Plan in Braunschweig: Kein junger Mensch verlässt die Schule ohne Abschluss
Richard-Borek-Stiftung und New Yorker Stiftung. Friedrich Knapp fördern das Projekt „Löwenschlau“. Es bringt Diagnostik und Therapie bei Leseschwäche von Klasse 1 an in die Grundschule.
Es gibt vergleichsweise wenig, worüber in der deutschen Bildungspolitik mal Einigkeit herrscht. Wenn überhaupt etwas, dann ist es der Zusammenhang zwischen einem fehlenden Schulabschluss und dauerhaft gescheiterten Lebensläufen. Auch der Stellenwert der Lesekompetenz ist unbestritten: Wer Texte nicht zu erfassen vermag, hat massive Probleme damit, erfolgreich eine Schule zu absolvieren.
Dieser Artikel ist zuerst erschienen am 30.01.2020 (Bezahl-Artikel)
Und so beginnt dieses Gespräch mit Ursula Hellert und Erika Borek schon gleich mit schlechten Nachrichten: Grob gerechnet jeder 20. verlässt in Deutschland die Schule ohne Abschluss – auch in Braunschweig. Mehr noch: Auf einer bis 8 reichenden Lesekompetenz-Skala schafft bei uns laut Pisa-Studie jeder fünfte Schüler lediglich die Stufen 1 und 2. Rechnet man die Gymnasien heraus, ist es jeder dritte.
Lässt man sich die Stufen 1 und 2 der Lesekompetenz-Skala einmal übersetzen, so bedeuten sie: Von diesen Schülern können lediglich einfache, kurze Sätze gelesen und aufgenommen werden, Sätze, die lediglich eine einzige Information enthalten. Was darüber hinausgeht, überfordert diese Schüler.
Das ist die Ausgangssituation. Wer komplexere Texte nicht lesen und ihren Sinn nicht erfassen kann, scheitert beim Bildungserwerb, weiß Ursula Hellert. Und Erika Borek macht klar, dass die Angriffspunkte also früh liegen müssen, in der Grundschule, gleich in Klasse 1, gleich, nachdem da alle Buchstaben drangekommen sind.
Warum sitzen wir hier? Es gilt, über eine bemerkenswerte Initiative zu berichten, eine, für die die Richard Borek Stiftung und die New Yorker Stiftung Friedrich Knapp in den nächsten fünf Jahren gemeinsam wohl rund eine Million Euro in die Hand nehmen wollen.
„Die Vision lautet: In Braunschweig erreicht künftig jeder junge Mensch einen Schulabschluss“, sagt Erika Borek. Mit Ursula Hellert, der früheren Gesamtleiterin der CJD-Schulen, jetzt im Ruhestand, arbeitet sie schon sehr lange zusammen. Diese wiederum kooperiert eng mit Friedrich Knapp (New Yorker). Jetzt kann sie ein Konzept umsetzen, das ihr schon lange vorschwebt und bei dem Fachleute mit der Zunge schnalzen: Von Klasse 1 Grundschule an gibt es Diagnostik und Therapie in Sachen Leseschwäche, aber auch beim Rechnen und Schreiben.
Man muss sich das so vorstellen: Die Schwäche ist ja nur das Symptom, nicht die Ursache. Zu den Ursachen gehört es zum Beispiel, wenn Kinder sich nicht im Raum orientieren, Bilder nicht in Teile zerlegen und keine Unterschiede in Gestalten erkennen können.
Gleiches gilt für die Fähigkeit, Reihenfolgen zu erkennen oder Gehörtes in einzelne Teile zu zerlegen. Am Ende von Ursache und Wirkung, nur ein Beispiel, wird es dann schwierig, beim Lesen Wortzwischenräume zu erkennen.
„Löwenschlau“ heißt das neue Projekt – und wie geht es? Bis Ende März können sich zwei Braunschweiger Grundschulen mit allen 1. Klassen bei Ursula Hellert und Andrea Naumann von der Borek Stiftung melden. Die Schule kooperiert, auch in Abstimmung mit Stadt und Schulbehörde, Lehrer werden eingebunden, Zustimmung der Eltern ist notwendig. Kinder, die gemeinsam in den Blick genommen werden, erhalten Förderung bis hin zu individuellen Einzelfallhilfen.
Hierfür arbeitet das Projekt „Löwenschlau“ mit Fachleuten zusammen, beschafft notwendige Materialien, kooperiert mit Institutionen, stellt zwei hauptamtliche Pädagogen als Koordinatoren ein, sucht jetzt auch ehrenamtliche Paten und bildet sie aus. Wichtig ist die Evaluation (Auswertung und Überprüfung) – angestrebt wird hier eine Zusammenarbeit mit der TU.
Projektleiterin Ursula Hellert orientiert sich bei Diagnostik und Therapie am Konzept der Wiener Psychologin und Psychotherapeutin Brigitte Sindelar. Grundschulen in dieser speziellen Weise konsequent von Klasse 1 bis 4 zu begleiten, wäre wohl Neuland auch weit über Braunschweig hinaus. „Es kann ein Modell sein. Am Ende wollen wir sehen und messen, wie groß der Erfolg ist“, sagt sie.
Kinder stark zu machen, damit sie besser durch die Schule kommen, Schwierigkeiten überwinden und später den Abschluss schaffen – für Erika Borek ein Herzensanliegen. „Das ist kein Experiment, nicht noch ein Versuch von vielen“, sagt sie, „das ist konkrete Hilfe“.
Kontakt und Informationen:
Tel. (05 31) 2 05 17 17
E-Mail: info@loewenschlau.de
Dieser Artikel ist zuerst erschienen am 30.01.2020 und erreichbar unter: https://www.braunschweiger-zeitung.de/braunschweig/article228291281/Plan-in-Braunschweig-Kein-junger-Mensch-ohne-Schulabschluss.html (Bezahl-Artikel)