Ohne Druck kreativ Luft holen können
Stipendiaten der Braunschweigischen Stiftung stellen im Allgemeinen Konsumverein in Braunschweig aus.
Es ist vollbracht! Die Ideen der Stipendiaten haben Formen, Farben, Format angenommen und werden nun in den Räumen des Allgemeinen Konsumvereins in Braunschweig gezeigt. Die mit jeweils 4000 Euro dotierten Vorhabenstipendien „Idee“ der Braunschweigischen Stiftung waren im April des vergangenen Jahres an die Künstler Thomas Bartels und Michael Nitsche vergeben worden. Das ebenfalls mit 4000 Euro dotierte Werkstipendium „Abdruck“ ging an die Künstlerin Hanna Nitsch. Diese Kooperation der Stiftung mit der Druckwerkstatt in der Städtischen Galerie Wolfsburg ermöglichte der Künstlerin die Entwicklung neuer, experimenteller Grafikarbeiten unter professionaler Anleitung.
Galeriebesuch, ein paar Tage vor Ausstellungseröffnung am Donnerstag, 5. Februar. Thomas Bartels (54) kauert auf dem Boden, werkelt an Kabeln und Steuerungsgeräten. „Bleiben Sie ruhig sitzen, ich will nicht stören“, sage ich. Aber Bartels lässt sich ganz gern aus der unbequemen Position holen, „habe lange genug da unten gehockt“, sagt er und rappelt sich lächelnd auf. Das „Idee“-Stipendium kam für ihn genau zur richtigen Zeit. 2011 hat er seinen letzten analogen Film gemacht. „Tja“, sagt er, „was soll man machen als Künstler, dem das Arbeitsmaterial genommen wird.“ So hat ihm das Stipendium Zeit gegeben, nachzudenken, zu sichten, sich zu orientieren.
Das ging damit los, dass er in seinem Atelier erst mal geguckt hat, was eigentlich alles so liegen geblieben ist über die Jahre, was er nicht gemacht hat, weil da erst mal die nächste Ausstellung vorbereitet werden wollte. Da war zum Beispiel eine Schublade, randvoll mit gezeichneten Wegbeschreibungen aus aller Welt. Man muss sich das so vorstellen: Bartels fragte zum Beispiel einen Passanten in Amsterdam nach dem Weg und auf einem Zettel eines Bestellblocks irgendeiner Kneipe zeichnete der Fremde den Weg auf.
Dabei hat Bartels übrigens festgestellt, dass er in den letzten Jahren oft in Amsterdam und Paris gewesen ist. Mit den Zettelchen dieser Städte kann er nun eigene, kleine Stadtpläne legen, die zwar nicht die Exaktheit von Falks Faltplanmonstern haben, dafür aber den Charme des individuellen Gekrakels von Bewohnern einer Stadt. Von David Hockney kennt man ja diese Polaroid-Fotocollagen, die wie zersplitterte Spiegelbilder wirken. Die eine neue Sicht auf die Realität eröffnen. An Sichtung, Innehalten war auch Bartels gelegen, an einer Zäsur im Künstlerleben. So will er seinen Tisch mit dem Inhalt dieser Schublade auch nicht als Rauminstallation fehlinterpretiert wissen, sondern eher als Dokumentation des Ist-Zustands.
Zudem hat er eine Idee, die bislang immer an technischen Hürden scheiterte, unter anderem mit Hilfe eines Ingenieurs realisiert. Und er hatte eben endlich mal die Zeit dafür. Es ist eine Apparatur aus vier Fotovergrößerungsgeräten. 24 Einzelbilder werden auf einen Punkt projiziert, „das gibt dann wieder einen Film in Endlosschleife“. Damit stelle er quasi Eadweard Muybridge auf den Kopf! In seinen Reihenfotografien und Serienaufnahmen hat sich der britische Fotograf und Pionier der Fototechnik mit Studien des menschlichen und tierischen Bewegungsablaufs befasst.
Dass das Band zwischen Mensch und Natur gekappt ist, treibt den Künstler Michael Nitsche (53) um. Traditionen, Riten gehen flöten, die Menschen haben die Wurzeln zur Vergangenheit gekappt, leben ein bisschen besinnungslos im Schleudergang einer sinnentleerten, globalen Hochgeschwindigkeitswelt. Dagegen setzt der Künstler seine mächtigen Figuren. „Meine Figuren behaupten sich in ihrer archaischen Wucht gegen eine zunehmende Banalisierung des Alltags und Sinnentleerung des menschlichen Lebens.“ Diese Verbindung zwischen Mensch und Natur will er in seinen Figuren wiederaufleben lassen, den Respekt füreinander, den Gedanken, dass alles beseelt ist. Weil „ein Morgen nur aus Erinnerungen an das gestern“ entstehen kann, bezieht er sich in seinen Werken auch auf alte Volksmärchen, Sagen und Schöpfungsmythen sogenannter primitiver und schamanischer Kulturen.
Jede Figur bildet auch einen Lebenszyklus ab, jede Figur verneigt sich gewissermaßen vor einer versunkenen Welt, in der alles beseelt war, gleichwertig.
Ganz schön schön-schräge, unglaublich kleinteilige Wuchtbrummen sind seine Figuren, die arg zart Besaitete schon mal das Gruseln lehren könnten. Skurril, abseitig, absonderlich, archaisch, kraftvoll, urwüchsig sind Attribute, die Nitsches Wunderkammer-Kabinett ganz gut beschreiben. Aras und Rehkitze sind eingebunden in seine Figuren, viel Paraffin überzieht ihre Leiber, die ausstaffiert sind mit Perlen, Zähnen, Muscheln, Stoff, Fell. Im Fluss arbeiten, investieren zu können, die Arbeit auch mal ruhen und reflektieren zu können – „das war super“.
Sie war sich sicher, dass dieser geschenkte Einblick in die Arbeit der Druckwerkstatt höchst reizvoll sein würde. Dass sie mit Druckgrafik weitermachen würde, war vorab nicht klar. Macht sie aber. Ein bis zwei Tage die Woche war Hanna Nitsch (40) in Wolfsburg, die Techniken Aquatinta und Strichätzung kristallisierten sich als ihre Favoriten heraus. Die Kombination dieser beiden Techniken erzeugt diesen Comic-Effekt, den man auf den ausgestellten Arbeiten wunderbar betrachten kann. Identifikationsbildung ist das Thema der Künstlerin, das sie bisher in Tuschearbeiten, Film, Foto und Keramik reflektiert hat. In ihren neusten druckgrafischen Arbeiten geht es ihr auch um Erzählstrukturen.
Mit gleichen Bildern beziehungsweise Druckplatten lassen sich in verschiedenen Variationen ganz andere Geschichten erzählen. Je nachdem, in welche Reihenfolge man die Blätter bringt, erzeugen sie ein ganz anderes Kopfkino im Oberstübchen des Betrachters. Ein Messer kombiniert mit einer am Boden liegenden Person löst natürlich ganz andere Assoziationen aus als ein Messer an einem Rosenstrauch. So ist Hanna Nitsch auch eine Geschichtenjongleurin. Fortsetzung folgt. Demnächst mit Fingerabdrücken und Röntgenbildern. Man darf gespannt sein, was die über Identität preisgeben.
Kuratiert wurde die Ausstellung von Dr. Anne Mueller von der Haegen. Sie hat die Künstler während der Arbeitsphasen intensiv begleitet. Bemerkenswert an diesem Stipendium, das 2014 erstmals vergeben wurde, ist, dass es keine Altersbeschränkung gibt. Es sollten sogar eher Künstler ermuntert werden, sich zu bewerben, die schon eine gewisse Wegstrecke künstlerischen Schaffens hinter sich haben, die sich profiliert haben, die Geduld und Durchhaltevermögen gezeigt haben, auch wenn der Weg des Kunstschaffens mitunter steinig und entbehrungsreich war.
Termin:
Vernissage ist am Donnerstag, 5. Februar, 20 Uhr, im Allgemeinen Konsumverein, Hinter Liebfrauen 2. Zu sehen bis Sonntag, 8. Februar, jeweils von 14 bis 18 Uhr.
Info:
Das Stipendium wird in diesem Jahr zum zweiten Mal ausgeschrieben. Professionell arbeitende Künstlerinnen und Künstler, die im Braunschweigischen leben und arbeiten, können sich bewerben. Die Stipendien unterliegen keiner Altersbegrenzung. Im Hinblick auf die vom Ministerium für Wissenschaft und Kultur in einer Studie angemahnte Unterstützung sogenannter „mid-career“ Künstler sollen diese jedoch bevorzugt gefördert werden.
In der Jury waren beim letzten Mal: Lars Eckert, Lehrbeauftragter der HBK Braunschweig, Braunschweigs Kulturdezernentin Dr. Anja Hesse, Prof. Dr. Susanne Pfleger, Direktorin der Städtischen Galerie Wolfsburg, Susanne Schuberth, Fachreferentin der Braunschweigischen Stiftung und der Künstler Prof. Gerd Winner.
Bewerbungs- und Teilnahmebedingungen unter http://www.die-braunschweigische.de/
Kontakt:
Friedemann Schnur, 0531 – 27359-10
oder schnur@die-braunschweigische.de