Momentaufnahme im Gedächtnis der Stadt
Acht Regalkilometer Akten umfasst das „Gedächtnis der Stadt“, Urkunden, Stadtbücher, Akten, Fotografien, Karten und Pläne aus den unterschiedlichen Epochen der Stadtgeschichte. Nun hat das Stadtarchiv Braunschweig eine Übersicht über seine Bestände vorgelegt.
Kulturdezernentin Dr. Anja Hesse verglich die Funktion des Stadtarchivs mit der eines „Stadtgedächtnisses“, das Zeugnisse der Geschichte von den schriftlich dokumentierten Anfängen im 11. Jahrhundert bis zur tagesaktuellen Zeitung aufbewahrt. Erinnerungslücken, gar Alzheimer oder Demenz? „Unser Gedächtnis ist ganz gut beieinander“, freute sich Hesse. Denn durch glückliche Umstände ist das Stadtarchiv von größeren Verlusten durch Kriegseinwirkungen, Brände oder Naturkatastrophen verschont geblieben und gehört heute mit seinen vielfältigen und reichhaltigen Beständen zu den großen Kommunalarchiven in Norddeutschland.
Inhaltlich steht natürlich die Überlieferung der städtischen Verwaltung seit dem späten Mittelalter im Vordergrund. Neben diesem amtlichen Archivgut verwahrt das Stadtarchiv aber auch in größerem Umfang Schriftgut nichtamtlicher Herkunft. Darunter befinden sich Bestände von überregionaler Bedeutung, so beispielsweise ein Teil des Nachlasses von Carl Friedrich Gauß, die Nachlässe der Schriftsteller Friedrich Gerstäcker und Wilhelm Raabe oder der des Oberbürgermeisters und SPD-Politikers Otto Bennemann.
Doch diese Vielfalt und Menge wird es natürlich problematisch, wenn man dem Nutzer einen schnellen Überblick über die Bestände geben will. Dabei hilft das nun vorgestellte Verzeichnis. Es bietet eine Orientierung, welche Bestände zur Beantwortung einer Fragestellung hilfreich sein könnten.
Dr. Brage Bei der Wieden, Direktor des Landesarchivs in Wolfenbüttel, warf einen nachbarschaftlichen Blick auf das Stadtarchiv und lobte die Initiative des Stadtarchivs. Die Archive erfüllen als eine Art „öffentliches Gedächtnis“ eine wichtige gesellschaftliche Funktion, indem sie Vergangenes erinnerbar machen. „Doch wenn man die Funktionsweise und die Ausmaße seines Gedächtnisses nicht kennt, ist es nutzlos“, so Bei der Wieden.
Ein Gedächtnis müsse jedoch nicht nur Informationen aufbewahren, sondern sie auch miteinander verknüpfen. Erst so entstehe Erinnerung und damit auch Vergangenheit. Das Erinnern sei quasi die Schnittstelle zwischen Archiv und Gesellschaft, das so einen wesentlichen Beitrag zum Zusammenhalt unserer Gesellschaft und der auf Geschichte gründenden Identitätsbildung in Stadt und Land leiste. Und deshalb sei hier jeder gefragt, sich mit den Beständen der Archive zu beschäftigen, Fragen an sie zu stellen, Antworten zu suchen.
Den spröden Charme eines Telefonbuches oder Branchenverzeichnisses bescheinigte Dr. Henning Steinführer, Leiter des Stadtarchivs, der von ihm herausgegebenen Publikation. „Aber auch da ist man überglücklich, wenn man Antworten auf seine Fragen gefunden hat.“ Dazu wird jeder einzelne Bestand des Archivs kurz beschrieben, ergänzt durch Querverweise auf andere Bestände und Literaturangaben. Ein umfangreicher Index erleichtert die Suche in dem Band. Nicht „nachttischgeeignet“ sei das Werk, konstatierte auch Hesse schmunzelnd, auch wenn es mit zahlreichen Bildern illustriert ist. Eher ein treuer Begleiter in allen Fragen zu Informationen über die Stadtgeschichte, den man immer wieder mit Gewinn zur Hand nehmen könne.
Seit 2007 hat das „Gedächtnis“ Braunschweigs seinen Sitz im Obergeschoss des wieder aufgebauten Schlosses. „Ein Gewinn für alle“, freut sich Steinführer. Denn hier verfügt es über eine zeitgemäße technische Ausstattung, ausreichend dimensionierte und klimatisierte Magazine für die kommenden Jahrzehnte. Und auch die Nutzer freuen sich, was sich in einer deutlichen Zunahme der Zahl der Archivbesucher ausdrückt. Ob Familienforscher, Hobbyhistoriker oder Wissenschaftler, „unsere Bestände haben kaum Grenzen für den Forschergeist“, versichert Steinführer, der sich bei seinen Mitarbeitern für das große Engagement bei der Erstellung der Übersicht bedankt.
Die Drucklegung der Beständeübersicht wurde unterstützt durch die von dem langjährigen Archivdirektor Dr. Richard Moderhack eingerichtete Richard und Dietrich Moderhack-Stiftung, die Richard-Borek-Stiftung und die von Dammschen-Stiftung. Und so überreichte Steinführer Prof. Dr. Dietrich Moderhack das erste Exemplar der druckfrischen Beständeübersicht.
Ist ein gedrucktes Werk in Zeiten der Internetrecherche und digital verfügbarer Informationen bei Drucklegung durch Neuzugänge und Fortschritte bei der Erschließung schon wieder veraltet? Eine durchaus berechtigte Frage, fand auch Steinführer. Doch gerade die reduzierte Form sei reizvoll, biete sie doch einen ersten Zugang zu den Archivbeständen, den Ausgangspunkt einer Recherche. Zudem wird das Stadtarchiv die Übersicht zukünftig auch in digitaler Form auf seiner Internetseite anbieten und dort laufend aktualisieren.
Informationen
Henning Steinführer (Hrsg.), Die Bestände des Stadtarchivs Braunschweig (Braunschweiger Werkstücke 115), Appelhans-Verlag Braunschweig 2018.
Preis: 30,00 Euro
Erhältlich ab Ende Februar im Buchhandel und im Lesesaal des Stadtarchivs, Schlossplatz 1.
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