren sie doch eigentlich angesichts der deutschen Gründlichkeit jener Tage in anderen so schuldbeladenen Fragen schier unglaublich. Geprägt durch den frühen und sinnlosen „Heldentod“ seines Bruders Herbert auf Kreta, wohl am 20. Mai 1941, und den Verlust der elterlichen Wohnung in der Karlstraße durch einen schweren Bombentreffer am 10. Februar 1944, entzog sich mein Vater (zum Glück) bis zuletzt der Nazi-Diktaur erfolgreich. Mehrfach hätte ihn dafür ein Todesurteil ereilen können, aber das ist eine andere Geschichte. Im Februar 1998 schrieb er unter anderem seine Erinnerungen auf. Daraus berichte ich in Auszügen über das Kapitel der letzten Kriegstage.

Gedenken oft unpersönlich

Je mehr man sich zeitlich vom Ende des Krieges 1945 entfernte, so schreibt Gerd Biegel, Gründungsdirektor des Instituts für Braunschweigische Regionalgeschichte, in seinem jüngsten Beitrag, desto geringer wurden die persönlichen Erinnerungen an das reale Geschehen, vielleicht auch der Grad der Verdrängung größer. Die Analyse der damaligen Medienberichte lässt erkennen, dass an die Stelle des persönlichen Erinnerns mehr und mehr ein offiziell-öffentliches und politisches Gedenken – anonym und unpersönlich – trat. Zum 12. April 1945 anlässlich der 75. Wiederkehr des Kriegsendes veröffentlichte „Der Löwe – das Portal für das Braunschweigische“ einen allgemeinen Bericht über das Kriegsende in Braunschweig.

Hier Auszüge aus den persönlichen Erinnerungen meines Vaters: 

„Was Hitler seiner Jugend zudiktierte, äußerte er im Jahre 1938:

Diese Jugend, die lernt ja nichts anderes als deutsch denken, deutsch handeln. Sie kommt vom Jungvolk in die Hitlerjugend, dann nehmen wir sie sofort in die Partei. Und wenn sie dort noch nicht ganz Nationalsozialisten geworden sein sollten, dann kommen sie in den Arbeitsdienst. Und was dann an Klassenbewusstsein oder Standesdünkel da oder da noch vorhanden sein sollte, das übernimmt die Wehrmacht. Sie werden nicht mehr frei ihr ganzes Leben.

Das war nun überhaupt nicht meine Welt, und so habe ich mir schon mit 15/16 Jahren andere Wege gesucht. In dieser Hinsicht positive Einflüsse meines Elternhauses und weltweit gereister Mühlenbau-Ingenieure während meiner Lehrzeit in der MIAG sowie negative Beobachtungen einiger Onkel in braunen Uniformen (SA-Sturmführer beziehungsweise Partei-Ortsgruppenleiter) … haben mich dazu motiviert. Tanzmusik bei Börner und Swingmusik von BBC London lagen mir sehr viel mehr als dröhnende Marschmusik hinter einer Fahne, die mehr sein sollte als der Tod…

Die für mich kritischen Kriegsjahre 1943 – 1945 (18 – 20 Jahre alt) habe ich für meine Kinder und Enkel geschildert und festgehalten, die gar nicht wissen können, wie grausam diese Zeit war, denn das Tausendjährige Reich währte zum Glück nur zwölf Jahre, aber mit 55 Millionen Toten als Blutspur eines der größten Verbrecher der Weltgeschichte…

Volkssturmuntauglich geschrieben

Am 17. Januar 1945 wurde ich bei einer Volkssturm-Nachmusterung volkssturmuntauglich geschrieben – von dem Zahnarzt Dr. Stuntz, Hagenring/Ecke Roonstraße. Diese Nachmusterung hatte ich erwirkt, indem ich beim ersten Antreten mit 1,85 m Körpergröße ganz nach hinten ging, was erwartungsgemäß auffiel und mir Gelegenheit gab, meine ganze Vorgeschichte aus Reichsarbeitsdienst und Wehrmacht [lädierte Knie] in aller Ausführlichkeit zu schildern. Herr Dr. Stuntz war dann vertraulich der Meinung, dass Hitler mit mir den Krieg auch nicht mehr gewinnen würde und auch nicht gewonnen hätte…

Nur Deppen glaubten noch an den Endsieg, den die Nazis verkündeten, um ihr kümmerliches Leben noch ein paar Wochen zu verlängern und dafür Tausende junger Menschen auf die Schlachtbank zu führen…

Anfang April 1945 erhielt ich von der NSDAP-Ortsgruppe die Aufforderung, mich als Melder im Bunker Methfesselstraße (an der Gliesmaroder Straße) einzufinden. Das ging auf eine Denunziation … zurück. Mit dieser Einberufung konnte ich mich legal bei der MIAG beurlauben lassen. Etwa acht Tage vor dem Einzug der 30. US Infantery-Division hatte ich meinen ersten Dienstweg ins Flieger- (heute Maler-)viertel auszuführen. Der Weg zum Bahnhof Gliesmarode war nur ein Katzensprung, so dass ich es vorzog, mich von dort aus zu meinen Eltern nach Meine abzusetzen…

Todesstrafe durch Erhängen

Die acht Tage bis zur Befreiung durch die US-Army habe ich bei herrlichem Sonnenschein, alle Hamstermöglichkeiten (sogar per Fahrrad bei der Öffnung der Wehrmachts-Silos in Gliesmarode – nicht weit von der Dienststelle entfernt) ausnutzend, in Meine … verbracht und von dort die Tiefflieger über Braunschweig beobachtet. Es wäre für die NS-Ortsgruppe ein Leichtes gewesen, mich aufzuspüren, denn nach unserer Ausbombung auf der Karlstraße war ich offiziell Gliesmaroder Str. 89 (beim Bruder meiner Mutter) und meine Eltern in Meine (bei der Schwester meiner Mutter) gemeldet. Ich habe mich in keiner Weise versteckt gehalten, indes ließen wohl die nahenden US-Truppen und das Ende ihrer Macht die Bonzen ängstlich und vorsichtig werden. Denn eigentlich war mein Verschwinden eine Fahnenflucht mit der üblichen Folge der Todesstrafe durch Erhängen mit umgehängtem Schild ‚Ich bin ein Feigling‘ oder ‚Ich bin ein Verräter‘…

Das Kriegsende war für meinen Vater endlich ein Neustart ohne Angst. Foto: privat

Das Kriegsende war für meinen Vater endlich ein Neustart ohne Angst. Foto: privat

Mein eigener Onkel (SA-Sturmführer der Reiter SA) schämte sich, wie er mir erklärte, einen Neffen zu haben, der nicht das Ehrenkleid des Führers trug und tragen wollte, obwohl außer meinem Bruder sogar sein eigener Sohn Friedel mit 19 Jahren bei Rshew für den heißgeliebten Führer gefallen war. Ich durfte ihm dafür dann seine braune Uniform samt Orden und Ehrenzeichen auf dem Fahrrad nach Meine schmuggeln und unter dem Waschkessel verbrennen, sowie ihm köstliche amerikanisch-englische Feind-Zigaretten abtreten. So ging die politische Meinungsvielfalt damals oft quer durch die Großfamilien. Der allerdings schon 1941 verstorbene Ehemann der Schwester meiner Mutter in Meine war NSDAP-Ortsgruppenleiter gewesen. Von der Konsequenz meiner Eltern war ich stets beeindruckt, denn sie hielten nie mit ihrer anderen Überzeugung hinter dem Berg (Mutter hatte stets ‚christlich‘ und Vater sozialdemokratisch gewählt).

Von Feindseligkeit keine Spur

Am 11. April 1945 habe ich mich gegen 20 Uhr auf die Straße gewagt, auf der die US-Panzer durch Meine rollten. Ich war zwar in Zivil, aber doch ein junger Mann von 20 Jahren. Die GIs fuhren grinsend und kaugummikauend an mir vorbei, von Feindseligkeit keine Spur. Ich war weit und breit mutterseelenallein auf der Straße, aber glücklich und froh, dass der braune Spuk ein Ende hatte.

Für jeden, der die damaligen Verhältnisse nicht erlebt hat, ist dieses vielfältige Glück während der Zeit der gnadenlosesten Diktatur nicht zu begreifen. Ich selbst komme nur zu dem Schluss, dass der Herrgott es wohl besonders gut mit mir gemeint hat (… in wieviel Not hat nicht der gnädige Gott über dir Flügel gebreitet … aus ‚Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren‘)…“

So war der Zweite Weltkrieg für meinen Vater einen Tag früher zu Ende als für die Menschen in Braunschweig. Die große Erleichterung spricht aus seinen Zeilen. Zeit Lebens war er den Amerikanern verbunden, ob das freilich heute mit Donald Trump immer noch so gewesen wäre, wage ich, wie ich meinen Vater kannte, ehrlicherweise zu bezweifeln.

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