Modelleisenbahner in Braunschweig von Kindesbeinen an
Burkhardt Paul vor seiner Modellbahnanlage im „Kinderzimmer“. Züge zu fahren ist nur ein kleiner Bereich seines Hobbys. Foto: Karsten Mentasti
Burkhardt Paul hat mit sieben Jahren seine erste Lok geschenkt bekommen. Noch heute ist die Anlage sein liebstes Hobby – seine Frau akzeptiert es.
Per Knopfdruck wird das Signal auf grün gestellt, der historische Zug mit Dampflok, Güter- und Personenwagen setzt sich in Bewegung. Modelleisenbahner Burkhardt Paul aus dem Östlichen Ringgebiet in Braunschweig dreht behutsam an einem Trafo – der 73-Jährige hat viel Erfahrung damit. Eine Modellbahn der Marke Trix Express mit einer Dampflokomotive der Baureihe 24 hat er als Siebenjähriger zu Weihnachten geschenkt bekommen – Größe H0, also Maßstab 1:87. Wie so viele in seiner Generation, und auch in der danach.
Dieser Artikel ist zuerst erschienen am 31.12.2022 (Bezahl-Artikel)
„Das war damals vor allem ein Wunsch, den sich mein Vater erfüllt hat“, erinnert sich Paul an das Fest 1956. Sohn und Papa haben noch während der Feiertage die dazugehörigen Schienen auf einer Sperrholzplatte befestigt, sie mit Strom verbunden und den ersten Zug in Gang gesetzt. „Mein Vater hat sehr darauf geachtet, dass ich nichts kaputt mache, aber als er gesehen hat, dass ich damit verantwortungsvoll umgehe, hat er mich auch alleine spielen lassen.“
Im Spätherbst wurde es in den Spielzeuggeschäften früher hektisch
Die Advents- und Weihnachtszeit war für viele Kinder aus den 1950er, 60er und 70er Jahren die Zeit der Eisenbahn. Wer noch kein Auto hatte, fuhr im Sommer mit der Bahn in den Urlaub, im Winter wurde diese in die Wohnung geholt. Oft in die Stube, weil die Kinderzimmer zu klein waren – oder dort auch mal Bälle umherflogen, die der Modellbahnanlage nicht gutgetan hätten. Außerdem wollten die technikbegeisterten Väter ja auch einen Blick auf die Bahn haben, auch oder gerade wenn die Kinder schon schliefen.
Ab November wurde es damals auch in den Eisenbahnabteilungen der Spielzeuggeschäfte voll und hektisch. Manche kleine Läden hatten sich auf Modellbahnen spezialisiert, was heute zum Überleben nicht mehr reichen würde. Seit Computer und Co. aufgekommen sind, hat sich das Interesse stark gewandelt. „Heute gucken viele Kinder am liebsten auf ihr Smartphone“, weiß nicht nur Burkhardt Paul – das spüren auch die einschlägigen Geschäfte.
Ein Berggasthof mit Wassermühle auf der Modellbahnanlage. Gerade abseits der Gleise „tobt“ das Leben. Foto: Karsten Mentasti
Börsen gab es früher auch in Braunschweig regelmäßig
Allerdings: Als Spielzeug sehen Hersteller und Fachverkäufer die Modelleisenbahn sowieso nicht – aber das ist freilich eine Frage der Definition. Märklin, einer der bekanntesten Fabrikanten von elektrischen – und längst auch digitalen – Modellbahnen, zu dem mittlerweile auch die Firma Trix gehört, druckt in seiner Produktbeschreibung von Wagen den Hinweis „Nicht für Kinder unter 3 Jahren“. Für die USA müssen Jugendliche gar 15 Jahre alt sein, vielleicht, weil Bahnen und Beleuchtung mit Strom aus der Steckdose betrieben werden.
„Tatsache ist, dass Wagen und Loks im Laufe der Jahre immer detailreicher geworden sind, und die Gefahr, dass etwas abbricht, deutlich gestiegen ist“, sagt Paul, der auf Börsen Gleichgesinnte getroffen und gefachsimpelt oder nicht mehr im Werksverkauf befindliche Waggons erstanden hat. So langsam laufen die Börsen nach Corona wieder an, früher gab es sie regelmäßig auch in Braunschweig, etwa im FBZ, Schützenhaus oder in der Raabeschule.
Ein Raum in der Dreizimmerwohnung ist für die Modellbahn reserviert
Burkhardt Pauls Ehefrau Erika hat das Hobby ihres Mannes akzeptiert. Ihre Sammelleidenschaft sind Teddybären, von denen sich einige Kleinstexemplare auch auf der rund vier Quadratmeter großen Modellbahnplatte wiederfinden. Das kinderlose Ehepaar hat sich schon früh entschieden, einen Raum in der Dreizimmerwohnung für das Hobby des Mannes zu reservieren.
Das „Kinderzimmer“, wie Paul sagt, hat einen direkten Zugang zur Küche, so dass sich der Hobbyeisenbahner nicht in den Keller oder auf den Dachboden verkrümeln muss, um die Räder von Waggons oder Zugmaschinen anderer Hersteller für seine Trix-Schienen vorzubereiten oder die Beleuchtung seiner Anlage weiter voranzutreiben.
Zumal sich der Ex-Finanzbeamte nicht nur mit Schienensträngen, Rangiermöglichkeiten und Schattenbahnhof zufrieden gibt, sondern eine Stadt gebaut hat, einen Berg mit Mühle, Gasthof und Bergsee, Bahnhof, Stellwerken sowie unzähligen Accessoires, die das Geschehen belebt erscheinen lassen.
An den Wänden im „Kinderzimmer“ stehen Loks, Wagen und ganze Züge in Vitrinen
Faller, Vollmer oder Kibri sind Namen, die jeder Modellbauer kennt und deren Kataloge mit in Landschaften eingepassten Produktbeispielen früher zur Herbst- und Winterzeit die Fantasien der Modellbahner beflügelt haben. Ein solches dreidimensionales Wimmelbild hat sich auch Paul geschaffen.
Und an den Wänden im „Kinderzimmer“ stehen Loks, Wagen und ganze Züge in Vitrinen, aber auch Last- und Personenwagen im H0-Maßstab und meist in Originalkartons. Denn längst nicht alle passen gleichzeitig auf die Platte. Auf eine Umstellung seiner Anlage auf digitalen Antrieb hat Burkhardt Paul übrigens verzichtet, allein schon, um die Kosten für die Umrüstung seines Fuhrparks zu sparen.
„Hauptklientel für Modellbahnbedarf ist 60 Jahre und älter“
Aktuell ist er dabei, seine Flotte an D-Zug-Wagen mit flachen Dioden zu beleuchten, die es früher so nicht gab. Dabei deckt er sich regelmäßig mit Material im Modellzentrum in der Kreuzstraße ein. Dort bestätigt Einzelhandelskaufmann und Verkäufer Holger Kirchhoff, dass „die Hauptklientel für Modellbahnbedarf 60 Jahre und älter“ ist. Aber er sagt auch, dass „einige Väter und Großväter durchaus erfolgreich versuchen, ihre Kinder oder Enkel an die Modelleisenbahn heranzuführen“. Gerade bei 10- bis 15-Jährigen führe das häufig zu Interesse, auch wenn dieses im Teenageralter dann wieder nachlasse.
Aber so war es auch bei Burkhardt Paul, der froh ist, die alten Schienen, Loks und Waggons Mitte der 80er Jahre wieder aus der Kiste geholt zu haben.
Dieser Artikel ist zuerst erschienen am 31.12.2022 und erreichbar unter: https://www.braunschweiger-zeitung.de/braunschweig/article237260315/Modelleisenbahner-in-Braunschweig-von-Kindesbeinen-an.html (Bezahl-Artikel)