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So kämpft Nishtman in Braunschweig für die Frauen im Iran

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Jede Woche organisiert die 28-jährige Nishtman Abdollahi in Braunschweig Demonstrationen gegen das Mullah-Regime. Beim Leserforum ist sie dabei.

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 06.11.2022 (Bezahl-Artikel)

„Nishtman“ spricht man mit „sch“. Das Wort heißt Heimatland. Auf Kurdisch. Die 28-Jährige stammt aus dem kurdisch geprägten Nordwesten des Iran. Sie lebt in Braunschweig, studiert in Hildesheim, demonstriert, traut sich was, ist generell eine Frau, für die das Wort „Aktivistin“ hätte erfunden werden können.

Künstlerin ist sie – wobei sie sagt, dass sie auch in dieser Rolle in diesen Monaten ganz auf das eine Ziel fokussiert ist: den Kampf gegen die Unterdrückung der Frauen im Iran und gegen die Islamische Republik zu unterstützen. Insofern zögert sie nach dem Interview keine Sekunde, als es um die Frage nach dem passenden Fotomotiv geht. Sie zeigt ein Bild, das sie auf der Flucht gefertigt hat, ohne echte Ausrüstung, mit Sonnencreme, Make-up, Mascara und einer Lidschattenbürste. „Less than Half“ (Weniger als die Hälfte) nannte sie das schmerzvolle Bild. Ketten als Haare, Fragezeichen auf der Stirn, der zugenähte Mund und das überschminkte blaue Auge stehen für die Unterdrückung durch das patriarchalische System.

Frau Abdollahi, Mitte September starb die junge kurdische Iranerin Mahsa Amini, weil sie ihr Kopftuch nicht vorschriftsgemäß getragen haben soll. Seitdem ist der Iran im Aufruhr, das Regime der Mullahs scheint tatsächlich zu wanken. Sie selbst sind im kurdisch geprägten Nordwesten des Landes aufgewachsen. Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf Kindheit und Jugend zurück?

Ich bin in der Stadt Mahabad aufgewachsen. Die ist nicht besonders groß, spielt jetzt aber eine besondere Rolle bei den Protesten – ich bin stolz auf meine Stadt! Damals jedoch… Ich kann es nicht anders sagen: Es war schwierig, als Mädchen dort zu leben. Vor allem eine Art indirekte Kontrolle ist mir in Erinnerung. Die Sitten waren streng. Die Menschen waren so traditionell eingestellt, auch wenn sie gar nicht direkt von der Sittenpolizei kontrolliert wurden. Mittlerweile mag sich gesellschaftlich und in den Familien manches geändert haben – obwohl die staatliche Unterstützung für mehr Bildung, die dazu nötig wäre, vom islamischen Regime niemals kam und kommen wird. Mir fällt ein, dass ich als neunjähriges Mädchen einmal ohne Kopftuch zum Englischunterricht erschienen bin. Und in der nächsten Stunde – da trug ich es wieder – haben sie mir das Kopftuch schrecklich fest zugebunden. Das war nicht lustig. Wie kann man mit einem Kind so umgehen? Später dann gab es Probleme, wenn ich wie die Jungs in T-Shirt und Jeans auf der Straße unterwegs sein wollte. Immer wieder hieß es: Vergiss nicht, du bist ein Mädchen!

Wie ist Ihre Familie mit Ihren „westlichen“ Tendenzen und dem darauf folgenden Stress umgegangen?

Meine Familie war eigentlich auch traditionell eingestellt. Mein Vater arbeitet in der Stadtverwaltung und ist durchaus religiös. Er selbst war meiner älteren Schwester und mir gegenüber persönlich eher tolerant, doch natürlich wurde in der kleinen Stadt dann auch auf ihn Druck ausgeübt – zum Beispiel wegen des Fahrradfahrens, auch so ein Thema… Das war schwierig für meine Eltern, weil ich so einen sehr starken Freiheitsdrang hatte. Und habe! Meine Mutter sagt immer, ich sei sehr… sagt man dickköpfig?

Genau das sagt man.

Gut. Dann war ich also sehr dickköpfig. Ich wollte unbedingt das haben, was ich bis heute ein „normales Leben“ nenne. Als Jugendliche hatte ich eine kurze fromme Phase, doch dann fing ich an, mir und anderen Fragen zur Religion zu stellen. Mit Mitschülerinnen gab es viele kritische Diskussionen über die Islamische Republik, auch einmal mit einer regierungstreuen Geschichtslehrerin. Und eine Woche später kam jemand aus dem Ministerium und drohte ganz offen: Haltet eure Klappe, sonst gehen all eure Familien ins Gefängnis! Wir waren Teenager und unglaublich schockiert. Natürlich haben wir untereinander weiter gesprochen. Gedanken lassen sich nicht so einfach aufhalten. Doch von da an war es nicht mehr so weit bis zu der Idee, anderswo leben zu wollen. Das verstärkte sich dann vier, fünf Jahre später. Ich hatte zu studieren begonnen – Buchhaltung, sehr fleißig übrigens, obwohl ich es nicht mochte, ich war immer eine gute Schülerin – und tauschte mit anderen Studentinnen in der Bibliothek wieder religionskritische Gedanken aus. Auch diesmal gab es eine Denunziantin und sofort die Drohung, nicht mehr in die Bibliothek kommen zu dürfen.

Und dann haben Sie sich entschieden, den Iran zu verlassen?

Ja, kurz darauf. Irgendwann hatte ich plötzlich das Gefühl: Es geht nicht mehr. Mein Bedürfnis, so zu leben, wie ich möchte, war zu groß. Ich konnte nicht ich selbst sein, hatte keine Freiheit zu reden. Ein Bekannter sagte mir, ich solle bleiben, nach Teheran gehen und Geld verdienen. Abgesehen von der schwindelerregenden Inflation, die dieses Geld sowieso sehr schnell entwertet hätte, dachte ich mir: Es geht nicht nur ums Geld. Welche Zukunft habe ich? Was nützt mir ein Auto, wenn ich nicht sicher damit umherfahren kann? Ich würde sowieso lieber ohne Kopftuch Fahrrad fahren. Familiär waren das dann natürlich schwierige Gespräche: Meine Eltern waren zunächst entsetzt, zumal sie doch wussten, wie fleißig ich studiert hatte. Und nun wollte die 22-jährige Tochter plötzlich in die Türkei gehen…

Wie ist es Ihnen in der Türkei ergangen?

Ich war einige Monate dort. Vor allem habe ich dort meinen Mann kennengelernt, der aus Teheran stammt. Ansonsten waren die Umstände in der Türkei alles andere als lustig. Es gab keine Versorgung, wir waren ganz auf uns selbst angewiesen. Zum Glück habe ich einen Weg gefunden, nach Deutschland zu kommen, auch wenn ich mich von meinem Mann für ein Jahr trennen musste. Seit vier Jahren bin ich jetzt in Braunschweig. Ich bin sehr zufrieden hier, und mein Mann konnte auch kommen. Ich studiere Grafik-Design in Hildesheim und hoffe, dass ich hierbleiben kann. Mein Asylantrag wurde zunächst abgelehnt. Ich habe Berufung eingelegt und warte nun auf den neuen Gerichtstermin. Wie gesagt: Ich hoffe. Die Vorstellung, zurück in den Iran zu gehen, ist für mich sehr schlimm. Ich habe mehrfach böse Träume gehabt in dieser Richtung. Das geht nicht. Unter diesem Regime auf gar keinen Fall!

Mahsa oder auf Kurdisch auch Jina Amini starb Mitte September. Waren Sie überrascht, wie wuchtig der Protest bald darauf geworden ist?

Ehrliche Antwort: Ja. Ich habe zunächst nicht geglaubt, dass die Revolution – so nennen wir das jetzt – sogleich ausbrechen würde. Wir haben uns über Soziale Medien darüber ausgetauscht, natürlich, doch wir dachten, das sei „nur“ eine traurige Nachricht von so vielen. In Teheran ging es los, doch andere Städte folgten sehr schnell. Es ist ja auch so unglaublich und so brutal, was die Behörden machen. Und bald stellte sich heraus, dass dies keine gewöhnlichen Proteste sind. Es geht diesmal nicht um ein speziell kurdisches Problem, sondern um etwas Allgemeines. So viele Menschen, die mir vertrauen, haben geschrieben: Diesmal ist es anders, diesmal wird es anders ausgehen…

Geht es da um das, was man eine sich selbst erfüllende Prophezeiung nennt – wenn viele glauben, dass es anders ist, dann ist es das auch?

Genau so sehe ich das. Auch Beobachter aus anderen Ländern haben diesen Eindruck. Und das gibt mir Kraft, im Ausland für diese Sache zu kämpfen. Eine Frau aus Teheran schrieb mir sogar: Sei unsere Stimme, wir können hier kämpfen, aber ihr müsst dafür sorgen, dass die Welt uns nicht vergisst! Und es ist ja auch jetzt schon ein großer Erfolg, dass die Menschen schon länger als acht Wochen protestieren.

Wie steht es um die Reform-Perspektive? Glauben Sie, dass ein Putsch in der Führungsriege den Unruhen die Kraft nehmen könnte?

Ich glaube das nicht. Diese Islamische Republik kann nicht reformiert werden. Eine Diktatur kann man nicht wirklich verbessern. Die gesamte rechtlich-politische-religiöse Struktur ist nicht reformfähig. Es ist alles so katastrophal gelaufen, dafür kann man gar keine Ausreden mehr erfinden. Das Regime ist relativ schwach geworden, auch international fast isoliert. Die Sanktionen sind richtig, weil sie das Regime schwächen und weil das Geld, das ins Land käme, ohnehin nicht beim Volk ankommt, sondern bei einer ganz kleinen Schicht und natürlich bei Terrororganisationen.

Haben Sie die Sorge, dass es einen Bürgerkrieg wie in Syrien gibt?

Auch das glaube ich nicht. Ich bin keine Profi-Politikerin, aber ich nehme an, dass die Lage im Iran grundsätzlich anders ist als in Syrien. Es gibt mehr Einigkeit im Volk. Der Widerstand im Militär wächst ebenfalls. Die erpresserische Behauptung des Regimes, allein für Sicherheit sorgen zu können, ist eine Lüge. Der Iran hat das Assad-Regime unterstützt, kann sich aber zum Glück nicht selbst unterstützen. Ich hoffe, dass Russland diese Rolle nicht ausfüllen kann oder will. Jede Diktatur hat ihre Zeit in der Geschichte. Und die Zeit dieser Diktatur ist abgelaufen.

Rechnen Sie mit vielen Flüchtlingen aus dem Iran?

Viele Menschen, von denen ich höre, wollen in der Heimat bleiben. Sie sagen: Das Regime muss weg, aber ich bleibe hier. Andere hingegen haben Zweifel und denken ans Ausland. Und dann gibt es noch die, die heute im Ausland leben, aber gern zurückkehren würden, um etwas aufzubauen.

Sie organisieren Demonstrationen in Braunschweig. Ist das gefährlich für Sie oder auch für Ihre Familie?

Ja, davon muss ich ausgehen. Ich hoffe: nicht zu sehr. Natürlich ist meine Familie schon angesprochen worden, was die Tochter denn so alles macht. Aber es gibt so viele Menschen, die so viel riskieren in dieser Zeit. Ich finde, dass es meine Aufgabe ist, die Stimme zu erheben. Hier kann ich das tun, weil es hier Freiheit gibt. Vor einiger Zeit waren wir in Braunschweig eine winzig kleine Gruppe, wir standen zu zweit vor dem Schloss oder fuhren nach Hamburg und Berlin. Jetzt ist die Gruppe größer geworden und sehr engagiert. Wir wollen hier jede Woche etwas machen. Möglichst viele Menschen sollen mitbekommen, was derzeit vor sich geht. Sie sollen von der Revolution erfahren und davon, wie notwendig sie ist.

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 06.11.2022 und erreichbar unter: https://www.braunschweiger-zeitung.de/braunschweig/article236832331/So-kaempft-Nishtman-in-Braunschweig-fuer-die-Frauen-im-Iran.html (Bezahl-Artikel)

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Die Veranstaltung „Brennpunkt Iran“ findet am Dienstag, 29. November, Beginn um 19 Uhr, im Forum des Medienhauses, Hintern Brüdern 23, in Braunschweig statt.

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