Tollkühne Piloten in „fliegenden Kugeln“
Neues Buch über die Luftsportgeschichte in der Braunschweigischen Region erschienen.
„Luftsport in der Region Braunschweig – von den Anfängen bis 1945″, unter diesem Titel hat Prof. a. D. Dr.-Ing Dietrich Hummel sein neues Buch zur regionalen Luftfahrtgeschichte herausgebracht. Das Mitglied des Arbeitskreises Braunschweiger Luftfahrtgeschichte (ABL) und ehemaliger Direktor des Instituts für Strömungsmechanik der Technischen Universität Braunschweig hat sich in diesem neuen Buch vor allem mit dem aufblühenden Luftsport zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts beschäftigt. Gefördert wurde das Erscheinen des Werkes durch die Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz (SBK), die Richard Borek Stiftung sowie die Bürgerstiftung Braunschweig.
Er habe sich bei seiner Recherchearbeit nur mit Ballonfahrt, Segelflug und Motorflug beschäftigt, und sei dabei auf viele bislang unbekannte, bzw. vergessene Geschichten gestoßen, sagte Hummel bei seiner Buchvorstellung im Institut für Braunschweigische Regionalgeschichte. In seine Arbeit bezog er das gesamte Herzogtum Braunschweig ein, also auch die weitere Umgebung der Stadt Braunschweig mit den zum ehemaligen Herzogtum Braunschweig gehörenden Teilen des Weserberglandes.
Schon beim ersten Durchblättern des 400-Seiten starken Buches mit seinen 410 Abbildungen bekommt der Leser einen Eindruck von der Begeisterung, von der die Menschen bei der Verwirklichung des Traums vom Fliegen getrieben sein mussten. Am Anfang des Luftsports in Braunschweig standen die Ballone. 1908 wurde der Braunschweiger Luftschifffahrtsverein gegründet. Und schon bald waren die großen „fliegenden Kugeln“ Stammkunden beispielsweise beim Gaswerk an der Taubenstraße in Braunschweig oder in Helmstedt, um mit Gas gefüllt zu werden. Wie Hummel beschreibt, dienten diese Fahrten (Ballone fliegen nicht, sie fahren) nicht nur dem Vergnügen, bei denen historisch bedeutende Luftaufnahmen entstanden. 1909 beispielsweise wurde bei einer Fahrt die Radioaktivität in der Luft gemessen, zwei Jahre später die Intensität der Sonnenstrahlung.
Nach dem Ersten Weltkrieg dann begann die Zeit der großen Flugschauen, bei denen die überlebenden Militärpiloten Kunstflug und Luftkämpfe demonstrierten. Sie trugen die Begeisterung in breitere Bevölkerungsschichten, die den Segelflug als Einstieg in die Fliegerei wählten. Liest man Hummels Buch, gewinnt man den Eindruck, dass in jedem größeren Raum, in Sporthallen, Scheunen usw. Segelflugzeuge gebaut wurden. Jede Erhebung im Braunschweiger Land scheint das Potential zum Startplatz gehabt zu haben.
Nicht nur in Braunschweig, wo sogar der Nußberg als Startort genutzt wurde, sondern in Helmstedt, Schöningen, Königslutter, Wolfenbüttel, Wernigerode, Harlingerode, Vienenburg, Goslar, Salzgitter, Peine, Gifhorn, Holzminden, Stadtoldendorf, Bad Harzburg oder auf dem Ith wurden Segelflugzeuge gebaut und geflogen. Aus heutiger Sicht waren es zum Teil abenteuerliche Geräte, in denen die „tollkühnen Piloten“ abhoben – und manches Mal auch hart wieder auf der Erde aufschlugen. Diesem Kapitel der regionalen Luftfahrtgeschichte widmet sich Hummel sehr detailreich.
1933 endet dieser sportliche Zeitabschnitt des Ballonfahrens sowie des Segel- und Motorflugs, dem Hummel einen ausführlichen Abschnitt widmet. Mit der Machtergreifung der nationalsozialistische Diktatur wurden auch die Luftfahrtvereine gleichgeschaltet. Luftsport war nur noch im NS-Fliegerkorps (NSFK) und im Deutschen Luftsport-Verband möglich und diente fortan der vormilitärischen Ausbildung. Entsprechend großzügig gefördert wurde er von den neuen Machthabern. In Braunschweig entstand neben dem alten Flughafen in Broitzem, der nun militärisch genutzt wurde, ein neuer Zivilflughafen bei Waggum. Auf dem Heeseberg bei Helmstedt, in Salzgitter und auf dem Ith waren Segelflugschulen, die hervorragend ausgestattet waren. Hier hat Hummel viele vergessene Geschichten „ausgegraben“, die das Buch für den Fluginteressierten zur aufschlussreichen Lektüre machen.
Die Flugschule auf dem Schäferstuhl bei Salzgitter-Gitter hatte den Krieg übrigens so gut überstanden, dass sie die Engländer 1945 dort übergangslos weiter fliegen konnten. Material gab es genug. Da den Deutschen das Fliegen verboten war (es war erst 1952 wieder erlaubt) hatten sie alle Segelflugzeuge in ihrer Besatzungszone eingesammelt. Auf dem Schäferstuhl stand so genügend fliegendes Material zur Verfügung – samt Ersatzteilen, falls mal einer runterfiel.
In diese Geschichte der frühen Luftfahrt der Region ist eine enorme Recherchearbeit eingeflossen, die Suche nach Zeitzeugen, das Durchforsten von Archiven und privaten Fotoalben, sind das Ergebnis. Ein weißes Loch habe seine Luftfahrtgeschichte, gestand Hummel bei der Buchvorstellung ein: Er habe nichts über den sozialistischen Segelflugverein „Sturmvogel“ gefunden. Es habe ihn auch in Braunschweig gegeben, aber es gibt keine Spur. Nun hofft er, dass sich irgendwann jemand meldet, der ihm weiterhelfen kann.
Fakten:
Titel: „Luftsport in der Region Braunshweig – von den Anfängen bis 1945“
Autor: Prof. a. D. Dr.-Ing. Dietrich Hummel
Format: 16,5 x 24 Zentimeter
400 Seiten, 410 Abbildungen
Verlag: Appelhans Braunschweig, 2014
ISBN 978-3-44939-02-5
Preis: 24,50 Euro