Reptilien und ihr verborgenes Leben in der Wildnis faszinierten ihn schon als Kind. Damals war es die kleine Wildnis um die Hannoveraner Ecke. In den Ricklinger Teichen, aufgegebenen Schwimmbädern oder Harzer Tümpeln sammelte er Molche, Lurche, Frösche. Aus kindlicher Entdeckerfreude wurde Wissenschaft. In seiner Diplomarbeit als Student der Biologie und Paläontologiean der Uni Marburg analysierte Ulrich Joger die Fauna in wassergefüllten Wagenspuren auf Forstwegen.
Dieser Artikel ist zuerst erschienen am 13.12.2021 (Bezahl-Artikel)
Allerdings hatte ihn sein Forscherdrang damals bereits bis nach Afrika geführt, wo er 30 Jahre später mit einem Team von Braunschweiger Wissenschaftlern die wohl bedeutendsten, jedenfalls aufsehenerregendsten Entdeckungen seiner Karriere machte: Knochen bislang unbekannter Langhalssaurierund Spuren von Raptoren, kleinen Raubsauriern, die für Afrika bis dahin nicht nachgewiesen waren.
Ruhig, geradlinig, auf den ersten Blick spröde
Die große Sonderschau „Projekt Dino“ zu den Grabungen in der Republik Niger wurde 2009/10 eine der spektakulärsten und besucherstärksten in der Geschichte des Naturhistorischen Museums, dessen Leitung Joger 2003 übernommen hatte, übrigens im zweiten Anlauf nach einer ersten Bewerbung 1995.
Nach der Promotion und Habilitation in Marburg war der ruhige, geradlinige, auf den ersten Blick etwas spröde wirkende Wissenschaftler zunächst als Leiter der Naturkunde-Abteilung ans Landesmuseum Darmstadt gegangen. Doch nicht zuletzt aus „Mentalitätsgründen“ zog es Joger zurück in den Norden, nach Braunschweig. Wo er mit 18-jähriger Dienstzeit einer der am längsten amtierenden Direktoren in der mehr als 250-jährigen Geschichte des ältesten Braunschweiger Museums werden sollte.
Amphibien sammeln von Kamerun bis Senegal
Schon vor seinen großen Braunschweiger Afrika-Expeditionen hatte Joger die Welt erkundet. Als Student war er sechs Monate von Kamerun bis zum Senegal gereist, um für das Bonner Museum Koenig Amphibien zu sammeln. „Für eine Echse gab es 5, für eine Schlange 15 DM. Die Ausfuhr war kein Problem. Wir haben um die 1000 Tiere gesammelt. Heute wäre das unvorstellbar“, sagt Joger über den zupackenden Wissenschafts-Trip, der praktischerweise zugleich die Hochzeitsreise mit seiner Frau Julie, einer Erzieherin, war. Das Paar feiert Sonntag seinen 50. Kennenlerntag und hat zwei erwachsene Kinder – einen Physiker und eine Biologin.
Anfang der 90er Jahre fiel Jogers Fokus auf Sibirien. Mit seiner Habilitation über genetische Methoden zur Stammbaumrekonstruktion hatte er sich einen Namen als Paläogenetiker gemacht. Russische Forschern luden ihn ein, Mammutspuren und Knochen in Permafrostgebieten zu untersuchen. Ende der 90er Jahre erforschte Joger dann im Auftrag der UNO seltene Reptilienarten im Jemen. Bis heute sei seine Faszination für unerschlossene Weltgegenden ungebrochen, sagt Joger: „Alles ist viel ursprünglicher, Pflanzen, Tiere, Menschen.“
Widerstände gegen Museumsumbau und das Dioramen-Drama
Der Erfolg der Afrika-Schau „Projekt Dino“ sei so etwas wie ein Türöffner für seine Pläne zur Erweiterung und Modernisierung des Naturhistorischen Museums gewesen, erzählt Joger. Die war dennoch kein Selbstläufer. Das Vorhaben für einen Anbau vor dem Museum sei noch nach dem Spatenstich der damaligen Wissenschaftsministerin Johanna Wanka am Widerstand „einflussreicher Bürger“ gescheitert, erinnert sich Joger.
Stattdessen begann 2012 der übrigens teurere Umbau im Inneren, der dank der Unterstützung durch die Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz und anderer Stiftungen möglich geworden sei. Verwaltungsräume wurden in ein von der TU übernommenes Gebäude in der Gaußstraße ausgelagert und so Raum für den neuen Entdeckersaal, das Schaumagazin mit zahlreichen Tier-Präparaten und die Schatzkammer zur Museumsgeschichte geschaffen. Auch da gab es einen Proteststurm, weil für die Umbauten vier der traditionsreichen Dioramen zur heimischen Fauna weichen mussten. Er legte sich; Hase, Kraniche, Weiß- und Schwarzstorch wurden in die Erlebniswelt des Entdeckersaals integriert. Ein Museumsshop, der Dinosaal sowie die Modernisierung des Vogelsaals kamen hinzu. Der Vorplatz wurde mit Dino-Plastiken und Zeitinseln zur Naturgeschichte der Region neu gestaltet.
Besucherzahl auf 90.000 pro Jahr gesteigert
„Mit meinem tollen Team habe ich die Ausstellungsfläche nahezu verdoppelt, die jährliche Besucherzahl von 40.000 auf bis zu 90.000 gesteigert und die Eigeneinnahmen auf rund 200.000 Euro verzehnfacht“, resümiert Joger. Das Naturhistorische Museum, früher „das Stiefkind unter den drei Braunschweiger Landesmuseen“, stehe heute gleichberechtigt neben dem Anton-Ulrich- und dem Braunschweigischen Landesmuseum.
Zu Jogers Errungenschaften gehört auch die paläontologische Werkstatt mit drei festen Mitarbeitern im benachbarten Gewerbekomplex Rebenpark – dank Sponsoren- und Stiftungsmitteln, deren Einwerben eine weniger geliebte, aber recht erfolgreiche Aufgabe seiner Direktorentätigkeit war. Im Rebenpark werden etwa die Skelette von Schwimmsauriern bearbeitet, die Grabungsteams in den ebenfalls unter Jogers Ägide eingerichteten Geopunkten Schandelah und Hondelage gefunden haben. Die Erforschung und Präsentation der Frühgeschichte dieser Region war ein Kernanliegen Jogers.
Was immer noch fehlt: Ein Saal für große Sonderausstellungen
Leider sei es ihm nicht gelungen, einen festen Ort für große Sonderausstellungen des Museums zu finden, bilanziert Joger. Mehr als 30 größere und kleinere hat er in den 18 Jahren seiner Tätigkeit organisiert und begleitet, von „Mammut – Elefanten der Eiszeit“ (2006) über „Projekt Dino“ (2009), „Jurameer“ (2014) und „Jurassic Harz“ (2017) bis zu „Die Wüste soll leben“ (2019). Sie fanden in Hallen des Rebenparks – „ideal, aber auf Dauer nicht finanzierbar“ – in der städtischen Galerie-Halle 267 – nun der Kunst vorbehalten – oder im mäßig geeigneten Rittersaal der Burg Dankwarderode statt. Zwischenzeitlich gab es auch Ideen für einen gemeinsam mit der TU genutzten Neubau hinter dem Museum. Er hoffe, dass sein Nachfolger Mike Reich eine Lösung für dieses Problem finden könne, so Joger.
In der vergangenen Woche ist Joger, der am 21. Januar 67 wird, in Corona-bedingt kleiner Runde in den Ruhestand verabschiedet worden. Künftig will er ehrenamtlich in dem Haus mitarbeiten, das er 18 Jahre führte. Auch am Zoologischen Institut der TU wird er weiter lehren. Und die Faszination Afrika hat ihn nicht losgelassen: Er plane neue Forschungsprojekte in Niger und Marokko, skizziert Joger das, was man so Ruhestand nennt.
Dieser Artikel ist zuerst erschienen am 13.12.2021 und erreichbar unter: https://www.braunschweiger-zeitung.de/kultur/article234079639/Naturhistorisches-Museum-Braunschweig-Ulrich-Jogers-Bilanz.html (Bezahl-Artikel)