Prägend für den demokratischen Neuanfang
Die Braunschweigische Stiftung widmet in Kooperation mit dem Stadtarchiv Otto Bennemann den dritten Band ihrer Reihe Braunschweigischer Biographien.
Die Lebensgeschichte von Otto Bennemann bietet wahrlich genug Stoff für eine Biogaphie. Autor Dr. Horst-Rüdiger Jarck, bis 2006 Leiter des Niedersächsischen Staatsarchivs in Wolfenbüttel, ist dabei eine lesenswerte, kurzweilige und spannende Aufarbeitung des Lebens eines der bedeutendsten sozialdemokratischen Politiker der Nachkriegszeit in Braunschweig sowie im Land gelungen. „Otto Bennemann (1903 – 2003) – Von Milieu, Widerstand und politischer Verantwortung“ ist der dritte Band den die Braunschweigische Stiftung in ihrer Reihe Braunschweigischer Biographien herausgibt.
Für die Braunschweigische Stiftung ist die Reihe ein Baustein im Rahmen ihrer Zweckerfüllung, Persönlichkeiten die für das Braunschweiger Land und sein Identitätsverständnis prägend waren im Rahmen der stiftungseigenen Biographien-Reihe erlebbar zu machen. Zuvor waren Carl Lauenstein und Heinrich Jasper gewürdigt worden. Jarck war ebenfalls an der der Jasper-Biographie beteiligt.
Otto Bennemann (1903 bis 2003) gehört mit Ernst Böhme, Alfred Kubel, Wilhelm Bracke und Heinrich Jasper zu den herausragenden Akteuren der braunschweigischen Sozialdemokratie. In der Nachkriegszeit haben Bennemann, Böhme und Kubel den demokratischen Neuanfang der Stadt sowie dann später des Landes Niedersachsen entscheidend mitgestaltet. Bennemann folgte Böhme 1948 als Braunschweiger Oberbürgermeister im Amt. Nach einer zweijährigen Pause übernahm er 1954 nochmals die Verantwortung für weitere fünf Jahre. Es war eine Zeit des Aufbaus, sowohl des demokratischen Gemeinwesens als auch der kriegszerstörten Stadt.
Einer Stadt, in der er 1903 als drittes von fünf Kindern einer Arbeiterfamilie geboren wurde. Im gewerkschaftlich orientierten Elternhaus erfuhr er die erste politische Prägung, der er Zeit seines Lebens treu bleiben sollte. Jarck beschreibt – basierend auf umfangreichem Quellenmaterial – auch für Nichthistoriker gut verständlich – die Entwicklung des aufgeweckten, intelligenten und nach Informationen hungrigen Knaben. Die siebenköpfige Familie lebte in einer engen Zweizimmerwohnung im westlichen Ringgebiet. „Festlichkeiten der Arbeiterorganisation im Braunschweiger Konzerthaus, Gesangsvereine, Turnvereine, Kinderbelustigungen zählte Otto Bennemann später als prägende Kindheitserlebnisse auf und berichtete von der ersten bewussten politischen Erinnerung, der Reichstagswahl 1912, der erfolgreichsten Wahl für die Sozialdemokratie. Er hatte irgendwie Stolz verspürt auf die Wahl des Braunschweiger Kandidaten Wilhelm Blos“, schreibt Jarck.
Für Bennemann war das Erleben des Zusammenhalts und der Solidarität prägend für seine politische und persönliche Sozialisation. Mit 13 Jahre begann er eine Lehre als Bürokaufmann und bildete sich ständig fort. Darüber hinaus blieb aber immer noch Zeit für politische Diskussionen, die Arbeit in der Jugendgruppe des Zentralverbandes der Angestellten sowie der Jungsozialisten und nicht zuletzt auch im Internationalen Sozialistischen Kampfbund, der in seinem späteren Leben eine wichtige Rolle spielen sollte.
In der Zeit von 1916 bis 1923 war Braunschweig ein wirtschaftlich und politisch heißes Pflaster. Der junge Bennemann nahm an den Auseinandersetzungen aktiv teil. Die Biographie beschreibt die poltischen Entwicklungen im Braunschweiger Land ausführlich im Kontext zur Prägung der Persönlichkeit Otto Bennemanns.
Sein herausragendes Engagement im Internationalen Sozialistischen Kampfbund (ISK), zu dessen Mitgliedern auch Alfred Kubel gehörte, ließ ihn schon früh Kontakte über das Braunschweiger Land hinaus schließen. Im ISK lernte er auch Franziska Stellmacher aus Hannover kennen, seine spätere Frau.
Schon früh wurde klar, dass ihn seine politischen Überzeugungen in ernste Konflikte mit den Nationalsozialisten bringen würden. Nachdem sicher war, dass ihr Widerstand lebensgefährlich wurde, entschloss sich Bennemann zur Emigration. Jarck beschreibt die abenteuerliche Flucht über die Schweiz und Frankreich nach England, immer mit Hilfe von ISK-Mitgliedern. Eine starke Gruppe war in Paris aktiv. Dort erlebte Bennemann den Besuch von Willi Brandt – der allerdings unter seinem Tarnnamen Herbert Frahm – aus Norwegen kam, ein Land, das auch Bennemann als Zuflucht in die engere Wahl gezogen hatte. In England kam er bei dem Ehepaar Lawrence unter, das er zwar nicht kannte, das aber Solidarität lebte und den Emigranten aufnahm. Daraus entwickelte sich dann eine lebenslange, enge Freundschaft. Das Paar schaffte es auch, mittels eines Arbeitsvisums Franziska Bennemann nach England zu holen.
Mit Kriegsbeginn wurde Bennemann als „feindlicher Ausländer“ interniert und später nach Australien gebracht. Dort kann Jarck bei auf den umfangreichen Briefwechsel des Ehepaares zurückgreifen, den die Otto-Bennemann-Stiftung mit dem Nachlass an das Stadtarchiv übergeben hat. Schon 1942 durfte er nach England zurückkehren und beteiligte sich dort an der Organisation des Widerstands gegen die Nationalsozialisten. Später bezeichnete er die Zeit in England und Australien auf einem Wahlplakat etwas kryptisch als „Sieben Jahre Auslandserfahrung in Industrie und Landwirtschaft“.
Schon kurz nach Kriegsende 1945 kehrte Otto Bennemann in amerikanischer Uniform nach Deutschland zurück. Und begann schnell damit, sich am Wiederaufbau eines unumkehrbaren demokratischen Gemeinwesens in Deutschland zu beteiligen. Dabei kamen ihm seine guten Verbindungen zu Amerikanern – in deren Diensten er ja anfangs noch stand – und später den Engländern als Besatzungsmacht im Braunschweigischen zu Gute.
Auch hier ist das Buch wieder – wie bei der Schilderung der Vorkriegszeit – eine lesenswerte Braunschweigische Geschichte, die 1946 mit Gründung des Landes in eine niedersächsische Geschichte übergeht. Bennemann hatte zwischenzeitlich eine führende Rolle in der SPD übernommen und war 1948 zum Oberbürgermeister gewählt worden. Trotz aller Probleme des Flüchtlingszustroms aus dem Osten Deutschlands, dem Aufbau einer städtischen Infrastruktur und der Versorgung mit Lebensmitteln waren das „Stillen des Hungers nach Kultur“ sowie die Bildung für Bennemann Grundlage für die bewusste Teilhabe der Bürger am politischen Leben.
Mit seinem Wechsel in die niedersächsische Landesregierung als Innenminister in seinen zwei Legislaturperioden verfolgte er mittels einer von ihm angestoßenen Gebietsreform die Stärkung der Gemeinden und Kreise. Otto Bennemann vertrat den Braunschweiger Wahlkreis 3 übrigens durchgehend von 1947 bis 1974. Ein Kapitel ist Franziska Bennemann gewidmet, die nach ihrer Rückkehr wieder gewerkschaftlich und parteipolitisch aktiv war von 1953 bis 1961 für zwei Legislaturperioden für die SPD in den Bundestag gewählt worden.
Wer Jarcks Schilderungen liest, dem wird klar, dass Bennemann ein – heute würde man sagen – Workaholic war, dessen Rat auch in der Bundes-SPD hohen Stellenwert hatte. Sie berief Bennemann, der Mitglied im Parteirat der SPD war, als Mitautor in die Kommission, die 1959 das Godesberger Programm niederschrieb. Damit hatte er einen wesentlichen Anteil am Wandel der SPD in eine Volkspartei.
Ruhestand war für das Ehepaar Bennemann ein Fremdwort. Sein Engagement war bis ins hohe Alter bewundernswert und auch auf Bundesebene gefragt, so war er beispielsweise Mitglied des Seniorenrats der SPD in Bonn.
Otto Bennemann ist Ehrenbürger Braunschweigs und zur Anerkennung für Franziska Bennemann und ihn trägt eine Straße in Braunschweig ihren Nachnamen. Kurz vor seinem 100. Geburtstag starb Otto Bennemann 2003. Über dem Artikel einer früheren Veröffentlichung über ihn stand die treffende Charakterisierung: „Ein Politiker, der eine unbeirrbare Moral besitzt, ohne zu moralisieren‘.
FAKTEN
„Otto Bennemann (1903 – 2003) – Von Milieu, Widerstand und politischer Verantwortung“
(ISBN 978 – 3 – 926701 – 88 – 6)
341 Seiten, zahlreiche Abbildungen
Im örtlichen Buchhandel oder über verlag@braunschweig-medien.de erhältlich.
Weitere Informationen zu den Braunschweigischen Biographien finden Sie unter www.braunschweigische-biographien.de