Preußens König stürzte Carl Wilhelm Ferdinand ins Verderben
Geschichte(n) aus dem Braunschweigischen, Folge 36: Die Eitelkeit Friedrich Wilhelm II. verhinderte den Erfolg im 1. Koalitionskrieg gegen das revolutionäre Frankreich.
In den europäischen Auseinandersetzungen an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert spielte der braunschweigische Herzog Carl Wilhelm Ferdinand eine entscheidende Rolle. Dabei hatte vor allem der 1. Koalitionskrieg (1792-1794) in der Folge der Französischen Revolution welthistorische Bedeutung. Der Herzog erlag später 1806 in Braunschweig seinen Verletzungen, die er sich rund vier Wochen zuvor bei der Schlacht in Auerstedt/Hassenhausen im Kampf gegen die französischen Truppen Napoleons zugezogen hatte.
Die Bedeutung der Französische Revolution für die Entwicklung Europas steht außer Frage. Nachhaltigkeit erreichte sie nicht zuletzt durch die Abwehr des militärischen Angriffs des reaktionären Europas von 1792 an. Dabei steht die „Campagne“ in Frankreich im Zentrum, die der Herzog von Braunschweig als militärischer Befehlshaber angeführt und die durch Johann Wolfgang von Goethes Kriegsbeschreibungen zu literarischem Weltruhm gelangte.
Fehlinformationen aufgesessen
Ausgangspunkt der kriegerischen Auseinandersetzung war der gescheiterte Fluchtversuch der französischen Königsfamilie vom Juni 1791. Dazu kam die Fehleinschätzung der innenpolitischen Lage und der militärischen Stärke Frankreichs, da man in Berlin und Wien aufgrund des Scheiterns der klassischen Geheimdiplomatie lediglich auf die zweckorientierten Fehlinformationen der französischen Emigranten angewiesen war.
Die Pillnitzer Deklaration vom 27. August 1791, in der Österreichs Kaiser Leopold II. und Preußens König Friedrich Wilhelm II. dem französischen Monarchen Unterstützung zusicherten, war eine eindeutige Kriegsdrohung gegen das revolutionäre Frankreich. Sie beförderte die Radikalisierung der Revolutionäre. Am 20. April 1792 erklärte Frankreich schließlich Österreich den Krieg, wodurch Preußen zum Beistand verpflichtet war. Neben 100.000 Österreichern marschierten 42.000 Preußen, kleinere Teile aus Braunschweig und Hessen-Kassel sowie Emigranten in den 1. Koalitionskrieg.
Entscheidende Niederlage
Entscheidend für die Niederlage des preußisch-österreichischen Heeres unter Führung von Carl Wilhelm Ferdinand war der 20. September 1792. Kein einziger Zeuge konnte vorhersagen, dass die Kanonade von Valmy aus historischer Sicht zu einem sehr großen Sieg Frankreichs und der Revolution werden sollte.
Die Tatsache, dass die französische Armee sich unter Beschuss als standhaft erwiesen hatte, war einer der Gründe, die den Herzog von Braunschweig dazu bewogen hatten, auf die Weiterverfolgung der Operationsziele – die Einnahme von Paris und die Wiedereinsetzung Ludwigs XVI. – zu verzichten. Zehn Tage später traten seine Truppen den Rückzug nach Deutschland an, wo sie am 23. Oktober wieder die Ausgangsbasis erreichten, mit all seiner Artillerie, seinem gesamten Tross und allen Fahnen, ohne dass die französische Armee irgendetwas unternommen hätte, um den Marsch zu beeinträchtigen.
Zu Recht hatte Carl Wilhelm Ferdinand von Anfang an vor der Stärke der französischen Landesverteidigung gewarnt – ohne Gehör zu finden. Er setzte sich mit seinen Vorstellungen letztlich nicht gegen den preußischen König durch. Der revolutionäre Patriotismus in Frankreich war erstarkt. Damit war das Ende der konstitutionellen Monarchie gekommen, und es begann jene radikale Phase der französischen Revolution, deren nächster trauriger Höhepunkt die Septembermassaker und schließlich die Hinrichtung Ludwigs XVI. wurden.
Unsinniger Befehl
Es hätte anders kommen können, denn die Truppen von Carl Wilhelm Ferdinand waren längst an den Franzosen vorbei und hätten ungehindert nach Paris marschieren können. Tatsächlich war es ein unsinniger Befehl des preußischen Königs, der Carl Wilhelm Ferdinand zur Umkehr zwang. Sein Oberbefehlshaber, der preußische König Friedrich Wilhelm II., wollte partout auf dem „Spaziergang nach Paris“ eine siegreiche Schlacht erleben wollte. Diese folgenschwere Tatsache wird in der Geschichtsschreibung meist unterschlagen. Allerdings unterliefen Carl Wilhelm Ferdinand in der Folge auch strategische Fehler. Er versäumte es, den Sturm auf die französischen Stellungen siegbringend durch die Artillerie unterstützen zu lassen.
Der Ausgang dieses Ereignisses, das noch nicht einmal eine Schlacht, sondern nur eine Kanonade war, ist bekannt. Noch bis zum 30. September lagerten beide Armeen in ihren Stellungen, ehe Herzog Carl Wilhelm Ferdinand nach Geheimverhandlungen mit dem französischen General Dumourieuz den Rückzug des Koalitionsheeres befahl.
Unverständliches Zögern
In der Forschung hat man vielfach darüber gerätselt, warum das Koalitionsheer von Carl Wilhelm Ferdinand so zögerlich geführt wurde. Einerseits wird über die Hoffnung Carl Wilhelm Ferdinands auf den Thron von Frankreich, zu der ein zerstörtes Paris eine schlechte Voraussetzung gewesen wäre, spekuliert, andererseits über eine horrende Bestechung des Herzogs mit Teilen des französischen Kronschatzes. In Bezug auf den durch die Franzosen unbehinderten Rückzug ist eine freimaurerische Solidarität zwischen Dumourieuz und Carl Wilhelm Ferdinand Thema. So unverständlich also erscheint das Scheitern dieses Feldzuges, an dessen Ende keine Koalitionstruppen mehr in Frankreich standen. Dagegen drangen nun französische Truppen auf Reichsgebiet und besetzten Speyer, Worms und Mainz.
Zum unerreichten Zeitzeugen wurde Goethe mit der Schilderung der Atmosphäre während der „Campagne“, die er als Kriegsberichterstatter begleitete. Keiner hat beschrieb die Furcht besser, die sich nach und nach der Eindringlinge bemächtigte, als sie feststellen mussten, dass die französischen Volksgruppen weit davon entfernt waren, sich ihnen anzuschließen: „Die preußischen Soldaten leben in der ständigen Angst, von den Einwohnern vergiftet zu werden und betrachten alles, was man ihnen zu essen gibt, mit Misstrauen, selbst das Brot, das sie selbst verfertigt haben.“ Goethe kam häufiger auf die Mängel der Lebensmittelversorgung der preußischen Armee zu sprechen, die die ausgehungerten Soldaten zum Plündern trieb.
Bitterer Rücktritt
Die Koordination zwischen Preußen und Österreich fehlte auch in der Folge. Bei Carl Wilhelm Ferdinand wuchs die Erkenntnis, dass der Feldzug gegen das revolutionäre Frankreich ohne Erfolg bleiben müsse. Darüber hinaus griff Friedrich Wilhelm II. immer öfter behindernd in das Kommando des Herzogs von Braunschweig ein, der schließlich am 16. Dezember 1793 und endgültig am 6. Januar 1794 das Kommando niederlegte und den König von Preußen um seine Entlassung bat. Mit Schreiben vom 12. Januar 1794 bewilligte Friedrich Wilhelm II. den Rücktritt.
Für Carl Wilhelm Ferdinand war es ein schwerer Entschluss gewesen, wie aus der Schilderung von Oberst Massenbach am Tage des Rücktritts deutlich wird: „Den Herzog fand ich niedergeschlagen und traurig. Ich las in seiner Seele: Es schmerzte ihn, die Armee zu verlassen, auf eine unsäglich Art. ‚So muss ich endigen!‘ sagte er. ‚Das hat man für alle Mühe und Arbeit!‘ Der Herzog wurde ungemein bitter; und doch war er es selbst, der seine Abrufung von der Armee gefordert hatte.“
Prof. Dr. h.c. Gerd Biegel ist Gründungsdirektor des Instituts für Braunschweigische Regionalgeschichte und Geschichtsvermittlung an der TU Braunschweig