Offizielle Verabschiedung von Orchesterdirektor Martin Weller
Zur offiziellen Verabschiedung vom Braunschweiger Orchesterdirektor Martin Weller gab es Musik, Reden und ganz viel Wertschätzung.
Von solch einem Abschied in den Ruhestand kann der Mensch nur träumen. Martin Weller (68) durfte gleich zweimal in einer Woge der Wertschätzung schwelgen. Das Staatstheater ehrte seinen scheidenden Orchesterdirektor im Rahmen des 6. Sinfoniekonzertes – und das gab es wie üblich im Doppelpack am Sonntagvormittag und am Montagabend.
Dieser Artikel ist zuerst erschienen am 28.2.2023
Zwischen von ihm ausgewählter Musik von Mendelssohn-Bartholdy, Arnold Schönberg und Franz Liszt nutzten mehrere Festredner an den beiden Tagen ausgiebig die Gelegenheit, Wellers Wirken zu würdigen. Dabei schälte sich ein umtriebiger Charakter heraus, der nicht nur als Solotrompeter, sondern vor allem auch als Organisator, Kommunikator und Initiator die Musikgeschichte der Stadt mitgeschrieben hat.
„Mit ihm wurde es nie langweilig“
„Dank für seine unermüdliche Energie. Er war ein exzellenter Imageträger“, betonte etwa Generalintendantin Dagmar Schlingmann. Das sei schon außergewöhnlich: In seinen 40 Jahren am Braunschweiger Staatstheater habe Weller sieben Intendanten und sechs Generalmusikdirektoren erlebt. Ihr sei schon vor ihrem Amtsantritt zugetragen worden, dass er ein streitbarer Mensch sei. „Doch ich habe ihn vor allem als konstruktiven Gesprächspartner erlebt.“ Mit ihm sei es nie langweilig geworden.
Falko Mohrs, Niedersachsens noch recht neuer Minister für Wissenschaft und Kultur, war zu Ohren gekommen, dass Wellers Spielplanvorstellungen spektakulär gewesen seien: Parforceritte durch die Musikgeschichte. Er habe Spuren hinterlassen als Anwalt des Orchesters in Stadt und Region, sagte der Minister.
Spektakulär: Das Helicopter-Konzert in Braunschweig
Braunschweigs Kulturdezernentin Anja Hesse machte klar, welch verwegene Ideen Weller in die Stadt hinein getragen hat. Sie erinnerte an den 17. Juni 2007, als Braunschweig weit über seine Grenzen mit einem Konzert der Superlative und Musikern in Hubschraubern von sich reden machte. „Weller war es, der im Zuge der Bewerbung Braunschweigs zur Stadt der Wissenschaft das Helicopter-Streichquartett von Karlheinz Stockhausen auf dem Gelände am Forschungsflughafen in Braunschweig initiiert hat.“ Ein spektakuläres Ereignis.
In die Bewerbung zur Kulturhauptstadt war Wellers Vision zum Bau eines Festspielhauses für (Neue) Musik eingeflossen – ein Konzertsaal des 21. Jahrhunderts in Viewegs Garten. Eine Idee, die möglicherweise jetzt in Kombination mit einem Neubau für die Städtische Musikschule tatsächlich umgesetzt wird, und so gab es von der Dezernentin für Weller eine Kopie der entsprechenden Seite aus der Bewerbungsschrift.
Konzerte förderten Erinnerungskultur
Weller habe mit den Memorialkonzerten auch beeindruckende und erschütternde Marksteine der Erinnerungsarbeit geschaffen hat. Das erste im Jahr 2008 trug den Titel „Zerstörtes Leben“ und fand unter der Eisenbahnunterführung der B1 statt. Gedacht als Benefizkonzert für die finanzielle Unterstützung des Neubaus der Synagoge in Braunschweig, sei es gleichzeitig ein Aufsehen erregendes Konzert gewesen, mit dem an die Reichspogromnacht erinnert worden sei, die sich im Jahr 2008 zum 70. Mal jährte und die auch in Braunschweig zur Zerstörung der Synagoge geführt hatte. „Eine gespenstische Atmosphäre, mit den über die Überführung fahrenden Züge, die Vibrationen auslösten, die gleichzeitig mit der Musik zu hören waren – und dabei zu wissen, dass 70 Jahre früher hier Menschen jüdischen Glaubens, wie in ganz Europa, deportiert und in den Tod transportiert worden waren… Nichts war eindringlicher“, so die Dezernentin.
In diesen drei Memorial-Konzerten mit ihrer konzeptionellen Verschmelzung von Elementen aus Musik, Architektur und Literatur habe Weller außergewöhnliche, ja einmalige Werke der Erinnerungskultur und der Mahnung geschaffen, die als künstlerische und als politische Interventionen nichts an ihrer Aktualität verloren hätten. „Wir haben Ihnen, Ihrem Geschick, Ihrer Intelligenz und Ihrer Kreativität Marksteine zu verdanken, die in die Geschichte dieser Stadt eingeschrieben sein werden. Man wird sich dieser Konzerte immer erinnern.“
Weller wird weiter im Scharoun-Theater wirken
Die große Festrede hielt Tobias Henkel, der Wellers Wirken jahrzehntelang vor allem als Direktor der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz begleitet und gefördert hatte. Heute ist Henkel Direktor der Evangelischen Stiftung Neuerkerode und immer noch gern im inspirierenden Austausch mit Weller. Er schätze ihn als kenntnisreichen Vermittler, belesen und mit viel eigener Erfahrung ausgestattet.
Wie gut, dass Weller sich nicht komplett zurückziehe, sondern in der Region unter anderem als künstlerischer Leiter der Konzertreihe am Scharoun-Theater in Wolfsburg weiterhin tätig sein werde. Statt bislang 60 Einführungen und Vorträge im Jahr werde er aber sicher noch mindestens 30 halten. Er erlaube sich schon jetzt die Vermutung, dass die öffentlichen Auftritte nun aber an Länge und Inhalt zunehmen würden, sagte Henkel. „Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen dabei geht: Wenn Martin Weller vorträgt, dann wächst mein Wissen zusammen, dann lerne ich Neues hinzu und verbinde Bekanntes, auf dass mir mitunter späte Lichter aufgehen.“ Es seien Brückenschläge zwischen den Disziplinen, die Verbindung vorhandener Erkenntnisse und die Lust am Flanieren durch Kunstgeschichte, Philosophie, Theologie und mehr, die die Schar der Zuhörer Wellerscher Erklärungen stetig wachsen lasse.
Weller wahrte die künstlerische Unabhängigkeit
Weller habe seine Funktion gerade auch als Sachwalter der Interessen des Orchesters als Teil einer ausdifferenzierten Kulturlandschaft verstanden. „Dabei war es nicht dienlich, den anderen Akteuren dieses Systems zu nahe zu sein“, so Henkel. Obwohl sich in vielen Beziehungen eine persönliche Sympathie entwickelt habe, habe Weller es vermieden, sich als Orchesterdirektor zu dienlich oder gar anbiedernd zu verhalten. „Das hat mancher nicht verstanden, möglicherweise sogar übel genommen.“ Für Weller aber sei es die Garantie künstlerischer Unabhängigkeit gewesen.
„Man kann mir sicher nachsagen, dass Tatendrang zu meinen Eigenschaften zählt“, hatte Weller im großen Adieu-Interview mit unserem Kulturredakteur Andreas Berger gesagt. Die heute so angesagte Work-Life-Balance habe er nie gekannt, „ich durfte immer das tun, wofür ich brannte, und dafür bin ich sehr dankbar.“ Es scheint gewiss: Weller wird auch im Ruhestand keine Ruhe geben. Für die Stadt wird es nicht zum Nachteil sein.
Dieser Bezahl-Artikel ist zuerst erschienen am 28.2.2023 und erreichbar unter: https://www.braunschweiger-zeitung.de/braunschweig/article237777421/Dieser-Mann-hat-Braunschweiger-Musikgeschichte-geschrieben.html