Spargel statt Wein und Tabak
Braunschweigs skurrile Ecken und andere Merkwürdigkeiten, Folge 41: Zu unserem kulinarischen Glück ließ Carl I. die Pfälzer in Veltenhof siedeln.
Der Braunschweiger Spargel ist eine Spezialität, die weit über die Stadtgrenzen hinaus einen ausgezeichneten Ruf genießt. Weil es auf den Feldern in um Braunschweig einen besonders geeigneten Boden gibt, entstand hier eines der größten Spargelanbaugebiete Norddeutschlands. Hier wächst der Spargel gut und in besonderer Qualität, dabei handelt es sich nicht um ein hier ursprüngliches Gemüse. Tatsächlich kommt es aus Ägypten und wurde im Braunschweigischen erst im 18. Jahrhundert angepflanzt. Skurril, wie es dazu kam:
Herzog Carl I. auswanderungswillige Menschen aus der Pfalz nach Braunschweig, wo sie sicher waren vor religiöser Unterdrückung. Diese Pfälzer gehörten zur Reformierten Kirche und erhielten in Braunschweig Religionsfreiheit zugesichert. Ihre Gottesdienste hielten sie in der Bartholomäuskapelle ab.
Wirtschaftlich versprach sich der Herzog Erfolge von der Ansiedlung. Er sicherte den Pfälzern Privilegien zu wie freies Bürgerrecht, die zeitweilige Befreiung von Auflagen und eine großzügige Hilfe beim Häuserbau. Sie sollten vor allem Wein, Mais und Tabak im Braunschweigischen Land anbauen
Im Jahre 1749 trafen die ersten Pfälzer in Braunschweig ein und besichtigten den ihnen zugedachten Grund und Boden am Münzberg bei Rühme. Doch damit waren die Neuankömmlinge nicht zufrieden, denn der Boden war ihnen nicht fruchtbar genug. So kam es zur Ansiedlung in Veltenhof.
Die ersten Ernten von Wein, Mais und Tabak waren enttäuschend. Eine Delegation der Pfälzer überzeugte Herzog Carl I. schließlich davon, dass ein Produkt aus ihrer alten Heimat in dem Sandboden viel besser gedeihen würde. So kam der Spargel schließlich nach Braunschweig. Der Anbau lief in der Tat wesentlich erfolgreicher, aber es blieb es nicht allein beim Spargel. So findet sich schon 1755 die folgende Anzeige in den ‚Braunschweiger Anzeigen“:
Was zu verkaufen.
Bey dem Pfälzercolonisten, Leonhard
Schenkel, zum Veltenhofe bey Braun-
schweig, ist vortrefflicher Spelt, der Himte
für 1 Thlr. Zur Aussaat zu verkaufen.
Es wird also deutlich darauf hingewiesen, dass es sich bei dem Verkäufer um einen Pfälzer handelt. Die Bezeichnungen ‚Spelt‘ und ‚Himte‘ sind uns heute fremd. Der Mann bot Dinkel oder Spelz an, eine Weizensorte, eng verwandt mit dem heutigen Weichweizen. Und die Himte war ein übliches Getreidemaß, im Braunschweiger Land bis ins 19. Jahrhundert. Eine Himte war ein halbes Scheffel, etwa 30 Liter.
Der Spargel aus dem Braunschweiger Land trat seinen Siegeszug mit dem Aufkommen der Konservenindustrie an. 1852 wurde die erste Fabrik, P.W. Daubert, gegründet, weitere folgten. 1873 konnten mit einem Hochdruckkessel zur Sterilisation der Dosen und 1890 mit der Dosenschließmaschine entscheidende Fortschritte gemacht werden.
Spargel aus Braunschweig wurde in alle Herren Länder bis nach Australien, Amerika oder China exportiert. Nicht zuletzt durch die Auswirkungen des 2. Weltkrieges wurde die hiesige Konservenfabrikation nach und nach bedeutungslos. Spargel wird bevorzugt als frisches Gemüse verzehrt.
Der Spargel aus dem Pfälzer Siedlungsgebiet Veltenhof hat bis heute nichts an seinem exzellenten Ruf eingebüßt. Bei einem Gang durch den Ort kann man durchaus noch einige der alten Siedlungshäuser nach „Pfälzer Art“ erkennen – die Pfälzer Mundart „Veltenhejwersch“ spricht dagegen wohl kaum noch jemand.
Carl I. hat sich jedenfalls neben seinen vielen Initiativen für öffentliche Kultur- und Bildungseinrichtungen, Wirtschaftsförderung, ein staatliches Sozialwesen oder zuverlässige Versicherungs- und Kreditanstalten auch kulinarisch verdient gemacht. Wenn er die Pfälzer seinerzeit nicht nach Braunschweig gelassen hätte, wäre uns das verwehrt geblieben, worauf wir uns Frühjahr für Frühjahr so besonders freuen: unser Braunschweiger Spargel!
Video zu Braunschweiger Spezialitäten: https://www.der-loewe.info/braunschweigische-spaziergaenge-6/
Foto